Freitagabend. Während das Team im Pfarrheim Werneck seit Stunden mit dem Essen auf die angemeldeten Übernachtungsgäste aus der Rhön wartet, genießen die Wallfahrer in Karlstadt schon Pommes frites und Bratwürste. Auch erste Verletzungen gibt es zu beklagen: Ein Mädchen hat sich bei einem Sturz einen Bluterguss im Ellenbogen zugezogen, der ärztlich behandelt werden muss.
Im Marktheidenfelder Quartier wachen vier Minis aus Mainbullau über gut 40 ausgebreitete Schlafsäcke, deren Besitzer sich derweil bei einer „Karibischen Nacht“ auf dem nahen Marktplatz vergnügen. Die vier haben sich einer Gruppe aus ihrer Nachbarpfarrei Großheubach angeschlossen, da sie selbst keine Aufsichtsperson finden konnten. „Von 16.30 bis ungefähr 21.15 Uhr waren wir unterwegs“, erzählt der zwölfjährige Simon Schultt. „Zwischendurch waren wir ganz schön kaputt, aber jetzt geht es wieder.“ Trotzdem lassen sie den Abend ruhig ausklingen, um Kräfte für die zweite Etappe zu sammeln.
Am Samstag herrscht schon in aller Frühe Hochbetrieb in den drei „Zentren“. Beim Frühstück stärken sich die Minis für die Fahrt nach Würzburg und sichten noch einmal ihre Radwanderkarten. Nach dem Einpacken steigen sie wieder aufs Rad.
Für die 36 Teilnehmer in Marktheidenfeld kommt die erste Steigung schon nach einem Kilometer. Da bietet es sich geradezu an, oben auf dem Berg anzuhalten und eine Statio aus dem rot-weißen Wallfahrtsheft zu beten. Danach geht es weiter, vorbei an blühenden Wiesen und Feldern in Richtung Würzburg.
Was bedeutet es für die Minis, dass man ihre mittlerweile vierte Radwallfahrt mit der Prozession der Kiliansreliquien verknüpft hat? „Das ist uns eigentlich nicht so wichtig“, sagt Philipp Müller aus Aschaffenburg ganz unverblümt, „wir sind hier zum Radfahren und nicht für die Reliquien.“ Mit seiner Gruppe aus der Pfarrei St. Kilian sonnt er sich am Maintal-Radwanderweg bei Erlabrunn. Nach einer langen Anfahrt am Vortag gehen sie die letzten 15 Kilometer flussaufwärts locker an; im Gegensatz zu vielen anderen Gruppen mussten sie erst um 9.30 Uhr aufbrechen und können sich dennoch Zeit lassen.
Als die ersten Gruppen auf dem Würzburger Sanderrasen eingetroffen sind, beginnt dort das Vorprogramm. Während die Räder auf der Tartanbahn für den späteren Fahrradkorso in Position gebracht werden, moderieren vier Mitglieder des diözesanen Ministrantenarbeitskreises verschiedene Geschicklichkeitsspiele. Da gilt es, mit dem Rad innerhalb kurzer Zeit mehrere Luftballons zum Platzen zu bringen oder mit einer Schwimmnudel Plastikreifen einzusammeln – auf einem Slalomparcours. Höhepunkt ist das „Tjosten“, eine Art Ritterspiel auf Rädern, bei dem zwei Gegner mit der Schwimmnudel möglichst viele Treffer beim anderen landen müssen. Die Kinder und Jugendlichen sind begeistert.
Nach der offiziellen Begrüßung der Teilnehmer aus rund 60 Pfarreien durch Ministrantenreferent Dirk Rudolph und Diözesanjugendpfarrer Thomas Eschenbacher gibt es Mittagessen. Anschließend wird es ernst: Unterstützt von einer Hundertschaft der Polizei bahnen sich 500 Ministranten auf ihren Fahrrädern laut klingelnd einen Weg durch die Würzburger Innenstadt, am Dom vorbei zum Parkplatz des Kilianeums. Für ihren „Chef“ Dirk Rudolph, der verletzungsbedingt nicht selbst mitfahren kann, haben sich seine Mitarbeiter etwas Besonderes ausgedacht: In einer indischen Rikscha führt er den Radkorso an.
Vom Kilianeum aus laufen die Minis zur Kirche St. Burkard, wo um 16 Uhr die Statio mit Bischof Friedhelm beginnt. „Die Freude an Gott, Halleluja, ist unsere Kraft, Halleluja“, singt man passend zum diesjährigen Wallfahrtsmotto in der voll besetzten Kirche, bevor die Reliquien von Kilian, Kolonat und Totnan zum Dom überführt werden. Im Gegensatz zu früheren Jahren, in denen man den kristallenen Schrein am Sonntagmorgen durch fast menschenleere Gassen getragen hatte, ist am heutigen Tag die Innenstadt auf den Beinen. Weit über tausend Passanten auf der Alten Mainbrücke und in der Domstraße werden Zeugen der beeindruckenden Prozession, die von Mitgliedern des Diözesanrates und des Domkapitels angeführt wird. Musikalisch begleitet durch die Band „Sternfeld“ feiern die Ministranten und alle Prozessionsteilnehmer einen Vespergottesdienst zum Abschluss der Wallfahrt. Mittendrin: der Kiliansschrein. „Ohne diese Reliquien wäre der Kiliansdom nicht denkbar“, sagt Bischof Friedhelm in der Predigt. Er skizziert die Geschichte und Motivation der drei Märtyrer, deren Glaubenszeugnis in Franken bis heute nachwirke. Durch den Dienst am Altar könnten auch die Ministranten den Menschen die Nähe Gottes zeigen: „Ihr seid die Zukunft der Kirche, das Salz der Erde und das Licht auf dem Berg“, ruft der Bischof ihnen zu, „ihr zeigt unseren Mitmenschen, dass der Glaube nicht farblos, sondern lebendig ist!“ Nach dem Gottesdienst gibt es für die Wallfahrer noch einen Imbiss im Domkreuzgang, bevor sie sich auf Fahrrädern, in Autos und Zügen wieder auf den Heimweg machen.