„Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man alle Orte – auch ehemals evangelische – mit einer Kirche besetzt, zumindest wenn Heimatvertriebene da waren“, sagt Dr. Jürgen Emmert. Er leitet die Abteilung Kunst des Bischöflichen Ordinariats Würzburg sowie die Projektgruppe Immobilienkategorisierung. Daher hat er einen Überblick über die Kirchenlandschaft in Unterfranken. Deren Bandbreite ist groß, sie reicht von der spätgotischen Hallenkirche zum dezent ausgestatteten Betonbau. Und oft gibt es in Gemeinden mehr als ein einziges katholisches Gotteshaus.
Rangfolge
Insgesamt begutachtete das vierköpfige Team Immobilienkategorisierung über 800 Kirchen und Kapellen, 600 Pfarrhäuser und 400 Pfarrheime. Sie alle wurden in Kategorien eingeteilt, also eine Art Rangfolge erstellt. Von der jeweiligen Kategorie hängt die künftige Zuschusshöhe der Diözese ab. Damit verknüpft sind schwierige Fragen: Welche Gebäude sollte die Diözese Würzburg in Zeiten knapper Mittel und sinkender Kirchlichkeit behalten? Und was passiert mit den Gebäuden, für die es keine Verwendung beziehungsweise Zuschussmöglichkeiten mehr gibt?
Umbrüche führen zu Ungewissheiten. Und damit verbinden sich in den Gemeinden Sorgen, Wehmut, manchmal auch Wut. Besonders mit den Kirchengebäuden fühlen sich Menschen emotional verbunden, wie Emmert wahrnimmt. Hier wurden Ehen geschlossen, Kinder getauft, das Sakrament der Erstkommunion empfangen. Und ältere Gemeindemitglieder erinnern sich mancherorts noch daran, wie sie beim Kirchenbau selbst mit angepackt haben. „Gefühlt geht es um Abbau, Verlust. Für viele hatte der Prozess eine negative Botschaft. Da war auch ein Trauerprozess zu bewältigen“, erklärt Emmert.
Begleitet haben diesen Prozess moderierte Gesprächsabende in allen 43 Pastoralen Räumen der Diözese. Kunstexperte Emmert sowie die Pastoralreferenten Monika Albert und Christof Gawronski, aber auch Mitarbeiter des Referates Bau stellten sich 2022/2023 den Fragen und Zweifeln der Menschen vor Ort. Eingeladen waren Mitglieder von Kirchenverwaltungen, Räten im Pastoralen Raum sowie Pastoralteams. Die heikelste Aufgabe: den Menschen nahezubringen, welche Gebäude auf lange Sicht wohl nicht mehr von der Diözese unterhalten werden. Und warum das so ist. Dabei ging es durchaus „hoch her“, erinnert sich Emmert. „Ihr da oben, ihr habt das gedealt. Wir sind ja nicht gefragt worden“, sei zum Beispiel eine Aussage gewesen. „Warum jetzt? Lasst es einfach noch mal zehn Jahre laufen“, lautete ein anderer Einwand. Auch Zweifel an der Kompetenz der Verantwortlichen in Würzburg gab es: „Wisst ihr überhaupt, wovon ihr redet?“
Emotionale Bindung
Emmert versteht diese Emotionalität. „Wir freuen uns ja, dass es eine emotionale Bindung zum Kirchenraum gibt.“ Schmerz bleibt da beim Abschied nicht aus. Die Veränderungen in Kirche und Gesellschaft erfordern jedoch eine Antwort, und die muss theologisch durchdacht sein. Denn viele moderne Kirchen in der Diözese wurden zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) oder unmittelbar danach errichtet. Fällt nun die Entscheidung, eine moderne Kirche nicht mehr zu erhalten und künftig lieber die alte Barockkirche zu nutzen, kann dies den Verdacht erwecken: „Ihr baut das Konzil zurück.“
Diesen Eindruck versucht das Team Immobilienkategorisierung zu zerstreuen. Auch indem die Mitglieder eine verstärkte ökumenische Zusammenarbeit anregen. Wenn bei den katholischen Christen die Kirchgängerzahl sinkt und bei den evangelischen Christen genauso – was läge näher, als aufeinanderzuzugehen und einen sakralen Raum für beide Gemeinschaften zu nutzen? Aus Emmerts Sicht wird dieses Vorgehen den Geist des Konzils eher beleben als schwächen.
Vertrauen schaffen
Zudem versuchen die Verantwortlichen, durch Transparenz Vertrauen zu schaffen. Vor der Einteilung der kirchlichen Gebäude in Zuschusskategorien wurden deren Daten erfasst. Das betraf alle Kirchen und liturgisch genutzten Kapellen sowie die Pfarrhäuser und Pfarrheime in der Diözese. Diese Daten sind seit dem 1. Mai frei zugänglich für Kirchenpfleger und Verantwortliche der Kirchenverwaltungen. Diese können die Daten beim zuständigen Verwaltungsreferenten anfordern.
Über die Köpfe der kirchlich engagierten Personen vor Ort wird nichts entschieden. Die Räte im Pastoralen Raum werden um ihr Votum gebeten. Derzeit gehen aus den Pastoralen Räumen Rückmeldungen im Bischöflichen Ordinariat ein. Dabei können Korrekturen beantragt werden, wenn den ortsansässigen Haupt- und Ehrenamtlichen zum Beispiel die Kategorisierung eines Gebäudes missfällt. Über Korrekturwünsche entscheiden Generalvikar Dr. Jürgen Vorndran, Domkapitular Albin Krämer und Finanzdirektor Sven Kunkel, in letzter Instanz der Bischof. Voraussichtlich wird die Immobilienkategorisierung bis Jahresende weitgehend abgeschlossen sein. Nach Emmerts Eindruck ist das Verständnis für das Vorgehen der Diözese in den Gemeinden gewachsen. „Der Tenor in den Gemeinden ist: Wir wissen schon, dass unsere Gemeinden schrumpfen“, sagt Emmert. Das wecke Verständnis dafür, dass das kirchliche Gebäudeangebot viel größer sei als die Nachfrage in den Gemeinden.
Die Gemeinden stehen nun vor der Frage, was sie mit frei werdenden Gebäuden anfangen wollen. Einige Profanierungen von Kirchen sind mittlerweile beantragt, berichtet Emmert, aber nicht in großer Zahl. Das Bistum suche die ökumenische Kooperation, um die Aufgabe von sakralen Räumen möglichst zu vermeiden. Bei Pfarrhäusern und Pfarrheimen könnte zum Beispiel eine Kooperation mit der Tagespflege oder dem Dorfladen weiterhelfen. So lässt sich Bestehendes erhalten – wenn auch anders, als gewohnt.
Ulrich Bausewein
Wie geht‘s weiter mit den Immobilien?
Über Möglichkeiten, Kirchen und kirchliche Gebäude neu zu nutzen, informieren regionale Werkstätten. Dabei werden Ansprechpersonen und Begleitangebote vorgestellt. Die Anmeldung ist möglich über das Fortbildungsinstitut der Diözese, E-Mail fbi@bistum-wuerzburg.de.
• 14. Oktober, 9 bis 12 Uhr: Matthias-Ehrenfried-Haus Würzburg, Bahnhofstraße 4–6;
• 16. Oktober, 18 bis 21 Uhr: Pfarrsaal St. Kilian Schweinfurt, Friedrich-Stein-Straße 30;
• 8. November, 18 bis 21 Uhr: Martinushaus Aschaffenburg, Treibgasse 26.