Evangelium
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei Männer mit, denn jede Sache muss durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werden. Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner. Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein. Weiter sage ich euch: Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.
Matthäus 18,15–20
Verleumdungen hinter dem Rücken, Beschwerden ohne Betroffene zu informieren ... Nicht, was Sie vielleicht denken. Die Rede ist von Gemeinden im 1. Jahrhundert nach Christus.
Wo war er geblieben, der Pfingstgeist aus Jerusalem? Der Evangelist beschreibt bereits die Zeit nach der Tempelzerstörung in Jerusalem. Was bleibt in der zweiten und dritten Generation nach Jesus von der Reich-Gottes-Vision?
Fast beschämend, wie konkret Matthäus sich mit dieser „Instanzenabfolge“ an die Gemeinden wendet. Man kann ahnen, auf welche Problemfälle Matthäus in seiner „Gemeindeordnung“ eingeht. Das heutige Evangelium enthält eine Schlichtungsordnung, die in jedem diözesanen Amtsblatt fast wörtlich erscheinen könnte.
Unsere Beziehungen sind der Ernstfall – im 1. Jahrhundert und heute. Da wo eine Gemeinde gespalten ist, da wo ein Gremium verstritten ist oder eine Teamsituation verfahren: Da steht unsere christliche Grundhaltung, Anstand und Ehrlichkeit auf dem Prüfstand. Erst im persönlichen Konflikt geraten wir an die Grenzen der Nächstenliebe.
Das gilt auch für die Kirche. Im Sonntagsevangelium wird – wie nur selten im Neuen Testament –der Begriff „ecclesia“ verwendet, Kirche als Gemeinschaft der Herausgerufenen. Die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Gemeinschaft erweist sich im Umgang mit Konflikten. An sonnigen Urlaubstagen, fern des Alltags durften wir in den vergangenen Wochen ausspannen. In der Einsamkeit der Berge, in einer Kathedrale im Ausland können religiöse Gefühle aufkommen. Und Höhepunkte wie den Weltjugendtag braucht es auch.
Bewährung jedoch wird uns im menschlichen Miteinander abverlangt. Wo unsere Nerven und unsere Geduld aufs Äußerste strapaziert werden, da erweist sich Gott als der, der in unserer Mitte wirkmächtig ist. Da sind wir auf sein „Ich bin bei euch“ angewiesen.
In Krisen erlebte Israel Jahwe immer als einen Gott, der sich erweist. In der Wüste, wo Langeweile und Murren sich breit machten, da stand Israels Glaube auf der Probe. Wo man dem Verdursten nahe ist, ist Vertrauen gefragt. Wo die Nerven blank liegen, da wird Gebet überlebenswichtig. Und da erweisen sich Ordnungen – in den Tagen Israels bis heute – als „heil“-voller Schutz für alle Beteiligten.
„Wo zwei oder drei in seinem Namen zusammen sind, da ist er mitten unter uns.“ Hintergrund ist die jüdische Vorstellung von „Schekhina“, dem „Wohnen Gottes“ unter den Menschen. Dieses „Wohnen Gottes“ unter uns, das Wohnen Christi in seiner Gemeinde, ist uns versprochen. In guten und in den bösen Tagen. Diese Verheißung ist keine Spezialzusage für schöne Gruppengottesdienste und harmonische Gebetskreise. Diese Zusage gilt auch und erst recht für unser manchmal heilloses und aussichtsloses Miteinander.
Kirche als Gemeinschaft der Gerufenen – ecclesia – ereignet sich da, wo um Fairness und Ehrlichkeit gerungen wird. Wo Gott in unsere Mitte gerufen und eingeladen wird. Die Kirche bietet Hilfe an wie seelsorgliche Begleitung und sakramentale Lossprechung bei inneren Konflikten und Schuld.
Familien- und Eheberatung hilft bei Problemen in der „Kleinstgruppe“ der Gesellschaft. Diözesane Gemeindeberatung unterstützt in unklaren gemeindlichen Situationen. Supervision unterstützt Klärungsprozesse und neue Perspektiven als Team. Dafür stellt unsere Diözese Unterstützungsangebote zur Verfügung. Eine moderne Form der matthäischen Disziplinarordnung des 1. Jahrhunderts? Immer geht es darum, Christus in unserer Mitte spürbar zu machen: „Ich bin mitten unter euch!“
Die Autorin ist Diözesanreferentin der Pastoralreferentinnen und -referenten.