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      Garten Eden selbst gemacht

      Es duftet nach Minze, Salbei und Thymian, kaum ist man aus dem Auto gestiegen. Eine Lücke in der Hecke weist den Weg in den großen Garten: Willkommen im „Garten der vergessenen Pflanzen“.
      Zunächst sieht man nur Grün. Hohes Grün, dichtes Grün, hier und da mit Farbtupfern drin, eine eigensinnige Fülle von Pflanzen überfällt regelrecht die Sinne. Nun, mitten im Sommer, kann die Entdeckungsreise beginnen. Denn viele Hände haben dafür gesorgt, dass auf den rund 1500 Quadratmetern einstigem Brachland der Stadt ein Kräuter-, Gemüse- und Blumengarten entstanden ist. Der Garten, im Haßfurter Süden gelegen, ist ein soziales Projekt für Langzeitarbeitslose des Kolping-Bildungszentrums Schweinfurt.    Dort, wo ihnen die Natur mit ihrer Unordnung und ihrer Fülle begegnet, haben die Mitarbeiter die Aufgabe, Ordnung zu schaffen, zu züchten, zu pflegen, zu ernten. Aktuell betreut Diplompädagogin Daniela Schwarz das inzwischen seit vier Jahren laufende Projekt. Für sie ist wichtig zu betonen, dass die Arbeit im Grünen nicht explizit Gartentherapie darstellt: „Durch die Beschäftigung hier sollen Menschen, die zuletzt oder auch über Jahre hinweg keine Alltagsstruktur hatten, langsam wieder an einen Arbeitsalltag herangeführt werden.“ Struktur im Außen schaffe auch innere Struktur; „durch die Arbeit mit den eigenen Händen soll ihnen das – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben – bewusst werden.“ Angeleitet werden sie von Michael Hauck, Biologe und kreativer Kopf des Gartenbaus. Mit vielen Ideen und Pflanzen von der Grünschnitt-Deponie sowie von privaten Spendern, die Ableger gebracht haben, wurde das Kleinod hinter der hohen Hecke geschaffen.   

      Alles selbst gemacht

      Betritt man das Grundstück, wähnt man sich zunächst im Wildwuchs; schaut man aber genauer hin, bekommt alles eine Struktur. Vieles haben die Männer gemeinsam mit Hauck selbst gebaut – von der Kompostkiste über die Beet-Einfassungen bis hin zu kreativen Blumenampeln aus halbierten Autoreifen. Vor dem Gewächshaus reihen sich die Nachzuchten aneinander, eine selbst gebaute Bewässerungsanlage versorgt die Pflanzen am Wochenende.    Sechs Männer im Alter zwischen 17 und 44 Jahren sind momentan im Garten beschäftigt. Das Jobcenter hat sie dem Projekt zugewiesen. Frühes Aufstehen, Stunden ableisten und Aufgaben erledigen – das sei für viele eine große Hürde, schildert Daniela Schwarz. Die Mehrzahl von ihnen habe eine unzureichende oder auch gar keine (Aus)Bildung, sei lange ohne Tätigkeit gewesen.  Einige litten unter körperlichen und/oder psychischen Belastungen. Seitens des Kolping-Bildungszentrums hilft man ihnen auch dabei, Bewerbungen zu schreiben. „Sie brauchen Hilfestellungen bei vielen kleinen Dingen, zum Beispiel: Wie telefoniere ich?“   In der Außenstelle der Bildungszentrums  in der Industriestraße in Haßfurt befindet sich zudem noch eine Näherei. Dort arbeiten überwiegend Frauen. Einen Euro erhalten alle Mitarbeiter im Bildungszentrum pro geleisteter Stunde; zusätzlich zu ihrem ALG II-Bezug dürfen sie dieses Geld behalten. Ihr Einsatz ist jedoch begrenzt – maximal zwei Jahre können sie im Projekt bleiben. Wer dann keinen Job gefunden hat, sitzt erst einmal wieder daheim. Daniela Schwarz sieht hier Verbesserungspoten­zial: „Ich würde mir wünschen, dass schon mehr in der Schule und im Zeitrahmen zwischen Schule und Arbeitsmarkt passiert.“   

      Hohe Erwartungen und Enttäuschung

      Viele, die zu ihnen kommen, könnten nicht richtig rechnen, lesen oder gar schreiben. Sie seien nicht in der Lage, sich richtig einzuschätzen, hätten immer wieder Ablehnung erfahren, seien frustriert und daher auch unwillig. In Gesprächen mit ihren Klienten im Bildungszentrum hat Daniele Schwarz immer wieder Diskussionen beispielsweise über die Verhältnismäßigkeit von Stundenlohn: „Für 8,50 soll ich arbeiten?“, heiße es immer wieder. „Sie haben keine Erfahrung darin, einzuschätzen, was sie für ihre Qualifikation erwarten können. Wir versuchen, zu erklären, dass sie zunächst etwas leisten müssen, um sich zu qualifizieren. Vielen ist das nicht klar, da ihnen so etwas nie vermittelt wurde.“ Darüber hinaus versucht die Projektleiterin mit ihrem Team, stetig die „praktische Lebensfähigkeit“ zu verbessern. Die Erfahrung zeige, dass sich hier manche Lücke schließen lasse – sowohl durch die Handarbeit in der Näherei, wie auch durch den körperlichen Einsatz im Garten.   Dort erfahren die Klienten in der Praxis: „Wer kein Unkraut jätet, kann nur schlecht oder gar nicht ernten, da sein Gemüse überwuchert wird“, sagt Daniela Schwarz. „Das ist so einfach, das versteht jeder“, ergänzt Michael Hauck und schmunzelt. „Der Garten macht es mir relativ leicht; anhand der Arbeiten hier solches Wissen und ein Gefühl für bestimmte Tätigkeiten zu vermitteln.“ Der Garten und die Pflanzen darin entwickelten sich stetig; man schaffe etwas, ohne sich immer an dem Gleichen abzuarbeiten. Das schaffe Achtsamkeit und gebe auch Bestätigung – zwar nicht bei allen Klienten, aber hin und wieder eben doch.

      Von Grenzen und Fähigkeiten

      Einige haben durch die ihnen gestellten Aufgaben Ordnung in ihr Leben bringen können, haben Neues an sich entdeckt, ihre Fähigkeiten, aber auch Grenzen ausgelotet: Was kann ich leisten, wenn ich mich wirklich engagiere? Und so gibt es Ehemalige, die aus Spaß weiter mit im Garten helfen. Holger (Name von der Redaktion geändert) gehört dazu. Nach Ablauf der zwei Jahre im Kolping-Gartenprojekt habe er keine Stelle gefunden, erzählt er beim Salat ernten, „aber ich gebe nicht auf, und die Arbeit hier im Garten tut mir gut, da habe ich etwas zu tun. Und lecker schmeckt unser eigenes Obst und Gemüse sowieso.“ Denn das dürfen alle, die hier mithelfen, kostenlos mit nach Hause nehmen.  Judith Bornemann