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    Einmal in der Woche bewirtet die Gemeinschaft Sant’Egidio Bedürftige

    Hunger nach Freundschaft

    Einmal in der Woche bewirtet die Gemeinschaft Sant’Egidio Bedürftige
    Würzburg, an einem Montag gegen 16 Uhr. Es sieht sehr appetitlich aus, was da auf großen weißen Tellern angerichtet wird. Nach einer Karottensuppe gibt es jetzt Sauerbraten, serviert mit dunkler Soße und zwei Klößen. Äpfel, Birnen und Bananen stehen als Nachtisch bereit. „Hunger ist in Europa selten. Aber die Einsamkeit ist ein Problem. Auch daran kann man verhungern“, sagt Elisabeth Dirk. Sie ist Mitglied der Gemeinschaft Sant’Egidio und eine von rund zehn Helfern, die an diesem Nachmittag versuchen, das Problem zu lindern – zumindest ein bisschen. Alte und bedürftige Würzburger werden von ihnen bewirtet. Mensa nennen sie dieses Angebot. Jeden Montag nachmittag von 15 Uhr an servieren sie ihren Gästen, die sie persönlich eingeladen haben, eine warme Mahlzeit.
     
    Ein Ort mit Charme
    Leicht ist der Ort, an dem die Gemeinschaft Sant’Egidio seit fast fünf Jahren die Mensa veranstaltet, nicht zu finden. Doch die Adresse hat sich herumgesprochen: Frankfurter Straße 87, Stadtteil Zellerau. Der Gast läuft eine leicht ansteigende Straße hinauf, vorbei am Siebold-Museum für japanische Kunst. Er gelangt auf einen weiträumigen Platz mit dem Charme eines ruhigen, verlassenen Industriehofs: einst das Areal der Würzburger Bürgerbräu. An der Wand eines Hauses geben kleine Messingschilder Orientierung. Mensa – Sant’Egidio ist auf einem davon zu lesen. Die Außentür steht offen. Durch sie hindurch geht es ein paar Schritte einen Gang entlang, dann gelangt man rechts in den gesuchten Raum. Hell und farbenfroh ist er. An den Seitenwänden sind massive Eckbänke. Über seinem Kopf sieht der Eintretende eine Kassettendecke. Modern und edel zugleich wirken die dort eingebauten Halogenstrahler. Das ehemalige Brauereistüberl der Bürgerbräu hat den Charme einer gemütlichen Gastwirtschaft. Fast schon vornehm wirken die hell karierten Stoffdecken auf den Tischen und die Blumenväschen, die liebevoll mit natürlichen kleinen Sonnenblumenköpfen bestückt sind.
    In den großen Edelstahlbehältern an der Theke ist genug Sauerbraten für alle. Ein junger Koch hatte kurz vor 15 Uhr das Essen angeliefert.
    55 Portionen, direkt aus der Telekomkantine in der Schürerstraße. Essen, das die Gemeinschaft mit Spendengeldern finanziert.
     
    Franziskus als Vorbild
    Die Gemeinschaft Sant’Egidio ist eine Laienorganisation. Die Mitglieder wohnen nicht zusammen. Jeder hat seine eigene Familie und seinen eigenen Beruf. Der Name Sant’Egidio stammt von einem ehemaligen Kloster im römischen Stadtteil Trastevere. Dort hatte 1968 eine Initiative von Jugendlichen die Gemeinschaft gegründet, um das Evangelium im Alltag zu leben, in Gebet, Engagement und mit Franziskus von Assisi als Vorbild. In Würzburg war es später eine Gruppe von Studenten, die Sant’ Egidio nach römischen Vorbild aufbauten. Heute sind es in der Bischofsstadt nach Angaben der Gemeinschaft rund 500 Mitglieder.
    Elisabeth Dirk kennt die Leute, die zur Mensa kommen. Mit einem lauten „Willkommen“ empfangen sie und die anderen Helfer von Sant’ Egidio die Gäste. Jeder Eintretende wird schon an der Tür mit Handschlag begrüßt. Es gibt viel zu erzählen. Schließlich hat man sich eine Woche lang nicht gesehen. Das Essen ist zunächst einmal nebensächlich. „Die wichtigste Speise ist die Freundschaft“, sagt Elisabeth Dirk. Noch am Vormittag war die Lehrerin vor ihrer Klasse gestanden, hatte gearbeitet, wie die meisten der Mensa-Mitarbeiter. Deshalb gibt es das Essen für die Bedürftigen auch erst am Nachmittag. Doch das stört niemanden. Rund 40 Gäste sind an diesem Montag ins ehemalige Brauereistüberl gekommen. Sie sitzen und reden. Man kennt sich. Niemand muss sich anstellen, um ein Essen zu erhalten. Die Mensa-Leute bringen das Essen an die Tische. Portion für Portion, wie in einem Restaurant. „Uns ist es sehr wichtig, dass die Gäste zuvorkommend und würdevoll behandelt werden und gepflegt essen können“, sagt Ruth Krimmer. Sie ist seit 20 Jahren bei Sant’Egidio und von den Mensa-Anfängen an als Helferin dabei. Im nächsten Moment wird deutlich, was mit Freundschaft und Würde gemeint ist. „Hallo, schön, dass du da bist“, sagt sie zu einem alten Mann mit Bart. Ihre Stimme klingt ehrlich.
    Dieses Verhalten der Helfer schätzen die Gäste. Die meisten wohnen in Obdachlosenunterkünften, einige leben auf der Straße, sind bekannt in Würzburgs Innenstadt. Man hat die Gesichter schon mal gesehen: am Bahnhof, am Marktplatz, in der Marienkapelle. So zum Beispiel das von Manfred Richter. Der 60-Jährige mit dem Vollbart schläft meist auf der Straße. Er redet an diesem Tag kaum etwas, gibt nur an, dass er in Dortmund geboren ist, und lässt sich seinen Sauerbraten schmecken. Gesprächiger ist ein 59 Jahre alter Mann aus Würzburg. Er überlegt lange. Dann entschließt er sich, seinen Namen lieber doch nicht zu nennen. Seit drei Jahren nutzt er das Mensa-Angebot der Gemeinschaft. „Ich bin verarmt, ich fühl mich betrogen von dieser Welt“, klagt er mit resignierendem Unterton. Nächstes Jahr erhalte er eine gekürzte Rente, knapp 700 Euro. Für die Miete seiner 22 Quadratmeter müsse er allein 300 Euro bezahlen. „Es ist schwer, bezahlbare Wohnungen zu finden. Ich suche schon ein ganzes Jahr“, erzählt er.
     
    Musik und Geduld
    Inzwischen stehen einige der Mensa-Gäste draußen auf dem Hof und rauchen. Die Luft dort ist nicht so warm, angenehmer als innen, wo Schweiß und Essensgerüche in die Nase steigen. Erst als Elisabeth Dirk die draußen Stehenden zur „Geburtstagsfeier“ einlädt, geht die Mehrzahl wieder hinein. Die Leute von Sant’Egidio haben einen Geburtstagskuchen gebacken. Angela Böhme, eine 62 Jahre alte Frau mit Brille und kurzen grauen Haaren, hatte in der vorigen Woche Geburtstag. Seit sieben Jahren hat sie ihren fester Wohnsitz in Würzburg, nachdem sie zuvor 30 Jahre auf der Straße gelebt hatte – überall, bis nach Hamburg hinauf. Mit strahlendem Gesicht bläst sie die Kerzen auf dem Kuchen aus. „Hoch soll sie leben“ singen alle im Chor. Selbst Musik ist nun dabei. Elisabeth Dirks Mann ist gekommen und hat sein Akkordeon mitgebracht. Zusammen mit einem Mann an der Gitarre unterstützt er die Sänger. Unaufdringlich und sporadisch spielen die Musiker im weiteren Verlauf bekannte Lieder: „Lustig ist das Zigeunerleben“, „Schneewalzer“ – die Stimmung bei den Gästen ist gelöst. Die Mensa-Mitarbeiter sind derweil stets auf Achse, bedienen die Gäste oder nehmen sich Zeit für ein intensives Gespräch.
    Winfried Braun ist einer, dem dies besonders wichtig ist. Als im Juni 1999 seine Frau an Brustkrebs starb, hatte er für ein halbes Jahr niemanden, mit dem er reden konnte. Kontakt mit den Verwandten gab es nicht. Weihnachten 1999 war der 67-jährige Würzburger dann das erste Mal bei einem Essen der Gemeinschaft und konnte neue Kontakte knüpfen. „Bei vielen Leuten fühl’ ich mich total wohl, hab’ ich niemanden, fühl ich mich einsam und verlassen“, schildert er seine Gefühle. Die Mensa-Gemeinschaft ist für ihn wie eine Familie: „Bei uns wird viel gelacht und gesungen.“ Manchmal sind die Gespräche mit den Gästen nicht einfach, berichtet Elisabeth Dirk, die gelegentlich die Leute auch auf der Straße anspricht und sie zur Gemeinschaft einlädt. Oft braucht man Geduld.
     
    Mensch ärgere dich nicht
    So wie beim „Mensch ärgere dich nicht“, dass Michael Reinhardt mit einem alten Besucher nach dem Essen spielt. Reinhardt studiert in Würzburg Hauptschullehramt und Volkskunde. Bei der Mensa ist er an diesem Tag zum ersten Mal, nachdem er im vergangenen November durch einen Aushang an der Uni auf Sant’Egidio aufmerksam geworden war. Er verrät seine Sichtweise: „Nicht von oben herab mit viel Geld helfen, sondern den Menschen zunächst die Freundschaft anbieten – das bringt mindestens genauso viel.“ Während Reinhardt das erzählt, gewinnt sein Mitspieler schon zum dritten Mal. Aber der Student nimmt den Namen des Spiels wörtlich und gönnt seinem neuen Freund den Erfolg. Als es gegen 18 Uhr heißt „Wir schließen“, machen sich die letzten Mensa-Gäste auf den Heimweg. Die Aufräumarbeiten beginnen. Zurück bleiben schöne Erinnerungen und dunkle Sauerbratensoße im Edelstahltopf.