Eingeladen hatte man Menschen, deren Freunde, Bekannte und Verwandte einsam gestorben waren. Viele von den Gästen stehen ebenso wie die meisten Toten, deren man an diesem Tag gedenken will, am Rande der Gesellschaft. Einige von ihnen sind Obdachlose oder auf unterschiedliche Weise in ihrem Leben gescheitert. Beim Gottesdienst musste sich niemand für sein Schicksal schämen oder rechtfertigen. Als eine Art Schutzburg vor dem harten Leben draußen, bot die Kirche die Möglichkeit zu entspannen, sich im Gebet auf die eigene Seele zu konzentrieren und in aller Stille an die Menschen zu denken, die man gern gehabt und verloren hatte.
„Jedes Leben ist kostbar vor Gott, egal wie es verläuft“, sagte Pfarrer Matthias Leineweber in seiner Ansprache. Gemeinsam mit der evangelischen Pfarrerin Angelika Wagner sprach er während des Gottesdienstes viel von Liebe, Hoffnung und Trost, den ein Mensch in einer Gemeinschaft finden könne. Eine zentrale Rolle im gelungenen menschlichen Miteinander spiele das Mitleid, so wie es Jesus vorgelebt habe.
Im Anschluss an die Ansprache wurden jene 200 Namen von Verstorbenen vorgelesen, welche die geladenen Gottesdienstbesucher zuvor ausgewählt hatten. Als man dann für all diese Menschen Kerzen anzündete, sorgte wohl nicht allein das milde Kerzenlicht für eine gewisse Weichheit in den Zügen vieler sonst eher verhärmter Gesichter. Zum Abschied überreichte Pfarrer Leineweber jedem Gottesdienstteilnehmer als Zeichen der Hoffnung und der Freundschaft noch eine Blume. Danach ging es zum gemeinsamen Essen ins Pfarrheim.
Die Gäste, die sich durch die „Mensa“, einen Mittagstisch, der einmal in der Woche von Sant’Egidio im Stadtteil Zellerau veranstaltet wird, bereits kannten, bildeten eine fröhliche Runde. Das traurige Thema Tod verlor bei Bratwurst und anschließendem Kaffee und Kuchen seinen schwermütigen Charakter und zurück blieb das schöne Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören. So wie bei Winfried Braun. Er lebt seit dem Tod seiner Frau 1999 allein in seiner Wohnung im Würzburger Stadtteil Grombühl. Der 70-Jährige sei froh, dass er durch Sant’Egidio Anschluss gefunden habe. „Ich brauche einen Gesprächspartner, sonst geh ich ein wie ein Primele.“ Der Gottesdienst sei „sehr ergreifend“ gewesen. Als er eine Kerze für seine Pflegeeltern Clemens und Kunigunde Fischer anzündete, habe er „innerlich geweint“, gab er offen zu.
Besonders viele Kerzen waren an diesem Tag vor allem für zwei Personen angezündet worden: Otto Bauer und Fritz Werner Marschner, Letzterer war als „Wurzelsepp“ vielen Würzburgern bekannt. Beide waren Männer ohne festen Wohnsitz, die Würzburger Innenstadt war ihr Zuhause. Den Namen „Wurzelsepp“ erhielt Marschner, weil er seine Krankheiten mit seinen in jungen Jahren gesammelten Heilkräuterkenntnissen selbst zu therapieren versucht hatte, wie sich ein Bekannter erinnert. Mit seiner Ziehharmonika gehörte der „Wurzelsepp“ zum Stadtbild. Ebenso Otto Bauer, ein früherer Frauenarzt, der auf der Straße gelandet war, nachdem er verbotenerweise eine Abtreibung vorgenommen hatte. Nach dem Tod der beiden Männer im Januar 1998 hatten viele Würzburger Geld für ein Grab für die beiden am Würzburger Hauptfriedhof gespendet, in dem alle Menschen, die wie Otto Bauer und der „Wurzelsepp“ ohne festen Wohnsitz auf der Straße lebten, nach ihrem Tod ruhen können.