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Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt erfahren Sie im Sonntagblatt.

    Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt...

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    Immer wieder neu beginnen

    HAMMELBURG. Seit Juni 2010 ist Christian Müssig Seelsorger der Pfarreiengemeinschaft „Sieben Sterne im Hammelburger Land“. Er hat die Nachfolge des im Oktober 2009 suspendierten Michael Sell angetreten und ist noch immer dabei, sich zu orientieren. „Oft bin ich mit Landkarte und Stadtplan unterwegs, erschließe mir die Geografie und besiedele sie mit Menschen“, sagte er.
    Müssig, Jahrgang 1963, war zuvor drei Jahre in Bolivien im Missionseinsatz gewesen. Er hatte die Südamerikaner ins Herz geschlossen, war als „Il Padre – der Vater“ ein angesehener Mann. Doch zwei Jahre früher als geplant kehrte er zurück. „Ich war der richtige Mann am falschen Ort oder der falsche Mann am richtigen Ort“, gibt er sich geheimnisvoll. So fühlte er sich überfordert von der Aufgabe, 14 000 Gläubige, verteilt auf 46 Orte, verstreut über 900 Quadratkilometer, seelsorgerisch zu betreuen.  „Dort war ich ein Einzelkämpfer ohne Seelsorgerteam, lief auf Hochtouren wie ein leer drehender Geländewagen.“ Korruption, fehlende Infrastruktur und die Erkenntnis, dass Bolivien zweigeteilt ist in Reiche mit Beziehungen und solche, „die in der Warteschleife verhungern“, zermürbten ihn wie die Gewaltbereitschaft von Schlägertrupps, für zwei Kästen Bier „zwischen Mitternacht und Hahnenschrei“ bolivianische Gerechtigkeit zu schaffen. Außerdem habe er zu viele „Moskito-Messen“ gehalten, Messen ohne oder mit wenig Menschen, dafür aber mit vielen Moskitos. 

    Ich bin nicht die Lösung

    Müssig ist ein feinsinniger Mann mit einer klaren, bildreichen Sprache. Einer, den man anfangs wegen seiner Zurückhaltung gern unterschätzt. Wäre da nicht sein hellwacher Blick. In Hammelburg bemerkt er die „Gräben“ zwischen den Gläubigen, spürt die Differenzen zwischen Reform Suchenden und Konservativen. „Ich bin nicht die Lösung“, sagt Müssig. Doch er sei guter Hoffnung, dass er als „Ins­trument Gottes“ die Gläubigen in ein „wertschätzendes Nebeneinander“ führen kann.

    Nach Müssigs Entscheidung für Hammelburg stand auf seiner Agenda ein Besuch bei Vorgänger Michael Sell. „Ich hatte ein wertvolles Gespräch mit ihm über die Pfarreien hier.“ Er verurteilt seinen ehemaligen Mitbruder nicht. „Aber es gibt ein Kirchenrecht – auch wenn es nicht in Ewigkeit gegossen ist wie das Evangelium.“

    Besucht habe er auch schon das Donnerstagsgebet des Hammelburger Aktionskreises „Kirche in Bewegung“ (KiB). „Mitbeten ist nicht verboten.“ Der Zölibat und Umbrüche in der Gesellschaft seien in der Katholischen Kirche zu Grundsatzfragen geworden. „Wir müssen uns den Fragen stellen. Was sind die Zulassungskriterien für das Priesteramt? Wie gehen wir um mit den sich wandelnden Rollen von Mann und Frau?“ Doch diese Fragen würden nicht in Hammelburg entschieden. Weltkirchlich sieht er kaum Denkansätze über Änderungen. Doch frage er sich auch, wo die Strahlkraft der Eucharistie geblieben sei. „Wir brauchen den inneren Wandel, den Aufbruch und unsere kirchliche Tradition.“ Wenn man aus einem anarchistischen Land wie Bolivien zurückkehre, lerne man Institutionen schätzen. „Wir sind ein reiches Land. Müssen nicht zwölf Stunden schuften und nochmals zwei Stunden pendeln. Wir haben einen Schatz an Menschen mit Herzensbildung.“ Ohne die Ehrenamtlichen könnten die bisherigen Strukturen in der Pfarreiengemeinschaft nicht mehr aufrecht erhalten werden. „Ich kann nicht überall sein und muss aufpassen, meine Mitte nicht zu verlieren.“ Kritische Zwischentöne könne er gut vertragen. „Es geht nicht monochrom zu bei uns, wir leben seit Petrus und Paulus in einer Konfliktkultur. Und das ist gut so.“ Müssig sucht die Begegnung mit Menschen. „Das ist hier nicht so einfach, denn spätestens ab Oktober haust man sich ein.“ Manchmal spürt er eine große Sehnsucht nach Bolivien. Nach seinem offenen Pfarrhaus mitten in Porongo. Er vergleicht das bolivianische Städtchen mit Rothenburg ob der Tauber. „Die Zeit dort war eingefroren wie in Marquez ‚100 Jahre Einsamkeit’.“ Er vermisst die „Mitesser“, Schulkinder und Bedürftige, die sich einfach an seinen Tisch setzten und Köchin Rosas Mittagsessen verschlangen. Die südländische Lebensweise schätzte der „Padre alemán – der deutsche Vater“, wie sie ihn nannten. „Die Sonne verändert die Menschen.“ Selbst „seinen Bischof“, den bolivianischen Kardinal, traf er öfters auf der Straße und erledigte anstehende Fragen „auf dem kleinen Dienstweg“ bei einem gemeinsamen Espresso in einem Straßencafé. „Hier geht das natürlich nicht. Die Bischöfe stehen in einer schwierigen medialen Öffentlichkeit, sind momentan in einer verzwickten Lage.“  

    Nuss auf Nuss knacken

    In Bolivien erfuhrt Pfarrer Müssig seine Grenzen. „Gefrustet ging ich jedoch nicht aus diesem schmerzhaften Prozess heraus, obwohl ich gescheitert bin.“ Das Erlebte habe ihn näher an die Gescheiterten in unserer Gesellschaft gebracht, die trotzdem einen Lebensreichtum bergen, aber verdeckt leben und im öffentlichen Leben nicht vorkommen. Deshalb geht er gerne ins Hammelburger „Café Hoffnung“, das wöchentlich zu Kaffee und Kuchen einlädt. Dort hielt er zu Erntedank eine Andacht.  Er hält eine Walnuss hoch, symbolisch für eine Aufgabe im Leben, „die man nicht knacken kann, der wir uns aber stellen müssen“. Und manchmal bekäme man eine zweite Aufgabe gestellt, und merke, dass man mit der zweiten Nuss die erste knacken könne. Vielleicht haben die Grenzsituationen in Bolivien ihn auf seine Aufgabe in Hammelburg gut vorbereitet und er kann die „Nuss knacken“ und Gräben wieder schließen.