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    Das Jüdische Museum Wien würdigt die Epoche der Ersten Republik

    Hochblüte am Vorabend des Holocaust

    Das Jüdische Museum Wien würdigt die Epoche der Ersten Republik
    Die Straßen waren schwarz von Menschen. Die Polizei hatte Straßensperren errichtet, damit in dem Getümmel niemand zu Schaden kommen sollte, doch sie hielten den Massen nicht stand. Aus Galizien und der Bukowina waren zahllose Sonderzüge mit Ostjuden eingefahren. Nun drängten sie durch die Stadt. Was ging hier vor sich – Aufruhr, eine Revolution, ein Umsturzversuch? Nein, alles lief ganz friedlich ab. Durch Gassen und Straßen wurde still ein grob gezimmerter Sarg getragen. In ihm lag ein charismatischer religiöser Führer, Rebbe Israel Friedman aus Ruzhin, der wie viele seiner Landsleute aus dem Osten nach Wien gekommen war. Diese gaben ihm nun das letzte Geleit. Und wie durch ein Wunder kam niemand auch nur zum geringsten Schaden ...
     
    Die Szene ist typisch für die große Bedeutung, die die Juden im Wien der Zwischenkriegszeit 1918 bis zum „Anschluss“ ans Deutsche Reich 1938 in der Gesellschaft einnahmen. Es war die letzte und zugleich die größte Blütezeit des Wiener Judentums. Ihr ist eine kulturhistorische Ausstellung „Wien, Stadt der Juden“ im Wiener Jüdischen Museum gewidmet. Eine verdienstvolle Ausstellung, denn erst spät hat sich eine breitere Öffentlichkeit in Österreich mit den Greueln der Nazidiktatur auseinandergesetzt. Und noch heute kann sich ein Politiker wie Jörg Haider erlauben, einen führenden Repräsentanten des Judentums öffentlich zu beleidigen, ohne sofort aus allen Ämtern entfernt zu werden.
     
    Von Sozialforschung bis Fußball
    Die Ausstellung zeigt in 21 Stationen auf zwei Ebenen alle Facetten jüdischen Lebens in der zur Hauptstadt der Republik degradierten ehemaligen Habsburgermetropole. Jede Station ist um ein Zentralereignis konzipiert, etwa den Weltkongress 1923 der Agudas Jisroel, der orthodoxen Juden mit Wortführer Nathan Birnbaum, dem konträr 1925 der
    14. Zionistenkongress in Wien mit seiner Leitfigur Theodor Herzl gegenübersteht. Andere Räume beleuchten etwa soziale Errungenschaften der Zeit: So erhielt beispielsweise unter der Ägide des Wiener Stadtrats für Wohlfahrtswesen Julius Tandler jede Mutter ab 1927 ein Säuglingswäschepaket – kein Wiener Kind sollte in Lumpen zur Welt kommen – Wohlfahrtsinstitutionen wurden gegründet, Badeanstalten wie das prachtvolle Amalienbad eröffnet. Auch die Sozialforschung schlug neue Wege ein: Die bahnbrechende Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ unter Hauptautorschaft der Sozialpsychologin Marie Jahoda befasste sich erstmals wissenschaftlich mit dem Problem der Arbeitslosigkeit.
    Wien beherbergte in der Zeit der Ersten Republik mit rund 200 000 Personen die größte Anzahl jüdischer Bürger im deutschen Sprachraum. Sie repräsentierten elf Prozent der Bevölkerung und nahmen in den unterschiedlichsten Bereichen führende Stellungen ein. So erstreckt sich auch das Themenspektrum der Ausstellung über Kunst, Literatur, Tanz, Film, Kultur und Kultus bis hin zu Sozialforschung und sozialem Wohnungsbau, Parteienwesen und Spekulantentum, aber auch die Armut des jüdischen Proletariats ist Thema. Selbst der Fußball erhält unerwarteterweise seinen Platz. Mit den Teams der Hakoah und der Austria waren jüdische Vereine führend im österreichischen Fußball. Friedrich Torberg erzählt in seinem Anekdotenband „Die Erben der Tante Jolesch“ die Geschichte, wie die Wiener, die nicht gerade pro-jüdisch eingestellt waren, unversehens in die Lage gerieten, sich für die jüdische Wiener Hakoah engagieren zu müssen: Als Hakoah ein Freundschaftsspiel gegen den jüdischen Verein Vivo Budapest aus Ungarn bestritten habe, habe sie der nicht-jüdische Teil des Wiener Publikums mit den Worten angefeuert „Hoppauf Hakoah, zeigt’s es denen Juden!“ – „Für die Dauer dieses Spiels war sie eben keine jüdische, sondern eine Wiener Mannschaft. Juden waren die Ungarn.“
     
    Die Welt der Tante Jolesch
    „Die Welt der Tante Jolesch“ lautet auch der Untertitel der Ausstellung. Dieser jedoch ist irreführend, denn mit der kleinen Welt des Schtetl und der Idylle im Privaten hat die Schau wenig gemein. Sie zielt eher auf die Stellung der Juden in der Öffentlichkeit ab. Deren Probleme zeigen sich etwa an der Schwierigkeit jüdischer Autoren trotz hochwertiger Werke adäquate Publikationsmöglichkeiten zu erhalten. Das änderte sich erst mit der Gründung des Paul Zsolnay-Verlages. Hier konnten jüdische Autoren ebenso publizieren wie unbequeme Schriftsteller, deren Werke später von den Nazis verfemt wurden: Heinrich Mann, Franz Werfel, Carl Sternheim, Arthur Schnitzler, H. G. Wells oder Felix Salten, letzterer Autor des Kinderbuchs „Bambi“, das im Dritten Reich als „unerwünschtes Schrifttum“ galt. Hugo Bettauer, Schriftsteller und Journalist, hatte das Ergebnis der Naziherrschaft bereits 1922, wenn auch in verniedlichter Form, in seinem Bestseller „Stadt ohne Juden“ beschrieben. Der Titel der Schau bezieht sich auf sein Buch. Darin bemerkten die Wiener noch, was ihnen mit einem plötzlichen und vollständigen Abzug der Juden abgehen würde, und fordern diese schließlich zur Rückkehr auf. In der Realität sollte es kein Happy Ending (das Wort „Happy End“ gibt es eigentlich gar nicht, sondern es ist eine deutsche Fehlprägung; richtig muss es „Happy Ending“ heißen) geben, heute leben gerade noch fünf Prozent der ursprünglichen Zahl jüdischer Bürger in Wien, von dem Hitler einmal sagte, hier habe er seinen Antisemitismus gelernt.
    Dabei gab es „die Juden“ auch damals schon nicht, ihre Gruppe war so inhomogen wie der Rest der Bevölkerung auch. Dem reichen Devisenspekulanten, der als Kunstmäzen auftrat, stand der Hungerleider gegenüber, der die Butter nicht auf das Brot hatte. Sie alle agierten in einer Epoche des Übergangs, vom Kaiserreich zur Republik, vom Historismus zur Modernität, und allenthalben war die Suche nach einem „neuen Menschen“ sichtbar – sei es in den Gesellschaftsentwürfen des Austromarxisten, der Zionisten, Schulreformer, in der Naturwissenschaft und Psychologie oder einfach nur im Konsumenten der neuen Medien der Massenkommunikation, wie Boulevardpresse, Radio, Kino und Reklame.
    Die geistigen Spitzenleistungen dieser Zeit, so die These des Ausstellungsteams um Kurator Joachim Riedl, seien aus der Konfrontation alteingesessener Wiener mit den Zuwanderern aus dem Osten entstanden. Wenn es die Wiener oft auch bis heute nicht wahrhaben wollen: Die Protagonisten, die Wien in den zwanziger Jahren zur führenden Metropole der Modernität in Europa machten – wie Arnold Schönberg, Max Reinhardt, Sigmund Freud, Alfred Adler, Theodor Herzl oder Karl Kraus – sie waren häufig jüdischer Herkunft. „Das Wiener Judentum ist ein Stück von Wien“, schrieb der Kulturhistoriker Hans Tietze bereits 1933, „es hat Teil an der Problematik des Wienerischen, mit dessen Saft sich der seine so lange vermischt hat.“
     
    „Wien, Stadt der Juden – Die Welt der Tante Jolesch“; zu sehen bis 31. Oktober 2004 im Jüdischen Museum Wien, Dorotheergasse 11 (Palais Eskeles), 1010 Wien. Verkehrsanbindung: U1, U3, Station Stephansplatz. Öffnungszeiten: Sonntag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. Eintrittspreise: 5 €, ermäßigt 2,90 €; Ausstellungskatalog im Museum (26,90 €) und im Buchhandel (34,90 €) erhältlich.