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Gelernt ist gelernt
Die Deckenbeleuchtung in der Kapelle reflektiert das weiß-lasierte Holz des Kindersarges, darunter verhüllt ein rosa-farbenes Stück Stoff das Podest. Ein Teddybär wacht daneben, rundherum schmücken Teelichtständer den Boden. Eine junge Frau mit blondem Pferdeschwanz zupft an einem Blumengesteck, das den großen Holzsarg auf der anderen Seite der Kapelle schmückt. Xenia Neuhaus lernt das Handwerk des Bestatters. Mit Klassenkameraden des zweiten Lehrjahres hat die 23-Jährige aus Leverkusen die Kapelle zu Übungszwecken gestaltet. Noch ist sie als Frau eine Seltenheit in dieser Männerdomäne. Rosina Eckert von der Bestatterschule Münnerstadt erkennt aber mehr und mehr einen Gegentrend: „Immer öfter interessieren sich junge Frauen für den Beruf. Sie sind kreativ, einfühlsam, können aber auch mitanfassen. Alle Frauen, die wir hier haben, sind sich den Herausforderungen des Berufes durchaus bewusst.“ In der Vergangenheit haben Bestatter selbst ausgebildet; oft waren es kleine Familienbetriebe, die die Tradition weitergeführt haben. Ohne dass es eine geschützte Berufsbezeichnung gab, geschweige denn Berufsschulunterricht oder Seminare für Aus- und Weiterbildungen. Das änderte sich 2003 mit der Einführung des berufsbildes „Bestattungsfachkraft“. Im Normalfall dauert die Ausbildung drei Jahre im dualen Ausbildungssystem. Bundesweit gibt es jährlich bis zu 180 freie Lehrstellen. Die Azubis haben pro Jahr 13 Berufsschulwochen und zusätzlich drei überbetriebliche Lehrgänge, an denen sie in Münnerstadt teilnehmen. Grabtechnik, Warenkunde und die Gestaltung einer Trauerfeier, die hygienische Versorgung eines Verstorbenen sind Themen der ersten beiden Seminare. Im dritten Lehrgang behandeln sie das Themenfeld der Trauerpsychologie, erläutert Verwaltungsleiterin Eckert. „Die eigene Verarbeitung ist sehr wichtig. Wenn einem Bestatter verwaiste Eltern oder die Hinterbliebenen eines Suizids gegenübersitzen, ist das nicht einfach.“ Die Auszubildenden kommen aus allen Berufssparten, vertreten sind alle Altersgruppen – vom Schulabgänger bis zum Mittvierziger, der bereits lange in einem anderen Berufsleben gestanden hat. Was sie alle reizt, ist die Vielseitigkeit des Berufs: Man muss kaufmännisches Denken mitbringen, kreatives Arbeiten am PC ist gefragt und ein Bestatter muss sich mit Riten und Religionen auskennen. Es gibt eine Flut von Rechtsvorschriften, die ein Bestatter kennen sollte, jedes Bundesland hat ein eigenes Bestattungsgesetz, jeder Friedhofsträger eine eigene Satzung. Und dann sei da noch das ganz Menschliche, ergänzt Stefan Helmus-Fohrmann, Bestatter aus Mühlheim/Ruhr: „Ich muss die ruhigste Person sein. Auch wenn alles um mich herum brennt – der Bestatter darf nicht mit 90 km/h durch die Innenstadt jagen. Das geht einfach nicht.“ Ruhe und Besonnenheit bekomme ein Berufsanfänger zwar erst durch die Routine, erklärt Helmus-Fohrmann; Empathie müsse der Berufeinsteiger aber schon mitbringen. Und die Gewissheit, ob er für den Beruf geeignet ist. „Jeder sollte sich sehr gut überlegen, ob das Seins ist. Kann ich das schaffen? Und was ist nach der Ausbildung?“ Durch neue Regelungen im Bestattungswesen hat man nach erfolgreichem Abschluss in Münnerstadt mehrere Möglichkeiten: Es gibt die Fortbildung zum geprüften Bestatter, zum Meister und zum Thanatopraktiker. Letztere kommen dann zum Einsatz, wenn ein Verstorbenener zur Aufbahrung ästhetisch einwandfrei hergerichtet werden muss. Stefan Helmus-Fohrmann hat diese Fortbildung absolviert. Nun ist er nach Münnerstadt gekommen, um demnächst seine Meisterprüfung ablegen zu können. Für den gelernten Schreiner, der vor rund zwanzig Jahren in ein traditionsreiches Bestattungsunternehmen eingeheiratet hat, war es längst überfällig, dass das Bestattungswesen einen eigenen Berufsstand bekommt. „Nicht zuletzt findet ja so auch eine Image-Aufbesserung für den Beruf statt. Wir sind inzwischen Rundum-Dienstleister. Das kann man nicht mehr nur nebenbei lernen.“ Bestattungen gehören zum handwerksähnlichen Gewerbe und unterlagen bis vor wenigen Jahren keiner Zulassungsbeschränkung. Jeder, der meinte, er habe das Zeug dazu, konnte sich als Bestatter versuchen. „Wir haben eine hohe soziale Verantwortung. Beerdigungen sind immer eine Live-Veranstaltung, da darf nichts schiefgehen. Sie können zehnmal heiraten und über Pannen lachen – gestorben wird aber nur einmal, und da sind Angehörige zu Recht sehr sensibel“, schildert Stefan Helmus-Fohrmann nachdrücklich. Und das Spektrum, in dem etwas „schiefgehen“ kann, ist breiter geworden: Vieles, das früher zunächst über den Ortsgeistlichen abgewickelt wurde, tragen nun die Bestatter mit. Die gesamte Organisation der Begräbnisfeier liegt oft in ihrer Verantwortung. Um in der Ausbildung alle Aspekte des Bestattungswesens abzudecken, sind Experten aus unterschiedlichen Bereichen nötig. Die Münnerstädter Schule kann auf rund 50 freie Mitarbeiter – darunter Floristen, Bestatter, Landschaftsarchitekten, Rechtsanwälte und Psychologen – zurückgreifen. Sie bringen sich im Unterricht mit ihrem Wissen und ihrer Praxiserfahrung ein. Apropos Praxis: Münnerstadt hat da, was das Herrichten eines Grabes und den Ablauf einer Bestattung betrifft, eine bundesweit einmalige Besonderheit zu bieten: den schuleigenen Lehrfriedhof, auf dem „geübt“ werden kann. Bestatter ist kein einfacher Beruf – für Xenia Neuhaus aber dennoch eine Herausforderung. Die junge Frau hat Wege gefunden, in der Männer-Domäne Fuß zu fassen. Viele Frauen, die den Beruf ergreifen, werden nur im Büro und für Gespräche mit Angehörigen eingesetzt. Rosina Eckert bedauert das. „Wenn eine junge Frau einen Trauerzug auf dem Friedhof begleitet, mag das ungewohnt sein – aber es hat auch etwas Natürliches und Tröstendes; anders, als wenn man einen gestandenen Bestatter vor sich hat.“ Sie sieht die Zukunft der Bestatterinnen darum positiv. Es ist Verantwortung und Aufgabe gleichermaßen, mit dem Liebgewonnenen eines anderen Menschen gut und würdig umzugehen. Männer wie Frauen bringen die Fähigkeiten dazu mit; das erfährt Rosina Eckert jeden Tag: „Mir sagte einmal eine junge Frau. Ich werde immer ganz ruhig, wenn ich einen Verstorbenen herrichte. Ich habe dann das Gefühl, er schaut mir von oben zu, wenn ich mich gut um ihn kümmere.“ Bundesausbildungszentrum der Bestatter, 97702 Münnerstadt. Telefon: 09733/7871-10, E-Mail: „eckert@bestatter.de“.