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      Gedanken zum Evangelium - 23. Sonntag im Jahreskreis

      "Ich wollte kein Pflegefall bleiben"

      Nach einem Zeckenbiss erkrankte Mechthild Märklin schwer. „Mein ganzer Körper war kaputt“, sagt sie. Doch sie gab nicht auf. Ein springender Hirsch, wie in der Lesung beschrieben, ist sie bis heute nicht. Aber sie ist Gott dankbar, wie selbstständig sie wieder leben kann.

      Evangelium

      In jener Zeit verließ Jesus das Gebiet von Tyrus und kam über Sidon an den See von Galiläa, mitten in das Gebiet der Dekapolis.

      Da brachten sie zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, er möge ihm die Hand auflegen.Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel; danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu ihm: Effata!, das heißt: Öffne dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden.

      Jesus verbot ihnen, jemandem davon zu erzählen. Doch je mehr er es ihnen verbot, desto mehr verkündeten sie es. Sie staunten über alle Maßen und sagten: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.

      Markus 7,31­-37

      „Dann springt der Lahme wie ein Hirsch und die Stimme des Stummen frohlockt“, heißt es in der Lesung an diesem Sonntag (Jesaja 35,4-7a). Als Mechthild Märklin diese Zeilen hört, muss sie lachen. „Nein, springen wie ein Hirsch kann ich nicht mehr“, sagt sie. Aber wieder laufen und sprechen.

      2008 erkrankte die heute 68-Jährige schwer, nachdem sie von einer Zecke gebissen worden war. „Es juckte ein bisschen am Rücken und es war eine leichte Rötung zu sehen“, erinnert sie sich. „Ich dachte: Ein bisschen Salbe drauf und dann war das Thema für mich vergessen.“ Ein paar Tage später fühlte Märklin sich aber schlapp und ausgelaugt. In der Nacht konnte sie nicht mehr richtig gehen, redete wirr.

      Im Krankenhaus stellten die Ärzte nach mehreren Tagen einen Virusinfekt im Nervenwasser fest. „Es ist ja bekannt, dass Zeckenbisse Hirnhautentzündungen hervorrufen können. In meinem Fall war aber mein komplettes zentrales und peripheres Nervensystem befallen“, sagt Märklin.

      Fünf Wochen lag sie im künstlichen Koma, ihre Überlebenschancen waren minimal. „Ich war an zwölf Maschinen angeschlossen. Alle meine Organe, bis auf die Nieren, wurden mit Medikamenten versorgt. Ich hatte zusätzlich noch eine beidseitige Lungenentzündung und eine Herzinnenhautentzündung. Mein ganzer Körper war kaputt“, sagt sie.

      Als sie aufwachte, saß ihr Bruder an ihrem Bett. „Ich muss wohl meine Lippen bewegt haben, weil er mich fragte, wo ich bin und was ich sehe“, sagt Märklin. „Ich sagte, dass ich vor dem goldenen Tor stehe, Musik höre und tanze. So stelle ich mir den Himmel vor. Da ist es auf jeden Fall musikalisch.“

      Über den Himmel, über Gott und ihren Glauben hat Märklin schon immer nachgedacht. Sie engagierte sich in ihrer evangelischen Gemeinde, sang viele Jahre in Chören und war als Kirchenmusikerin aktiv. Das starke Vertrauen auf Gott hat sie von ihrer Mutter gelernt. „Am Tag meiner Geburt starb mein Vater. Er war mit dem Motorroller unterwegs, um die Hebamme zu holen, und wurde von einem Zug erfasst“, sagt Märklin. Ihre Mutter war damals 30 Jahre alt und musste fünf Kinder alleine großziehen. „Aber sie hat nie geweint oder war depressiv. Sie hat das mit einem ganz tiefen Glauben angenommen. Gott war ihr Halt. Das haben wir Kinder alle mitbekommen.“

      Unermüdlich dreht sie Runden

      Das Vertrauen auf Gott, das sie in der Kindheit gelernt hatte, stärkte Mechthild Märklin auch im Krankenhaus. Als sie aufwachte, war sie zunächst vom Hals abwärts gelähmt und konnte kaum sprechen. „Aber ich war nicht verzweifelt. Ich habe gedacht: Das wird schon. Ich wollte kein Pflegefall bleiben oder im Rollstuhl sitzen“, sagt sie. „Mein Ziel war: Ich will mit meinen roten Schuhen, mit meinem roten Mantel und ohne die Krücken das Krankenhaus verlassen. Also habe ich geübt und geübt.“

      Langsam kehrten körperliche Fähigkeiten zurück. Sie versuchte, möglichst viel ohne die Hilfe von Pflegern zu schaffen, drehte unermüdlich Runden mit dem Rollator. In dieser Zeit hörte sie oft klassische Musik. Vor allem die Motette Nr. 228 von Bach, die sie als Sängerin gesungen hatte, war ihr im Ohr. Der Text geht auf Jesaja zurück: Fürchte dich nicht, ich bin bei dir. Weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch. „Als ich das hörte, war es für mich wie eine Zusage Gottes: ein Versprechen, dass ich es schaffen würde. Das gab mir Kraft“, sagt Märklin.

      Nach acht Monaten kehrte sie nach Hause zurück – ohne Rollstuhl, in ihren Schuhen. „Ich hatte mein Ziel erreicht“, sagt Märklin. „Aber dann wurde es erst richtig schwer.“ Denn nach den ersten schnellen Fortschritten im Krankenhaus ging es nun langsamer voran. Sie musste das Sprechen neu lernen, besuchte insgesamt zehn Jahre eine Logopädin. Im Haus machten ihr die Treppen zu schaffen, sie konnte sich nur mit ihrem Rollator fortbewegen. „Für das Ausräumen der Spülmaschine brauchte ich anfangs 45 Minuten. Zwei Teller herausnehmen, zum Schrank herübergehen, die Teller einzeln einräumen“, erinnert sich Märklin. Alles kostete sie Kraft und Mühe.

      „Da fing ich an zu hadern“

      „Und da fing ich an zu hadern. Ich habe oft gedacht: Gott, warum hast du mich nicht sterben lassen? Das wäre so einfach für mich gewesen und jetzt muss ich mich so anstrengen“, sagt Märklin. Aber auch in diesen Momenten half ihr ein Satz von Jesaja: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ Wie schon in der Klinik wiederholte sie diesen Satz immer wieder für sich – und gewann neues Zutrauen.

      Heute kann Märklin selbstständig leben. Einzig das Singen und Klavierspielen gelingt ihr nicht mehr so wie früher. „Diese Leidenschaft loszulassen, war wie Trauerarbeit. Das ging nicht von heute auf morgen“, sagt Märklin. Aber sie freut sich, dass ihre Enkel musikalisch sind und zum Musizieren bei ihr vorbeischauen.

      Und sie hat sich von ihrer Schnelligkeit verabschiedet, kein Herumgespringe mehr. „Ich beginne jetzt den Tag morgens in Ruhe, nehme mir Zeit für meinen Kaffee, lese die Losung, meditiere und bete viel für meine Kinder und Enkelkinder“, sagt sie. Und: „Ich habe viel Zeit zum Nachdenken. Auch über meinen Glauben. Er ist ruhiger und tiefer geworden und ich spüre heute die Gewissheit, dass Gott mich liebt.“

      Kerstin Ostendorf