Der Ort, an dem die zielstrebige Würzburgerin ihre Gemeinschaft gründete, blickt jedoch auf eine weitaus längere Geschichte zurück: Seine Entstehung verdankt Kloster Oberzell dem Besuch des heiligen Norbert von Xanten im Jahr 1126 in Würzburg: Bei einem Ostergottesdienst im Dom heilte der Ordensgründer eine blinde Frau; von diesem Wunder tief beeindruckt gründeten die Würzburger 1128 das Prämonstratenserkloster Oberzell. Bereits im gleichen Jahr begann man mit dem Bau der dreischiffigen Basilika „Sankt Michael", die im Grundriss bis heute erhalten ist. Wenig später errichtete man in unmittelbarer Nähe das dem Männerkloster unterstehende Frauenkloster „Unterzell". Nach Plünderungen im Bauernkrieg verkleinerte sich der Konvent unter der Reformation spürbar. Auch Schwedenbesetzung und Dreißigjähriger Krieg setzten der Abtei schwer zu, so dass diese erst kurz vor ihrer Aufhebung ihre Blüte erreichte, die sich in reger Bautätigkeit äußerte: So wurde die Kirche grundlegend barockisiert, der barocke Konventbau nach Plänen von Balthasar Neumann errichtet, das Treppenhaus mit prächtigen Stuckaturen von Antonio Bossi ausgestattet.
„Druck“ macht Gebet Platz
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts zählte der Konvent über fünfzig Chorherren, um dann am 4. Dezember 1802 im Zuge der Säkularisation aufgehoben zu werden. 1817 erwarben dann Friedrich König und Andreas Bauer die Gebäude und gründeten hier ihre Druckmaschinenfabrik. Im Dienste der Produktion wurde die Kirche zur Lagerhalle umfunktioniert, im Chorraum stand eine Dampfmaschine. 1838 riss man Chor, Querhaus und Türme ab und zog zwei Decken in das Langhaus ein. Als Koenig & Bauer 1901 ihre Produktion auf das andere Mainufer verlagerten, erwarben die „Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu“ das Gelände.
Bereits 1855 hatte die Würzburgerin Antonia Werr das Schlösschen, das der Bankier Joel Jacob Hirsch 1812 in der Ökonomie des ehemaligen Klosters erbauen ließ, gemietet und dort zusammen mit vier Gleichgesinnten eine „Rettungsanstalt für Mädchen und Frauen in Not“ gegründet. Hier sorgten sich die Schwestern zunächst um strafentlassene Frauen und „verwahrloste Personen weiblichen Geschlechts“.
Da die Nachfrage rasch wuchs, erwarb Antonia Werr 1856 das Bauwirtshaus „Zu den zwei guten Greifen“ auf der anderen Straßenseite am Fuß der Hettstadter Steige; hier entstand der erste Stammsitz der Gemeinschaft mit Noviziat und Frauenfürsorgeanstalt. 1863 schloss sie sich dem Regulierten Dritten Orden des Heiligen Franziskus an und erlangte schließlich bischöfliche (1888) und staatliche (1908) Anerkennung.
Mit Übernahme des alten Abteigeländes im Jahr 1901 machten sich die Schwestern an den Wiederaufbau der Abtei, um die alten Gemäuer wieder ihrem ursprünglichen Zweck zuzuführen: Im barocken Konventbau – später Mutterhaus – richteten die Schwestern zunächst ein Pensionat („Norbertusheim“) für betuchte Bürger ein; zugleich zog die Haushaltungsschule ein, die die Schwestern von 1893 bis 1992 unterhielten. Ab 1903 bauten sie die Kirche mit Chor, Querhaus und den beiden Türmen wieder auf, so dass sie 1905 geweiht werden konnte.
Boten Bischof Asyl
In den 1920er Jahren kam es zu einem regelrechten Nachwuchs-Boom: Damit einher ging die Gründung neuer Filialen und der Gang nach Übersee – 1929 in die USA, 1952 nach Südafrika. Im Zweiten Weltkrieg wurde Oberzell dann Lazarett und „Auffangstation“ für vertriebene Ordensleute wie die Benediktiner aus Münsterschwarzach. Nach der Zerstörung Würzburgs war Oberzell gar Mittelpunkt der Diözese – beherbergten die Schwestern doch von April 1945 bis Januar 1950 Bischof Matthias Ehrenfried und seinen Nachfolger Julius Döpfner mit dem gesamten Domkapitel. Einen personellen Höchststand erreichte man 1960 mit 1135 Ordensschwestern in 145 Niederlassungen.
Von solchen Zahlen können die Oberzeller Franziskanerinnen heute nur träumen: Aktuell zählt die Kongregation rund 300 Schwestern in weltweit 33 Niederlassungen. Allein 140 leben auf sechs Häuser verteilt in Oberzell. Doch trotz der alarmierenden Nachwuchszahlen sind die Schwestern alles andere als pessimistisch: „Wir sind fest von der Zukunft unserer Gemeinschaft überzeugt. Unter dem Strich zählen nicht die Zahlen, sondern wie wir heute gemeinschaftlich, aus dem Glauben heraus leben und unseren Auftrag weiterführen“, betont Schwester Katharina Ganz: „Daran zeigt sich unsere Glaubwürdigkeit“, ist die 34-Jährige überzeugt und verweist auf die vielen Menschen, die ihrer Erfahrung nach auf der Suche sind. So nehme die Nachfrage nach geistlichen Angeboten wie „Kloster auf Zeit“ deutlich zu, was auch den Weg für die Zukunft aufzeige: „Wir brauchen die Vernetzung nach draußen, wir brauchen andere!“ Geschwisterlich im Geist des Evangeliums und in lebendiger Beziehung zu Gott und den Menschen wollen die Schwestern leben. Sie versprechen Gott und der Gemeinschaft gegenüber Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam und „stehen tagtäglich aufs Neue im Dienst der Menschen“. Seit Antonia Werr ist der Name der Oberzeller Schwestern untrennbar mit der Mädchen- und Frauenarbeit verbunden. Im Würzburger Haus Antonie Werr oder der Wohngemeinschaft Berscheba bieten sie in Not geratenen Mädchen und Frauen Stütze und helfen bei der Neuorientierung. Das Antonia-Werr-Zentrum Sankt Ludwig bei Wipfeld, das heilpädagogische Hilfen für junge Mädchen anbietet, wird von Jugendämtern aus ganz Nordbayern belegt.
Weihnachten zentrales Fest
Was alle Ordensangehörigen und Mitarbeiter verbindet, ist die Spiritualität Antonia Werrs; schon für sie standen die Menschwerdung Gottes und „das andauernde Weihnachtsgeschehen“, das sich im Namen der Kongregation konzentriert, im Mittelpunkt. „Als Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu verehren wir das göttliche Kind in jedem Menschen und glauben, dass jeder Mensch ein Kind Gottes ist – einmalig, wertvoll und geliebt“, resümiert Generaloberin Veridiana Dürr. Deshalb ist Weihnachten für sie das zentrale Fest im Kirchenjahr, das an jedem 25. des Monats mit Krippe und Weihnachtsliedern begangen wird. Und daraus resultiert zugleich der zentrale Auftrag, diese gottgegebene Würde des Menschen zu schützen. Das Eintreten für die Menschenwürde macht aber keineswegs vor den Klostermauern halt. Vielmehr mischen sich die Schwestern in verschiedene Lebensbereiche ein und gestalten das gesellschaftliche und politische Leben aktiv mit. „Denn Beten und Handeln gehören zusammen.“
Tipps und Fakten
Gottesdienste, Gebetszeiten in der Klosterkirche: werktags 6 Uhr Laudes, Gottesdienst; 18 Uhr Vesper; donnerstags 17.30 Uhr Vesper, Gottesdienst; samstags 7 Uhr Laudes, Gottesdienst. Sonntags 8 Uhr Laudes, 8.30 Uhr Gottesdienst, 18 Uhr Vesper.
Kirchenführungen und Besichtigungen im Jubiläumsjahr laut Programm, sonst nach Vereinbarung.
Besondere Angebote: Kloster auf Zeit, Mitleben für Frauen bis 35 Jahren, Kontakt: Schwester Birgit Scheder, Telefon 0931/4601-296, E-Mail: „jugendarbeit@oberzell. de“ oder für Frauen jeden Alters, Schwester Lydia Kern, Telefon 0931/4601-210, E-Mail: „sr.lydia@ oberzell.de.“
Adresse: Kloster Oberzell, 97299 Zell. Telefon: 0931/ 4601-0, Fax: 0931/4601-100. E-Mail: „kloster@oberzell.de“.