Ich bin nicht die Lösung
Müssig ist ein feinsinniger Mann mit einer klaren, bildreichen Sprache. Einer, den man anfangs wegen seiner Zurückhaltung gern unterschätzt. Wäre da nicht sein hellwacher Blick. In Hammelburg bemerkt er die „Gräben“ zwischen den Gläubigen, spürt die Differenzen zwischen Reform Suchenden und Konservativen. „Ich bin nicht die Lösung“, sagt Müssig. Doch er sei guter Hoffnung, dass er als „Instrument Gottes“ die Gläubigen in ein „wertschätzendes Nebeneinander“ führen kann.
Nach Müssigs Entscheidung für Hammelburg stand auf seiner Agenda ein Besuch bei Vorgänger Michael Sell. „Ich hatte ein wertvolles Gespräch mit ihm über die Pfarreien hier.“ Er verurteilt seinen ehemaligen Mitbruder nicht. „Aber es gibt ein Kirchenrecht – auch wenn es nicht in Ewigkeit gegossen ist wie das Evangelium.“
Besucht habe er auch schon das Donnerstagsgebet des Hammelburger Aktionskreises „Kirche in Bewegung“ (KiB). „Mitbeten ist nicht verboten.“ Der Zölibat und Umbrüche in der Gesellschaft seien in der Katholischen Kirche zu Grundsatzfragen geworden. „Wir müssen uns den Fragen stellen. Was sind die Zulassungskriterien für das Priesteramt? Wie gehen wir um mit den sich wandelnden Rollen von Mann und Frau?“ Doch diese Fragen würden nicht in Hammelburg entschieden. Weltkirchlich sieht er kaum Denkansätze über Änderungen. Doch frage er sich auch, wo die Strahlkraft der Eucharistie geblieben sei. „Wir brauchen den inneren Wandel, den Aufbruch und unsere kirchliche Tradition.“ Wenn man aus einem anarchistischen Land wie Bolivien zurückkehre, lerne man Institutionen schätzen. „Wir sind ein reiches Land. Müssen nicht zwölf Stunden schuften und nochmals zwei Stunden pendeln. Wir haben einen Schatz an Menschen mit Herzensbildung.“ Ohne die Ehrenamtlichen könnten die bisherigen Strukturen in der Pfarreiengemeinschaft nicht mehr aufrecht erhalten werden. „Ich kann nicht überall sein und muss aufpassen, meine Mitte nicht zu verlieren.“ Kritische Zwischentöne könne er gut vertragen. „Es geht nicht monochrom zu bei uns, wir leben seit Petrus und Paulus in einer Konfliktkultur. Und das ist gut so.“ Müssig sucht die Begegnung mit Menschen. „Das ist hier nicht so einfach, denn spätestens ab Oktober haust man sich ein.“ Manchmal spürt er eine große Sehnsucht nach Bolivien. Nach seinem offenen Pfarrhaus mitten in Porongo. Er vergleicht das bolivianische Städtchen mit Rothenburg ob der Tauber. „Die Zeit dort war eingefroren wie in Marquez ‚100 Jahre Einsamkeit’.“ Er vermisst die „Mitesser“, Schulkinder und Bedürftige, die sich einfach an seinen Tisch setzten und Köchin Rosas Mittagsessen verschlangen. Die südländische Lebensweise schätzte der „Padre alemán – der deutsche Vater“, wie sie ihn nannten. „Die Sonne verändert die Menschen.“ Selbst „seinen Bischof“, den bolivianischen Kardinal, traf er öfters auf der Straße und erledigte anstehende Fragen „auf dem kleinen Dienstweg“ bei einem gemeinsamen Espresso in einem Straßencafé. „Hier geht das natürlich nicht. Die Bischöfe stehen in einer schwierigen medialen Öffentlichkeit, sind momentan in einer verzwickten Lage.“