„Die Frucht dieses Baumes ist gut für gesunde und kranke Menschen, nützlich und gut, wie viel man davon isst, weil sie das Fleisch wachsen lässt und das Blut reinigt.“ Das hatte einst die heilkundige Äbtissin Hildegard von Bingen (1098–1179) geschrieben. Und wer noch mehr über Früchte vom Feld und Beeren aus dem Wald erfahren will, der ist mit einer Wanderung auf dem Brennerweg in der Gemeinde Wartmannsroth nordwestlich von Hammelburg zwischen Spessart und Rhön, zwischen Sinn und Saale, gut beraten. Am 21. und 22. Oktober, an den „Tagen der edlen Brände“, können die Gäste das vermeintlich Beste aus den Früchten „konzentriert“ genießen. In alphabetischer Reihenfolge bilden die neun Dörfer Dittlofsroda, Heckmühle, Heiligkreuz, Neuwirtshaus, Schwärzelbach, Völkersleier, Waizenbach, Wartmannsroth und Windheim die Gesamtgemeinde mit rund 2300 Einwohnern. Auf jeweils 28 von ihnen kommt eine Brennerei beziehungsweise ein Anwesen mit Braurecht – also zusammen 82. Dort herrscht die höchste Brennereidichte im Freistaat. Klar, dass Wartmannsroth zu den 100 offiziellen Genussorten Bayerns gehört.
Zubrot für Landwirte
In fünf Betrieben wird hauptberuflich gebrannt. „Das sind unsere Zugpferde“, erklärt ein Dorfbewohner auf Anfrage. Dazu zählt die Brennerei von Franziska Bischof. Die Wartmannsrotherin unter- richtet bei der Industrie- und Handelskammer Würzburg-Schweinfurt angehende Sommelieren im Fach Spirituosen. Auf dem elterlichen Hof hat sie die weit und breit einzige Destillathek eingerichtet. Sie bietet nicht nur Verkostungen und Führungen an, sondern bewirbt und verkauft auf ihrer Internetseite Whisky, Gin und Liköre.
Die „Zugpferde“ außer Acht gelassen, verrät der Einheimische auch, dass er seinen privaten Bedarf an Hochprozentigem bevorzugt bei kleinbäuerlichen Brennern wie dem erfahrenen Albrecht Degen deckt. Warum? Antworten liefert eine Bröschüre: „Für die Landwirte war und ist das ‚Schnapsbrennen‘ eine Möglichkeit, in den Wintermonaten eine zusätzliche Einnahmequelle zu erschließen.“ Zusätzlich erfährt man, dass die Menschen in Wartmannsroth das Brennereinhandwerk heute anders sehen, als noch vor Jahrzehnten. „Zur Tradition kam die Leidenschaft hinzu, und so spezialisieren sich immer mehr Brennereien auf Qualitätsdestillate und produzieren heute ‚Edles aus Obst und Korn‘.“
Der Brennerweg erstreckt sich über insgesamt 36,7 Kilometer und ist in fünf Abschnitte mit vielsagenden Bezeichnungen unterteilt, die unabhängig voneinander erlaufen werden können. Der kürzeste Abschnitt ist die „Streuobstroute“ mit einer Länge von fünf Kilometern. Es folgen die „Kornbrandtour“ mit sechs Kilometern, der „Wildfrüchteweg“ und die „Whiskyschleife“ mit je rund sieben Kilometern und schließlich die Extratour „Waldbrand“ mit zwölf Kilometern. Auf den Wegen lernen Interessierte das Brennereiwesen kennen, erfahren Wissenswertes zu Anbau und Ernte der Früchte sowie zum Spiel von Aromen, Licht und Farben im bauchigen Stielgläschen.
Mispel − ein heimlicher Held
In vielen Fällen reift zuletzt, was an Wildgehölzen wächst; etwa Schlehdorn und Vogelbeere. Spät dran ist auch die Mispel, wenngleich sie zu den Kulturfrüchten zählt. Ähnlich dem Speierling beim Apfelmost wurde die unreife Mispel früher wegen ihres Tanningehalts dem Wein zum Klären und Haltbarmachen zugefügt. Ihren eigentlichen Auftritt hat sie jedoch, wenn die Natur schon fast im Winterschlaf liegt. Nach den ersten Frösten bauen sich die Gerbstoffe ab und eine Süße gewinnt die Oberhand. Wenn das auf der Unterseite filzig behaarte Laub längst gefallen ist, kann man die von Reif überzogenen Früchtchen von den bis zu sechs Meter hoch werdenden Bäumen schütteln. „In Italien wird das weiche Fruchtmus gerne zum Parmaschinken gegessen“, berichten die Wartmannsrother Brenner auf einer Infotafel am Wildfrüchteweg. Dieser beginnt und endet am Sportplatz in Schwärzelbach. Zwischen der Siedlung, dem sogenannten Neudorf, und Neuwirtshaus gedeihen die Mispeln an kleinwüchsigen Bäumen üppig. Das ist nötig, denn aus etwa 5000 Mispeln werden 100 Liter Maische gewonnen. Nur ein Bruchteil wird zum Schluss als Edelbrand vom kupfernen Aufsatz über dem Brennkessel – bekannt als Rosenhut – tropfen. Eine Bratapfel- oder Dörrbirnennote soll dann zu schmecken sein.
Über 1000 Nuancen
„Die Geschmacksknospen der Zunge lassen uns die vier Geschmacksrichtungen süß, sauer, bitter und salzig erkennen. Im Geruch offenbaren sich hingegen über 1000 Nuancen.“ Das liest man auf einer Tafel am Binsrain mit seiner grandiosen Panoramaaussicht über den ehemaligen Basaltbruch am Hornhag hinweg in Richtung Schwarze Berge. Außerdem: „Der Duft verrät viel über den Charakter des Brandes. Birnenbrände riechen zuweilen nach Banane, Zwetschgenbrände nach Marzipan und Zimt.“ Dies, so wird angekündigt, könne man lange am Gaumen merken. Voll entfalte sich ein Destillat bei einer Trinktemperatur zwischen 16 und 19 Grad; bei höheren Temperaturen könnte der Alkohol dominieren.
Am allerbesten bekommt einem eine Frucht, wenn man auf den Wegen allerhand Wissenswertes aufgesogen hat. Zum Beispiel, dass die Süßbirne leicht und locker 75 bis 80 Öchsle auf die Mostwaage bringt und damit „Kabinett“-Status erreicht. Oder dass der Samen der Eberesche erst keimfähig ist, wenn er den Magen eines Vogels passiert hat. Weitere Informationen gibt es auf der Internetseite www.brennerweg.de.
Bernhard Schneider