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      Gedanken zum Evangelium - 28. Sonntag im Jahreskreis

      Hedwig, Elisabeth und das Helfen

      Im Evangelium rät Jesus, alles zu verkaufen und das Geld den Armen zu geben. Wie die heilige Elisabeth. Aber ist es nicht klüger, in nachhaltige Projekte zu investieren wie die heilige Hedwig? Einschätzungen der Berliner Caritasdirektorin Ulrike Kostka.

      Evangelium

      In jener Zeit lief ein Mann auf Jesus zu, fiel vor ihm auf die Knie und fragte ihn: Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? Jesus antwortete: Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer der eine Gott. Du kennst doch die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen, du sollst keinen Raub begehen; ehre deinen Vater und deine Mutter!

      Er erwiderte ihm: Meister, alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt. Da sah ihn Jesus an, gewann ihn lieb und sagte: Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!

      Der Mann aber war betrübt, als er das hörte, und ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen. Da sah Jesus seine Jünger an und sagte zu ihnen: Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen! Die Jünger waren über seine Worte bestürzt. Jesus aber sagte noch einmal zu ihnen: Meine Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes zu kommen! Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.

      Sie aber gerieten über alle Maßen außer sich vor Schrecken und sagten zueinander: Wer kann dann noch gerettet werden? Jesus sah sie an und sagte: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich.

      Da sagte Petrus zu ihm: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Jesus antwortete: Amen, ich sage euch: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen. Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser und Brüder, Schwestern und Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben.

      Markusevangelium 10,17–30

      Ihre Aufmerksamkeit für Hedwig sei erst recht spät gekommen, sagt Ulrike Kostka. Lange stand die „etwas verstaubt wirkende“ Heilige aus dem späten 12. Jahrhundert für sie im Schatten der viel bekannteren Elisabeth von Thüringen.

      Als sie beim Deutschen Caritasverband in Freiburg arbeitete, sah sie in der Hauskapelle immer die Fenster der vier Caritas-Heiligen: Vinzenz von Paul, Maximilian Kolbe, Elisabeth von Thüringen und Hedwig von Schlesien. Aber erst eine Bistumswallfahrt des Erzbistums Berlin nach Polen habe ihr diese Heilige, die sonst gefühlt „etwas nachgeordnet“ war, näher rücken lassen, sagt die heutige Caritasdirektorin des Erzbistums Berlin.

      Beide Frauen – Elisabeth und Hedwig – stünden exemplarisch für das, was im Evangelium gefordert wird: „Verkaufe, was du hast, und gib es den Armen“. Das erinnert zunächst eher an das Modell Elisabeth, also daran, dass die Thüringerin sich der Armenfürsorge widmete, indem sie ihren Besitz hergab und selbst ein Leben in Armut führte. Modell Hedwig sieht etwas anders aus: Ihrer überlieferten Lebensgeschichte zufolge gründete Hedwig mit ihrem Besitz als Herzogin von Schlesien mehrere Klöster und soziale Einrichtungen, baute Strukturen auf, investierte in Bildung, Integration und Verständigung.

      Zwei Modelle ergänzen sich

      „Sie ist eine nachhaltige Heilige“, sagt Kostka über die heilige Hedwig und kommt dabei regelrecht ins Schwärmen: Eine Brückenbauerin zwischen den Menschen im heutigen Deutschland und Polen sei sie durch ihre Herkunft im bayerischen Andechs und ihr Wirken in Schlesien; ein Vorbild für gesellschaftliche Teilhabe von Benachteiligten; eine starke Frau, die in einer männerdominierten Kirche ihren Einfluss zum Guten geltend gemacht habe; eine strategisch kluge Frau, die nachhaltige Strukturen aufgebaut und so gesellschaftliche Veränderung bewirkt habe. Kurz: eine moderne Frau, die „völlig zu Recht auch die Chefin der Berliner Kathedrale ist“, sagt Kostka.

      Als Bistumspatronin und Namensgeberin der Hedwigskathedrale solle sie noch viel mehr in den Blick gerückt werden, meint Kostka – gerade in einem multikulturellen Grenzbistum im Herzen Europas wie dem Erzbistum Berlin und gerade als Frau, die heute noch viel zu sagen habe: „Da wäre es doch schön, wenn wir nicht nur an sie erinnern, sondern aus dieser Erfahrung auch Frauen von heute in der Kirche mehr zu Wort kommen lassen.“ Die Feiern zur Wiedereröffnung der Berliner Hedwigskathedrale seien dazu ein guter Anlass.

      Im Blick auf das Evangelium dieses Sonntags, das den Ruf zur Nachfolge mit dem auch finanziellen Einsatz für die Armen verbindet, will Kostka das Modell Elisabeth und das Modell Hedwig nicht gegeneinander ausspielen. Eher ergänzten sich beide Wege und gäben Orientierung im Alltag des Helfens, sagt sie.

      Und das ganz praktisch: „Wer sich im Großen wie im Kleinen für andere engagiert, kann von Elisabeth lernen, dass es auf die Haltung ankommt“, sagt Kostka. Und Hedwig ergänze durch ihr Vorbild, wie aus der praktizierten Barmherzigkeit eine langfristige soziale Gerechtigkeit werden könne. Das sei ein nachhaltiges Konzept, das von Unternehmensberatungen heute nicht aktueller empfohlen werden könnte. „Hedwig steht für Professionalität und den klugen Umgang mit Macht“, so die Theologin.

      Feuereifer kann Strohfeuer sein

      Das motiviert Kostka auch in ihrer Arbeit als Caritasdirektorin und Verantwortliche für die vielen Mitarbeitenden der Caritas, die auch „moderne Hedwigs“ seien, wie sie sagt. Die von der Caritas professionell umgesetzte Nächstenliebe müsse sich „mit der Haltung Elisabeths und der Klugheit Hedwigs immer auch selbst reflektieren und fragen, wie sie fachlich so gut aufgestellt ist, dass sie langfristig wirken kann“.

      Denn: Eine Nächstenliebe, die „nur aus dem Herzen heraus“ erfolge, könne bei allem Feuer der Begeisterung auch scheitern, weil Menschen innerlich daran verbrennen könnten. Es gehe nicht darum, „alles herzugeben und im Feuereifer letztlich ein kurzfristiges Strohfeuer der Hilfe abzubrennen, das dann schnell wieder erlischt“, sagt Kostka. Vielmehr müsse man „die Hilfe nachhaltig sichern, wie dies Hedwig getan hat“.

      Die Theologin nennt ein Beispiel: Bei der Flut-Katastrophe an der Ahr vor drei Jahren sei es zunächst darum gegangen, schnelle Hilfe zu leisten und viel Geld bereitzustellen; aber dann auch darum, die Hilfe und den Wiederaufbau nachhaltig zu organisieren. Deshalb gehörten Soforthilfe und nachhaltige Hilfe  – hier wie auch bei anderen Katastrophen weltweit – zusammen: Modell Elisabeth und Modell Hedwig, nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzung.

      „Verkaufe alles und gib es den Armen“, das hat für die Caritasdirektorin Kostka noch eine ganz andere praktische Bedeutung. Denn auch in der Frage, welche kirchlichen Immobilien abgegeben werden sollten, passe das Modell Hedwig mit dem Modell Elisabeth gut zusammen: Wenn schon nach Elisabeth ein Teil des Besitzes verkauft wird, dann doch nach Hedwig so, „dass mit dem Erlös nachhaltiges Helfen möglich ist“, hofft Kostka. Die Entscheidung, an wen verkauft wird, ob nur der höchste Kaufpreis entscheidet und welche nachhaltigen Projekte mit dem erwirtschafteten Geld gefördert werden, das sei „Gestalten mit Verantwortung“.

      Einfach nur abgeben sei zu wenig – bei Immobilien und überhaupt. „Wir brauchen beides: den Elisabeth-Geist und den Hedwig-Geist“, sagt Ulrike Kostka. Haltung und Nachhaltigkeit: für die Caritasdirektorin ist das Anliegen und tägliches Geschäft.

      Michael Kinnen

      Zur Person

      Ulrike Kostka stammt aus Niedersachsen. Sie studierte in Münster Theologie, promovierte in Moraltheologie und hat einen Master in Gesundheitswissenschaften. Seit 2012 ist sie Caritasdirektorin im Erzbistum Berlin.