Evangelium
In jener Zeit nahm Jesus Petrus, Johannes und Jakobus beiseite und stieg mit ihnen auf einen Berg, um zu beten. Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes und sein Gewand wurde leuchtend weiß. Und plötzlich redeten zwei Männer mit ihm. Es waren Mose und Elija; sie erschienen in strahlendem Licht und sprachen von seinem Ende, das sich in Jerusalem erfüllen sollte. Petrus und seine Begleiter aber waren eingeschlafen, wurden jedoch wach und sahen Jesus in strahlendem Licht und die zwei Männer, die bei ihm standen. Als die beiden sich von ihm trennen wollten, sagte Petrus zu Jesus: Meister, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. Er wusste aber nicht, was er sagte. Während er noch redete, kam eine Wolke und warf ihren Schatten auf sie. Sie gerieten in die Wolke hinein und bekamen Angst. Da rief eine Stimme aus der Wolke: Das ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören. Als aber die Stimme erklang, war Jesus wieder allein. Die Jünger schwiegen jedoch über das, was sie gesehen hatten, und erzählten in jenen Tagen niemand davon.Lukas 9,28b–36
In seinem Buch „Meine heiligen Berge“ schreibt der Ausnahmebergsteiger Reinhold Messner: „Wir steigen nicht auf Berge, um Gipfel zu erreichen, sondern um heimzukehren in eine Welt, die uns als neue Chance, als ein nochmals geschenktes Leben erscheint.“ Reinhold Messner weiß, wovon er schreibt, hat er doch bei all seinen Extrem-Bergtouren auf der ganzen Welt unzählige Male dem Tode ins Gesicht geblickt. Beim Abstieg des Nanga Parbat im Himalaja kam 1970 sein Bruder Günther ums Leben.Aus diesen schmerzlichen Erfahrungen, doch sicher auch aus all den überwältigenden und wunderschönen Erlebnissen, die er im Laufe seines Bergsteigerlebens gesammelt hat, kam er zu dem Schluss: „Wir steigen nicht auf Berge, um Gipfel zu erreichen, sondern um heimzukehren in eine Welt, die uns als neue Chance, als ein nochmals geschenktes Leben erscheint.“
In der Bibel wird der Berg häufig zum Ort der Gottesbegegnung. Am Horeb erscheint Gott dem Mose im brennenden Dornbusch und offenbart sich ihm als JHWH, der Gott, der immer mit seinem Volk Israel sein wird (vgl. Ex 3). Auf der Flucht vor den Ägyptern und der Wanderung durch die Wüste hin zur versprochenen neuen Heimat in Palästina erhalten die Israeliten am Sinai die Zehn Gebote (vgl. Ex 19). Durch den Propheten Elija geschieht am Karmel ein Gottesurteil gegen den heidnischen Baalskult, wodurch das ganze Volk Jahwe als den einzig wahren Gott anerkennt (vgl. 1 Kön 18). Das Bild vom Berg als Ort der Sicherheit und des Schutzes begegnet in den Psalmen ebenso wie die Vision von Gott als Weltenrichter auf dem Zion (z.B. Ps 30; Ps 76). Bereits im Alten Testament berichten Menschen also von „Gipfelerlebnissen“, die ihr Leben verändert oder auf besondere Weise geprägt haben. Auch Jesus ermöglicht seinen Jüngern ein derartiges „Gipfelerlebnis“: Er nimmt sie mit auf den Berg Tabor, um gemeinsam zu beten. Jesus möchte ihnen eine ganz persönliche Gottesbegegnung schenken. Schon einige Zeit sind sie mit ihm umhergezogen und haben so manches Wunder erlebt. Jetzt sind sie selbst an der Reihe. Petrus, Jakobus und Johannes sollen selbst erfahren, was es heißt, tief mit Gott in Verbindung zu stehen, aus dem Glauben an ihn Kraft zu schöpfen und somit das Leben meistern zu können. Womöglich wundern sich die Apostel des Öfteren, woher Jesus seine Stärke nimmt. Auf dem Gipfel des Berges, wo sie nun sind, dürfen sie es erkennen – begreifen können sie es kaum. Im Moment der „Verklärung“ wird alles um Jesus herum hell und strahlend. Jesus wird den Jüngern durch die Stimme aus dem Himmel als Gottes geliebter Sohn geoffenbart. Ihnen geht sozusagen ein Licht auf, wie es ihnen von alleine gar nicht hätte aufgehen können. Kein Wunder, dass sie einen solchen Moment der Klarheit und Erleuchtung gerne festhalten und auf dem Berg bleiben möchten. Doch es ist nicht Sinn ihrer neuen Erkenntnis, diese für sich zu behalten; sie sollen sie mit allen Menschen teilen, denen sie künftig begegnen. Und aus dem Wunderbaren, das sie erlebt haben, dürfen sie Kraft schöpfen für den Alltag, dem sie am Fuß des Berges wieder entgegengehen. Die Jünger haben ihr Tabor-Erlebnis als „Chance, als nochmals geschenktes Leben“ genutzt, um von der Frohen Botschaft Jesu zu erzählen. Wenn uns etwas Schönes, ein „Gipfelerlebnis“ geschenkt wird, dann dürfen wir es auch teilen, damit sich unsere Freude ausbreitet und das Leben vieler bereichert. Kerstin Gerlach („kerstin.gerlach@bistum-wuerzburg.de“) ist Pastoralreferentin in der Pfarreiengemeinschaft Am Engelberg/Großheubach.