Evangelium
In jener Zeit sprach Jesus: Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie, und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen, und niemand wird sie meiner Hand entreißen. Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle, und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen. Ich und der Vater sind eins.
Johannes 10,27–30
Endlich habe ich freie Hand! – In diesem Satz steckt ein großes Stück Erleichterung bei den Menschen, die sich schon längst und immer wieder herbeigewünscht haben, frei zu sein von Abhängigkeiten und Bevormundungen anderer.
Ich nehme mein Leben selbst in die Hand! – Wer dies sagt, weiß vermutlich, was er will und wofür er leben möchte.
Er hat alle Fäden in seiner Hand! – Dies sagen wir von jemand, der Macht und Einfluss hat und alles daran setzt, dass sie nicht „seinen Händen entgleiten“.
Die Bilder unserer Sprache zeigen, wie eng Hand und Macht zusammengehören. Sie können aber auch auf den Zusammenhang von Hand und Ohnmacht aufmerksam machen. Menschen, die allein und einsam sind, machen die Erfahrung, dass niemand da ist, der ihnen seine „Hand reicht“. Opfer von Verbrechen, besonders Frauen, fallen ihren Tätern schutzlos „in die Hände“. Oder da hat uns jemand einfach „in der Hand“ und kann mit uns machen was er will.
In der hebräischen Sprache des Alten Testamentes gibt es zwei Worte für „Hand“. Das eine Wort bezeichnet die offene Hand, die gebende und empfangende, nach oben geöffnete Hand. Das andere Wort dagegen meint die geschlossene Hand, die geballte Hand als Bild für die Macht. Das Alte Testament spricht in diesem Zusammenhang oft von der „Hand Gottes“. In seiner Hand ist der Mensch sicher geborgen. Gottes Macht trägt und schützt ihn. Gott hält seine Hand über ihn.
Auch im Evangelium heute sagt Jesus von denen, die zu ihm gehören: „Niemand wird sie meiner Hand entreißen“ (Joh 10,28b). Die Evangelien berichten außerdem an vielen Stellen davon, dass Jesus Menschen bei der „Hand ergreift“ und sie wieder aufrichtet. Er tut dies beispielsweise mit der Schwiegermutter des Petrus oder mit der Tochter des Jairus. Er berührt Menschen mit seinen Händen und ermöglicht ihnen so Heilung an Leib und Seele. Er erweckt sie zum Leben, so dass sie sich wieder aufrichten können. Für dieses Aufrichten durch die Hand Jesu wird in der griechischen Sprache des Neuen Testamentes dasselbe Wort gebraucht wie für das Aufgerichtet- und Auferwecktwerden Jesu vom Tod durch die Hand Gottes.
Auch wir dürfen heute die heilenden Hände Jesu spüren und berühren in den Sakramenten der Kirche. Durch die Hand dessen, der das Sakrament spendet, will uns Jesus selbst berühren und aufrichten. In der Taufe und Firmung nimmt er uns gleichsam „an die Hand“, um uns in unser eigenes Leben zu begleiten. In der Eucharistie gibt er sich uns im Zeichen des Brotes „ selbst in die Hand“. In der Beichte reicht er uns „Seine Hand“ zur Versöhnung. In der Feier der Ehe hält er seine „schützende Hand“ über die Liebe des Brautpaares. In der Priesterweihe werden die Hände des Neupriesters gesalbt zum Zeichen dafür, dass es jetzt „Jesu Hände“ sind, mit denen er segnet und die Sakramente spendet. In der Krankensalbung spürt der gebrechliche Mensch in der Hand des Priesters die Hand Jesu, die ihn stärken und trösten will.
So wie zwei Liebende sich an den Händen halten und dabei spüren: Wir gehören zusammen! – so möchte auch Gott uns in den Sakramenten seine Liebe spüren lassen, die uns trägt.
Der Autor ist Oberstudienrat am Würzburger Friedrich-König-Gymnasium und mitarbeitender Priester in der Pfarreiengemeinschaft „Zellerau“.