Matthäus 23,1–12
Wie in keinem anderen Evangelium stehen bei Matthäus die junge christliche Gemeinde und ihr Leben im Interesse seiner Botschaft, aber auch seiner Kritik. An der Frohen Botschaft Jesu misst er die Erfolge, aber auch das Versagen, das sich schon sehr frühzeitig zeigt. Ein wenig tröstlich ist das schon für uns Christen in der 60. Generation, dass auch die junge Kirche ihre Schwierigkeiten hatte.
Doch nicht die angeredeten Schriftgelehrten und Pharisäer sind letzten Endes mit seinen deutlichen Vorwürfen gemeint, sondern wir alle, an die sich das Evangelium richtet. Schön reden bringt es nicht, das ist die erste Feststellung: An unserem Handeln werden wir gemessen. Die Kritik des Matthäus lässt sich nicht leicht beiseite schieben.
Von schweren Lasten ist die Rede, die Menschen niederdrücken und sie damit depressiv, freudlos am Glauben machen können. Beispiele dafür finden wir in unserer Kirche genug, obwohl sie in erster Linie den Auftrag hätte zu lösen, zu erlösen und damit aufzurichten.
Die Gewissenserforschung des Evangelisten geht weiter, wenn er die Geltungssucht und die Zurschaustellung der Frömmigkeit und der amtlichen Positionen anprangert. Auch da ist es mit dem Fingerzeigen auf andere nicht getan; jeder darf sich getrost an der eigenen Nase fassen.
Wer etwas zu verkünden hat, tritt ans Licht der Öffentlichkeit und wird damit angreifbar. Im Gegensatz zu Journalisten, die heute über alles berichten dürfen, ohne sich selbst dabei in den Blick nehmen zu müssen.
Das ist für die christliche Gemeinde kein Freibrief. Es ist eine Herausforderung, sich ständig am Grundanliegen Jesu zu orientieren und zu korrigieren. Der Dienst am Nächsten wird im Evangelium als Wichtigstes in den Blick genommen: Wenn schon der Einzige, so argumentiert Matthäus, der sich Lehrer und Meister nennen darf, den Seinen gedient hat bis zur Hingabe seines Lebens, dann müssen erst recht alle, die Jesus nachfolgen wollen, das Dienen zu ihrem Lebensprogramm machen.
Das Amt in der Kirche ist in der ständigen Gefahr, diesen eigentlichen Dienst zu übersehen. Das Wort „der Größte von euch soll euer Diener sein“ wird zur leeren Floskel. Die Menschen spüren den Missbrauch: „Amt bringt Samt und Käppchen“ sagt spöttisch eine Volksweisheit.
Ohne Zweifel liest der Evangelist den „Führungskräften“ in der jungen Gemeinde die Leviten. Zu tief hat sich das Pharisäische und das Lehrerhafte gegen den Glauben der Mitchristen durchgesetzt. Pharisäisch meint dabei alles, was von Titel-, Ehr- und Ämtersucht geprägt ist. Lehrerhaft wird jeder in der Gemeinde, der nicht bereit ist hinzuhören, sondern alles schon (besser) weiß. Das Miteinander und das gegenseitige Dienen kommen dann zu kurz.
Es gilt das Wort von Joseph Kardinal Höffner: „Eine Kirche, in der alles dem Amt aufgeladen wird, hat Schlagseite.“ Das gilt auch für die Kritik. Wir haben die Kritik an der Kirche miteinander auszuhalten, damit wir dem Willen Jesu näher kommen, der kein oben und kein unten kennt, keine Amtskirche und keine Laien, sondern nur die Nachfolge.
Der Autor ist Pfarrer von St. Michael in Schweinfurt.