Eine Impfpflicht werde es nicht geben, auch nicht durch die Hintertür, hieß es nahezu unisono. Im Vorfeld der Bundestagswahl soll eben niemand verprellt werden, und so intoniert man das Hohelied der Freiheit und neigt sich vor den Götzen, deren Verehrung derzeit vermeintlich besonders angesagt ist.
Und läuft damit Gefahr, einem falschen, zumindest unvollständigen Freiheitsbegriff Vorschub zu leisten. Denn Freiheit bedeutet nicht nur Freiheit von, etwa von Zwängen, Konventionen, Traditionen, Rollenbildern ... Sie ist zugleich auch immer Freiheit zu; Freiheit fordert quasi Entscheidung. Freiheit heißt: Ich bekomme eben nicht von irgendeiner Obrigkeit vorgeschrieben, wie ich mich zu verhalten habe, sondern kann von den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, die mir angemessen erscheinende auswählen; sollte das aber auch tun, denn Freiheit ohne Entscheidung ist keine Freiheit, sondern Beliebigkeit – und Gift für das Zusammenleben in der Gesellschaft. Allerdings – und auch das gehört zur freien Entscheidung – muss ich die mit meiner Entscheidung verbunden Konsequenzen tragen. So gilt es, das Für und Wider im Vorfeld einer Entscheidung möglichst umfassend zu bedenken.
Das gilt auch für das Impfen. Nicht jeder, der für diese Abwägung länger braucht, darf somit gleich als Impfgegner abgestempelt werden. Vorschnelle Etikettierungen vertragen sich ohnehin nicht mit einer freien Gesellschaft. Berechtigt aber ist es, nachdrücklich auf die soziale Komponente des Impfens hinzuweisen. Denn meine Freiheit findet da ihre Grenzen, wo ich die des Mitmenschen tangiere. Daraus erwächst dann, wenn dem keine triftigen Gründe entgegenstehen, eine Art moralische Impfpflicht – ganz freiwillig übernommen um der Mitemenschen willen.
Wolfgang Bullin