Evangelium
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen. Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten. Wer einen Gerechten aufnimmt, weil es ein Gerechter ist, wird den Lohn eines Gerechten erhalten. Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist – amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen.
Matthäus 10, 37–42
Beim Umzug der medizinischen Intensivstation wurden wir vor kurzem eingeladen eine ökumenische Segensfeier vorzunehmen. Zwölf einfache Tonkreuze mit unterschiedlichen Motiven hängen nun in den verschiedenen Kranken- und Arbeitszimmern. In der beeindruckenden Feier unter Beteiligung von Ärzten und Pflegepersonal wird auf das Kreuz als christliches Lebenszeichen und die Bedeutung von Seelsorge in einer oft extremen Lebenssituation hingewiesen. Auf dieser Station, wo rund zehn Prozent der Patienten „die größte aller Reisen antreten werden“ wissen alle Beteiligten um die Bedeutung des Kreuzes.
„Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ Solche Worte höre ich nicht gerne. Es geht um die Provokation des Kreuzes und die Radikalität der Nachfolge Jesu. Nicht umsonst schreibt Paulus im 1. Korintherbrief: „Für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit.“ Ich kenne keinen Menschen, der am Kreuz vorbei kommt. Es sind nicht die selbstgemachten Kreuze, vielmehr die Kreuze, die mir zukommen. Hier in den Kliniken gibt es eine besondere Verdichtung der Kreuzesnachfolge und das nicht erst im Greisenalter.
Priester und Levit auf dem Weg nach Jericho gehen an dem unter die Räuber Gefallenen vorüber. Sie gehen dem Kreuz aus dem Weg. Es geht darum, Hilfe in unterschiedlicher Form anzunehmen und anzubieten: in der Familie, in der Schule oder am Arbeitsplatz. Im Krankenhaus kommt es auf die medizinische und pflegerische Kompetenz, aber genauso auf Mitmenschlichkeit, wie Echtheit, Ehrlichkeit, und Einfühlungsvermögen an. Immer wieder gerät auch die beste und modernste Medizin an ihre Grenzen, wie im Fall des siebenjährigen Klaus (Name geändert). „Wir werden Hilfe brauchen“, sagt mir die Mutter am Sterbebett.
Patienten und Angehörige erzählen mir von der Kraft des begleitenden
Gebetes. Ich darf sie in Anspruch nehmen: die Macht des Gebetes und die Kraft des Kreuzes. Auch als Erwachsener klingt mir der Wahlspruch meines Firmbischofs Kardinal Julius Döpfner noch in den Ohren: „Wir aber verkündigen Christus als den Gekreuzigten.“ (1 Kor 1.23). Der Faden zieht sich hin zu Bischof Friedhelm Hofmann: „Das Kreuz – einzige Hoffnung.“ (Edith Stein). Das Kreuz als Hoffnungs- und Lebenszeichen.
Es ist nicht das letzte, aber ein starkes Wort. Am Ende steht die Auferstehung, das Leben. Und Gott sei Dank erfahren wir viele kleine und größere Auferstehungen, schon in diesem Leben – auch im Krankenhaus – so wie es in dem bekannten Liedtext heißt: „Manchmal feiern wir mitten im Tag ein Fest der Auferstehung.“ (Troubadour für Gott).
Der Autor ist Krankenhauspfarrer am Universitätsklinikum Würzburg.