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    Friede auf Erden – welche Menschen Gott liebt

    Weihnachten wird nicht gefeiert, weil es, Gott sei Dank, doch ein paar gute Menschen auf der Welt gibt, sondern weil Gottes Sohn Mensch geworden ist, um den Menschen Gott zu bringen. Die korrekte Übersetzung des griechischen Urtextes von Lukas 2,14 lautet: „... und Friede auf Erden den Menschen seiner Huld“. Man kann auch übersetzen: „seines Wohlgefallens“ (Luther) oder „seiner Gnade“ (Einheitsübersetzung). Der Akzent ist klar: Es geht um die Menschen, die Gott im Sinn hat, um sie zu erlösen, weil sie ihm gefallen, anders gesagt: weil er sie liebt.
    Friede auf Erden“, verkündet das große himmlische Heer aus dem geöffneten Himmel auf dem Hirtenfeld von Betlehem. So steht es im Lukasevangelium (2,14). Welchen Frieden?, möchte man zurückfragen, wenn man die politischen Verhältnisse im Nahen Osten kennt und die Augen nicht vor den Problemen des gesamten Globus verschließt. Freilich: Zur Zeit des Evangelisten sah die Welt nicht viel besser aus. Lukas berichtet von der Geburt Jesu aus einigem Abstand; in der Zwischenzeit hatte ein schrecklicher Krieg im Heiligen Land tausende Tote gefordert; Jerusalem war zerstört worden und sogar der Tempel, der nie wieder aufgebaut worden ist. Lukas schreibt sein Evangelium nach dieser Katastrophe – und erzählt dennoch vom Gesang der Engel und von jenem Frieden, der Gottes Ehre im Himmel entspricht. Der Evangelist weiß von den Versprechungen römischer Kaiser, den Völkern Frieden zu bringen – und steht ihrem Anspruch mit nüchterner Skepsis gegenüber. „Ara Pacis“, Altar des Friedens, heißt eine große Opferstätte, die Kaiser Augustus in Rom aufgestellt hat: auf dem Marsfeld, das dem Gott des Krieges geweiht ist. Die Botschaft ist klar: Der römische Friede ruht auf den Schultern der Legionen. Es ist der Krieg, der diesen Frieden herbeiführt; es ist die kaiserliche Macht, die ihn garantiert, es ist der politische Kult, der ihn erhält, das Opfer der Götter, die den Imperator in seinem gottgleichen Glanz widerspiegeln. Lukas lenkt den Blick nicht nach Rom, sondern nach Betlehem, nicht auf das Marsfeld, sondern auf das Hirtenfeld, nicht auf den Kaiseraltar, sondern auf die Krippe. Er lenkt den Blick in diese Richtung, weil er einen lebendigen Glauben an den Gott Israels hat, an die Erwählung seines Volkes, an die messianische Verheißung des Davidssohnes, des Heilands. Vor allem aber schaut Lukas auf die Stadt Davids, weil ihm die Geschichte Jesu vor Augen steht: von seiner Geburt bis zu seinem Tod und seiner Auferstehung. Jesus war ein Bote des Friedens. Die Friedensstifter hat er seliggepriesen. „Der Friede sei mit euch“, ist sein Gruß als Auferstandener (Lukas 24,36; Johannes 20,19.21.26).Doch bleibt die Frage: Welcher Friede? Zu einer Antwort führt die Vorfrage: Friede für wen? Wer das Gloria im Ohr hat, wird antworten: für alle Menschen guten Willens. Diese Erwartung geht auf die alte lateinische Bibelübersetzung zurück („in terra pax in hominibus bonae voluntatis“). Sie hat einen guten Sinn: Die „Menschen guten Willens“ sind weit mehr als die frommen Juden und die gläubigen Christen. Es sind alle Menschen mit einem guten Herzen, vielleicht auch nur mit einer guten Idee oder einer guten Tat. Diese Menschen sind für Juden und Christen von großer Bedeutung: Es sind Bundesgenossen in einer Welt des Unfriedens, es sind Koalitionspartner in Auseinandersetzungen um Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit, es sind Schlichter in den Konflikten der Kulturen. Diese Menschen guten Willens hat Jesus im Sinn, wenn er vom Königssohn erzählt, der nach den guten Werken schaut: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, habt ihr mir getan“ (Matthäus 25,40). Doch so wichtig alle Menschen guten Willens sind und so sehr sie zum Frieden auf dieser Welt beitragen: Die alte lateinische Bibelübersetzung verschiebt den Blickwinkel von dem, was Gott für die Menschen tut, zu dem, was Menschen mit Gottes Segen füreinander tun können. Weihnachten wird nicht gefeiert, weil es, Gott sei Dank, doch ein paar gute Menschen auf der Welt gibt, sondern weil Gottes Sohn Mensch geworden ist, um den Menschen Gott zu bringen. Die korrekte Übersetzung des griechischen Urtextes von Lukas 2,14 lautet: „... und Friede auf Erden den Menschen seiner Huld“. Man kann auch übersetzen: „seines Wohlgefallens“ (Luther) oder „seiner Gnade“ (Einheitsübersetzung). Der Akzent ist klar: Es geht um die Menschen, die Gott im Sinn hat, um sie zu erlösen, weil sie ihm gefallen, anders gesagt: weil er sie liebt. Wer diese Menschen sind, kann man entdecken, wenn man das gesamte Lukasevangelium liest. Der Evangelist hat den Weg, den Jesus geht, unter ein Leitmotiv gestellt: die Suche nach den Verlorenen. „Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, die verloren sind“, sagt er gegen Ende seines öffentlichen Wirkens im Haus des Zöllners Zachäus (Lukas 19,10). Es sind Menschen, die von dem Verdacht gequält werden, nicht liebenswürdig zu sein: weil sie Schuld auf sich geladen haben oder krank sind oder schwach oder voller Zweifel und Unsicherheit. Gerade diese Menschen sind Gott ans Herz gewachsen; gerade um ihretwillen hat er Jesus gesandt. Die Hirten von Betlehem sind die ersten, die von dieser guten Nachricht hören und profitieren. Es sind raue Gesellen, die am Geburtsort Davids den Beruf Davids ausüben. Sie stehen für das ganze Volk Israel, dem Gottes Heil widerfahren soll – und das entdecken wird, auch den Heiden stehe der Weg ins Reich Gottes offen.  Der Friede, den die Engel verheißen, lässt sich an den Lebensgeschichten dieser Menschen ablesen. Was die Hirten hören, ist kein frommer Wunsch, sondern die Wahrheit ihres Lebens. Der Friede ist Friede mit Gott, wie es im Epheserbrief von Jesus Christus heißt: „Er ist unser Friede“ (Epheser 2,14). Die Menschen, die ihren Nächsten die Würde nehmen, besonders wenn sie andere unter Verdacht stellen, von Gott gehasst oder vergessen zu sein, leben im Kriegszustand mit Gott. Er aber schafft Frieden. Er versöhnt die Menschen mit seiner Existenz, mit seinem Willen, mit seiner Herrschaft, mit seiner Gnade. Wer aber anerkennen kann, dass Gott mit seiner Liebe im Recht ist, wer zugeben kann, der Liebe bedürftig, und sich darüber freuen kann, der Liebe würdig zu sein, lebt in Frieden – auch mitten im Krieg. „Friede auf Erden den Menschen seiner Huld“, ist die revolutionäre Parole derer, die alles auf Gott setzen und deshalb ein Herz für diejenigen haben, denen auf dieser Welt nicht zu helfen ist. Allerdings ist der Friede, den die Engel besingen, keine Sache nur der privaten Frömmigkeit. Geliebt zu sein, muss zur Konsequenz haben, lieben zu wollen. Die Liebe, wie Jesus sie vor Augen führt, umfasst den Einsatz für Gerechtigkeit. Mit Krieg kann niemand sich abfinden, der Gottes Frieden im eigenen Herzen spürt. Nur fragt sich, auf welche Weise Friede gestiftet werden kann. Lukas hat keine Christenheit vor Augen, die Macht hätte, Grundlegendes an den gesellschaftlichen Verhältnissen zu ändern. Er lenkt das Augenmerk vielmehr auf das, was den Gläubigen zu tun möglich ist: die Feindschaft im eigenen Herzen zu überwinden, den ersten Schritt auf den Nächsten hin zu wagen, Freundschaften zu pflegen, die belastbar sind, in der Gemeinde für die Armen und Schwachen zu sorgen – nach Möglichkeit über die Grenzen der Kirche hinaus.  Wer anfängt, die Weihnachtsgeschichte anderen zu erzählen, beginnt schon mit dieser Friedensmission – und tut nichts anderes als die Hirten, von denen Lukas schreibt: „Und die Hirten kehrten wieder zurück; sie lobten und priesen Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten – so wie es ihnen gesagt worden war“ (Lukas 2,20).Der Autor ist Professor für Neues Testament an der Ruhruniversität Bochum. Er gehört der Internationalen Theologischen Kommission des Vatikans an.