Die christliche Literatur beginnt mit dem ersten Paulusbrief an die Gemeinde in Thessaloniki. Er wurde Ende des Jahres 50 oder anfangs 51 von Paulus in Korinth verfasst und vermutlich von Timotheus in die mazedonische Provinzhauptstadt überbracht.
Die Vorgeschichte des Briefes
Paulus war mit Timotheus und Silvanus (griechisch: Silas) im Jahre 49 von Philippi her nach Thessaloniki gekommen. Diese Stadt, 315 v. Chr. von Kassandros gegründet und nach dessen Frau Thessalonike (Sieg über Thessalien), einer Halbschwester Alexanders des Großen, benannt, wurde 149 v. Chr. Provinzhauptstadt, die 42 v. Chr. das Recht der Selbstverwaltung erhielt (mit Stadtrat und leitenden Politarchen); sie war zugleich Sitz des römischen Prokonsuls. Auf dem Seeweg (Hafen) wie dem Landweg (an der Via Egnatia gelegen, die sich in Italien in der Via Appia bis Rom fortsetzte) leicht erreichbar, stand sie in wirtschaftlicher Blüte. Die nahezu 100000 Einwohner bestanden aus einem bunten Völkergemisch. Es gab dort auch eine ansehnliche jüdische Gemeinde mit einer Synagoge; vor allem hatten sich zahlreiche „Gottesfürchtige“ (Sympathisanten des jüdischen Glaubens) der Gemeinde angeschlossen, nicht zuletzt einer Reihe betuchter Frauen. In der Synagoge hatte Paulus seine Predigt begonnen und einige Juden sowie eine ganze Reihe von „Gottesfürchtigen“ für seine Botschaft gewonnen. Dies führte zu einer Spaltung in der jüdischen Gemeinde, die Gegner des Paulus zettelten einen Aufruhr an, sodass er über Nacht in das 75 Kilometer entfernte Beröa fliehen musste. Nachdem es Juden aus Thessaloniki gelungen war, auch ihre dortigen Glaubensbrüder aufzuhetzen, sah sich Paulus gezwungen, auch von hier wegzugehen, und er kam schließlich über einen Zwischenaufenthalt in Athen nach Korinth. Paulus sorgte sich weiter um die thessalonikische Gemeinde. Da er sie nicht besuchen konnte, hatte er Timotheus dorthin geschickt und schließlich dessen Bericht entgegennehmen können. Daraufhin schrieb er den Thessalonikern den vorliegenden Brief. Der Aufriss des Briefes
Nach einem kurzen Briefanfang mit ihm, Timotheus und Silvanus als Absender (1,1) dankt Paulus in seinem Vorwort (1,2–10) Gott für den vorbildlichen Glauben der thessalonikischen Christen und bringt im eigentlichen Briefkorpus zunächst einen dankbaren Rückblick auf sein dortiges früheres Wirken und seine weitere Sorge um das Wohl der Gemeinde (Kapitel 2 und 3) – der erste Hauptteil des Briefes. Im zweiten Hauptteil (4,1–5,22) geht Paulus neben einigen Ermahnungen zu einem christlichen Leben (4,1–8) auf einige Probleme ein, die mit seiner früheren Verkündigung der nahen Wiederkunft Christi und der damit verbundenen Verheißungen für die thessalonikischen Christen und dem inzwischen erfolgten Tod einiger Gemeindemitglieder zusammenhingen. Mit Segenswünschen, der Bitte um das Gebet und Grüßen schließt Paulus den Brief ab (5,23–28). Das frühere Wirken in der Gemeinde und seine weitere Sorge um sie
Im ersten Hauptteil erinnert Paulus an die Lauterkeit und den Eifer seiner damaligen Verkündigung (2,1–12). Er vergleicht die nach wie vor bedrängte Situation der Thessaloniker mit der der Christen in Palästina und lobt jene für ihre Standhaftigkeit. Er versichert sie seines bislang vereitelten Wunsches, sie zu besuchen. Aus diesem Grund habe er Timotheus zu ihnen geschickt, der inzwischen mit guten Nachrichten zurückgekommen sei; er wünscht sich erneut ein Wiedersehen mit ihnen (Kap. 3). Dabei wird sein herzliches Verhältnis zu ihnen deutlich (2,13–20). Die gültige Verheißung für alle: die Parusie des Herrn
Den zweiten Hauptteil leiten einige mit dem Vorhergehenden verbindende Ermahnungen wider Unzucht und Habgier und für ein dem Alltag gerecht werdendes Leben ein, die der verheißungsvollen Parusie des Herrn entsprechen (4,1–12). Parusie bezeichnet in außerbiblischen Texten das Erscheinen eines Gottes oder eines weltlichen Herrschers, in der Bibel meint es stets die Wiederkunft des Herrn. Die Befürchtung, dass die inzwischen in der Gemeinde Verstorbenen der Parusie und ihrer Lebensverheißung verlustig gingen – wohl eine Anfrage, die Timotheus mitbrachte – zerstreut Paulus mit dem Hinweis auf den Auferstehungsglauben: Die Toten werden zuerst auferstehen, um an der Parusie teilhaben zu können (4,13–18). Etwas über „Zeiten und Fristen“ zu sagen, lehnt Paulus ab, da „der Tag des Herrn“ kommt „wie der Dieb in der Nacht“. Umso notwendiger sei es, „wachsam“ zu bleiben und „nüchtern“ zu leben (5,1–11). Nach einer kurzen Ermahnung zum Gemeindeleben und zur Beachtung der Aufgabe der leitenden Personen gibt Paulus noch ein paar eindringliche „Faustregeln“ für ein christliches Leben (5,16–22). Die Lektüre des Ersten Thessalonicherbriefes hält uns die Standhaftigkeit einer in äußerer Bedrängnis lebenden christlichen Gemeinde inmitten einer pluralistischen Umgebung vor Augen und versichert uns jenes Lebens, das wir noch über unser jetziges Leben hinaus zu erwarten haben. Trotz der damaligen, auch von Paulus geteilten Naherwartung der erneuten Ankunft Christi lässt der Brief keine religiöse „Schwärmerei“ zu, sondern fordert zur nüchternen Wahrnehmung der gegenwärtigen Aufgaben auf.