Die Turmuhr der Pfarrkirche St. Ägidius in Dipbach läutet sechs Mal: 18 Uhr. Kalt ist es, der Schnee knirscht unter den Füßen beim Überqueren der Straße. Bis auf ein paar wenige Straßenlaternen und einige sanft leuchtende Weihnachtsdekorationen in den Fenstern der Häuser ist es dunkel. Nur ein Fenster leuchtet heller als die anderen ringsum. Das Fenster mit der Nummer 30. Weil heute Mittwoch der 30. November ist, drei Tage nach dem ersten Advent. Mit dem Anzünden der ersten Kerze startete am Sonntag der begehbare Adventskalender in Dipbach. Heute hat Familie Konrad ein Fenster gestaltet. Leises Blockflötenspiel ist aus dem Garten zu hören. Die große Glasscheibe mit dem dunkelbraunen Rahmen sieht einladend aus: Ein blauer Vorhang mit goldenen Sternen trennt das Fenster und den Innenraum dahinter, zwei Lichterketten hangeln sich am Rahmen entlang und zaubern ein heimeliges Licht. Auf dem Fensterbrett steht der Krippenstall mit den bunten Holzfiguren, der Engel schwebt wachend darüber.
Einen Moment Pause
„Der Gedanke zur Krippe zu gehen, sich Zeit zu nehmen, wo jeder so beschäftigt ist mit seinen Vorbereitungen – das war mir wichtig.“ Maria Konrad hat sich gemeinsam mit ihrer Familie durch viele Texte hindurch gearbeitet, bis sie sich für dieses Thema entschieden hatte. „Mir gefiel diese Geschichte, denn sie passt gut in unsere Zeit,“ erklärt sie. Jede Familie hat ein eigens erarbeitetes Thema für den abendlichen Impuls, auch das Schmücken des Fensters ist jedem selbst überlassen. Seit drei Jahren beteiligen sich viele an der Adventsfenster-Aktion. Lediglich drei Termine sind in diesem Jahr unbesetzt. „Neben den zahlreichen Familien machen auch drei Firmgruppen, die Bücherei, der Kindergarten, das Pfarrhaus und ein Strickkreis mit“, erklärt Inge Holzleitner, Pfarrgemeinderatsvorsitzende von St. Ägidius. Sie ist zufrieden mit der großen Resonanz. Auch darüber, das selbst nicht-katholische Familien mitmachen, freue man sich sehr. Inge Holzleitner hat ihr Fenster bereits am ersten Advent gestaltet. Dabei ging es um die Suche nach dem Stern.
„Macht hoch die Tür...“
Auf der Terrasse und im mit Windlichtern geschmückten Garten der Konrads füllt es sich: Viele Familien, aber auch ältere Gemeindemitglieder stehen im Halbkreis vor dem Fenster. Katja, die älteste Tochter der Familie Konard spielt sich gemeinsam mit Verena, Judith und Julia, drei Mädchen aus ihrer Firmgruppe, auf der Blockflöte ein. Dicht gedrängt stehen die rund 50 Gäste, warm eingepackt in dunkle Jacken, bunte Schals und Mützen. Wer die Handschuhe vergessen hat, reibt sich die kalten Hände warm oder vergräbt sie in den Manteltaschen. Das Blockflöten-Quartett gibt den Ton an, dann singen alle gemeinsam „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.“ Die Geschichte, die Maria Konrad im Anschluss vorliest, stimmt nachdenklich. Es ist ruhig, selbst die Kinder lauschen gespannt. In der Erzählung strömen viele Menschen bei der Nachricht von der Geburt Jesu zur Krippe, sie lassen alles liegen und stehen – nur Martha nicht. Sie wird von vielen Vorbeilaufenden gefragt, ob sie nicht auch mitkommen möchte. Aber es folgt immer die gleiche Antwort: „Ich komme etwas später ...“ Ihr sind Hausarbeit und Einkauf wichtiger, das Kind könne sie auch noch übermorgen besuchen. Doch als Martha Tage später nach getaner Arbeit zur Krippe kommt, ist die Heilige Familie weitergezogen und der Stall verwaist.
Immer wieder anders
Auch Anette Herbig beteiligt sich mit ihrer Familie an der Aktion. Am 14. Dezember wird ein Fenster ihres Hauses leuchten und zum Innehalten einladen. „Das Tolle daran ist, das jeder sein Fenster anders gestaltet, und es an jedem Abend einen anderen Impuls gibt.“ Wer gern mitmachen möchte, aber keine eigene Idee habe, für den halte das Pfarrgemeinderatsteam Texte und Materialien bereit, sagt Herbig.
Die Vorbereitung des Adventsfensters ist für die Beteiligten oft schon eine Vorbereitung auf Weihnachten. Abend für Abend hat Maria Konrad sich hingesetzt und in den unterschiedlichen Texten gelesen. „Schon allein dadurch habe ich mich mit dem Gedanken von Advent und Weihnachten auseinandergesetzt.“ Bereits dieses „sich hineinlesen“ habe sie den Sinn von Advent begreifen lassen und sie könne „zurückschalten“ – davon profitiere die ganze Familie. Inge Holzleitner gefällt es, dass für jede Altersgruppe etwas geboten werde.
Kampf den kalten Füßen
Die Gemeinschaft wird oft nach dem jeweiligen Adventsfenster bei einem gemütlichen Ausklang gepflegt: Den kalten Füßen zum Trotz wärmen die Besucher ihre Finger an den heißen, mit Kakao und Glühwein gefüllten Tasssen im Garten der Konrads, die Kinder machen sich über selbst gebackene Vanillekipferl her und stehen kauend vor dem geschmückten Fenster.
In diesem Jahr ist Maria Konrad auf „Nummer sicher“ gegangen und hat das Fenster lediglich mit Lichterketten geschmückt. Die schlechte Erfahrung aus dem letzten Jahr hat sie von der Idee mit echten Kerzen Abstand nehmen lassen: Das Fenster war mit dem hauseigenen Krippenengel geschmückt, daneben Teelichter und ein bisschen Watte. Kurz vor Beginn, etwa zehn Minuten vor sechs, habe ein Windstoß dafür gesorgt, dass die Watte ins Teelicht flog und binnen weniger Minuten der halber Vorhang in Flammen stand. „Gott sei Dank war ich schnell zur Stelle. Als die Leute kamen war zwar die Dekoration hinüber, aber der Engel war noch heil,“ sagt sie schmunzelnd.
Adventliche Aktionen beliebt im Bistum
Adventsfenster zu schmücken ist im Bistum Würzburg eine weit verbreitete vorweihnachtliche Sitte: Auch in Stetten, Langenprozelten, Wernfeld, Zellingen (Dekanat Karstadt), Gelchsheim und Eibelstadt (Dekanat Ochsenfurt), Langendorf (Dekanat Hammelburg) und weiteren Orten finden solche und ähnliche Aktionen statt. In Adelsberg (Dekanat Karlstadt) zum Beispiel gibt es an jedem Freitag in der Vorweihnachtszeit ein Adventsingen um 19 Uhr auf dem Kirchplatz.