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    Vor 75 Jahren (2): Würzburg geht im Feuersturm unter

    Feuerbilder des Malers Wolfgang Lenz

    Als einziger hat der Würzburger Kunstmaler Wolfgang Lenz (1925–2014) den Moment der Zerstörung der Stadt am 16. März 1945 in Ölgemälden verarbeitet. Seine sechs „Feuerbilder” im Besitz der Diözese entstanden nicht, wie man vermuten könnte, unter dem Eindruck der Bombennacht; Lenz war erst vier Monate später aus der Gefangenschaft ins Elternhaus nach Heidingsfeld zurückgekehrt. Den Zyklus realisierte der damals 60-Jährige 1985 zum 40. Jahrestag der Kriegszerstörung an der Staffelei seines sonnendurchfluteten Ateliers im Winterleitenweg.

    Wolfgang Lenz macht den Betrachter zum Zeugen des Unfassbaren. „Wider des Vergessens“ könnte der Zyklus betitelt werden. Gerade die intensive Farbigkeit der Bilder weckt starke Gefühle beim Betrachter. Die Erzählungen Überlebender des Infernos – beispielsweise in den Tagebuchaufzeichnungen des Domkaplans Fritz Bauer – ­haben ihn zu diesem „Feuerwerk“ der unterschiedlichsten Rot- und Gelbtöne mitbeeinflusst.

    Goldenroter Schein

    Von einem Feuer, das „alles in ein zauberhaftes, rotflackerndes Licht getaucht hat“, spricht Domkaplan Bauer in seinen Schilderungen der Kriegsnacht. An anderer Stelle schreibt er: „Goldenroter Schein leuchtet uns entgegen. Ein herrliches Licht, wäre sein Ursprung nicht so grässlich.“

    „Allen Seelen”

    Die Feuerbilder stellen in Lenz‘ Werk eine Besonderheit dar. In seinen wohlüberlegt komponierten Feuerbildern kommt dessen unbegrenzte Fantasie zum Ausdruck. So zum Beispiel in dem Ölbild aus der Reihe der Feuerbilder mit der brennenden Stadtansicht, sein Titel: „Allen Seelen”.

    Vom fiktiven Standort in den Weinbergen aus, auf halber Höhe zwischen Main und Festungsmauer gelegen, nimmt der Maler ausgehend vom lichterloh in Flammen aufgehenden St. Burkard-Bezirk die brennende Altstadt in den Blick. Einem Buschfeuer gleich rollen Flammen vom Fuße des Marienbergs ungezügelt über den Main. Das Rathaus – von Stabbrand- und Sprengbomben getroffen – steht lichterloh in Flammen. Feuerzungen schlagen aus dem Dach des Grafeneckartturms, jahrhundertelang steinernes Sinnbild einer stolzen Bürgerschaft.

    Ein Flammenmeer

    Der Blick durch die Domstraße hinauf zum Kiliansdom verrät nichts Gutes: Die reichen Kaufmannshäuser sind in dicke Rauchschwaden gehüllt. Aus den Fensteröffnungen des weiter oben liegenden Doms schlagen Flammen. Das Feuermeer umtost auch andere Kirchen wie das barockisierte Stift Haug und das Kirchenschiff der Marienkapelle. Nur der Turm der spätmittelalterlichen Marktkirche mit der goldenen Doppelmadonna auf ihrer Spitze bleibt wie ein     Wunder vom Feuer verschont.     

    Dicker Rauch, von Wolfgang Lenz in einem dunkleren Rot gehalten als die anderen Rottöne, sollte in dieser Nacht über 4500 Menschen die Luft zum Atmen rauben; die meisten ersticken in den vermeintlich als sicher geltenden Kellern – welch ein Trugschluss! Gerade die Toten der Feuersbrunst erfahren in dem Gemälde „Alle Seelen” eine nachträgliche Würdigung. Geflügelte Wesen, mit Ölzweigen auf den Häuptern als Friedensengel im Einsatz, halten behutsam, in weiße Tücher verhüllt, gesichtslose Wesen in den Armen. Ihre leblosen Körper stellen das irdische Gefäß der Seelen der beim Angriff ums Leben gekommenen Menschen dar. Mithilfe der Engel segeln sie in ausladenden Kreisbahnen in den glutroten Himmel. Ihr Ziel liegt hinter einer dunkelroten Rauchwolke. Aus einem Krater brechen sich Lichtstrahlen die Bahn – Hoffnungschimmer auf ein lichtes, friedliches Leben.

    Das Inferno im Dom

    Einen Blick in den brennenden Dom gewährt uns der Maler in dem Bild „Im Dom”. „Durchglüht vom Feuersturm biegt sich – fast schmerzvoll – das filigrane Chorgitter”, beschreibt es der frühere Direktor des Mainfränkischen Museums, Dr. Hanswernfried Muth in seinem Buch aus dem Jahre 1985 über Wolfgang Lenz. Das Chorbogenkruzifix von Tilmann Riemenschneider gerät in Flammen, Altäre stürzen zu Boden, ein im Schutt liegender Putto mit gespaltenem Schädel, blickt dem drohenden Unheil entgegen. Der einst verzückt dreinblickende Gesichtsausdruck des Puttos hat sich in Angst und Verzweiflung gekehrt; ein Ausweichen der auseinanderberstenden Steinaltäre erscheint zwecklos.

    Bomber im Dom

    Bemerkenswert auch: Durch den Dom fliegt das Geschwader jener viermotorigen Lancaster-Bomber der britischen Royal Air Force, das am Abend des 16. März 1945 gegen 21.40 Uhr Tod und Zerstörung über die Stadt bringt. Über 300 000 Stabbrandbomben und 395,55 Tonnen Sprengbomben entfachen in nur 20 Minuten einen bis zu 2000 Grad heißen Feuersturm, dem nahezu 90 Prozent der Häuser zum Opfer fallen. Wolfgang Lenz erinnert an diesen Moment. Bis ins Detail hat er die fliegenden Todesbringer festgehalten. Ihre detailgetreue Darstellung hängt unzweifelhaft mit der Leidenschaft von Wolfgang Lenz für die Fliegerei zusammen. Zwei Jahre vor der deutschen Kapitulation hat er sich als Achtzehnjähriger freiwillig zum Kriegseinsatz gemeldet. Er hofft, seinem Kinder- und Jugendtraum, einmal Pilot zu werden, dadurch näherzukommen. Doch im Frühjahr 1945 wird er in seinem Jagdflugzeug, einer Messerschmitt Bf 109, abgeschossen. „Wie durch ein Wunder überlebt er den Absturz”, erzählt seine Witwe Hella Lenz im Gespräch mit dem Sonntagsblatt. Im letzten Moment habe sich der Fallschirm geöffnet. „Lediglich einen Schuh hat er beim Aufprall auf dem Boden verloren; er blieb unverletzt”.

    Blick durch die Uhr

    „Blick durch Zeit und Feuer” ist jenes Bild betitelt, das wir hier als letztes aus dem sechsteiligen Zyklus näher betrachten wollen: Aus dem Kiliansdom heraus geht der Blick des Betrachters durch das Rund der zerborstenen Domuhr auf das lichterloh brennende Würzburg: durch die Domstraße hin zum Grafeneckart und die Festung Marienberg auf der linken Mainseite.

    Ein aus der Mitte herausgerissener Zeiger weist auf die brennende Stadt. Eingerahmt wird das barocke Uhrgehäuse von der griechischen Gottheit Chronos, der die abgelaufene Zeit, das Vergängliche des Lebens, symbolisiert. Auf der rechten Seite ist der Genius des Ruhmes zu sehen, der mit seiner Fanfare Lob und Preis der einstigen barocken Perle am Main verkündet. Mit Bedacht und großer Sorgfalt sei ihr Mann beim Malen der „Feuerbilder” vorgegangen. Zu Schlüsselszenen gäbe es noch Entwürfe, die sich heute in den zahllosen Skizzenblöcken versteckten. „Ruinen waren für meinen Mann etwas Wunderbares”, sagt Hella Lenz. Bei einer Dresdenreise zu DDR-Zeiten habe er vor dem zerstörten Taschenbergpalais einmal ausgerufen: „Mein Gott, ist das schön!” Da habe sie sich für ihn ein wenig geschämt, weil er und sie doch Gast einer Delegation waren, und sie Angst hatte, dass man dies in den falschen Hals bekäme. Nur sie wusste, wie er das gemeint hat und wo sein Denken herrührte.

    Der Reiz der Ruinen

    Kaum, dass die Straßen der Stadt vom Schutt freigeräumt  sind, unternimmt der junge Lenz, der später zehn Semester Kunst an der Akademie der Bildenden Künste München bei Prof. Hermann Kaspar (1904–1986) studieren sollte, seine künstlerischen Streifzüge durch die Stadt. Ausgerüstet mit Zeichenblock, Stiften und Farben, fängt der 21-Jährige in Skizzen das Pitoreske der Ruinen ein. Dass ihn die Ruinen nicht abschrecken, eher faszinieren, erscheint auf den ersten Blick befremdlich. Ist es im Grunde aber nicht. Maler sehen in der Ruine vor allem die künstlerische Herausforderung – mit ihren überraschenden Ein-, Durch- und Ausblicken. Ruinen erzählen detailreich von einstiger Größe, gleichzeitig sind sie ein Memento für die Vergänglichkeit alles Irdischen.

    Der Soziologe Hartmut Böhme sagt in seinem Aufsatz über die „Ästhetik der Ruinen“: „In Gesellschaften, in denen es eines Bewusstseins von Ruinen mangelt, gibt es keine Historie; es sind gewissermaßen ‚vorbewusste‘, ‚geschichtslose‘ Gesellschaften. Oder an anderer Stelle: „Der Blick, der ein Trümmerfeld zu einer Ruinenlandschaft synthetisiert, ist der festgehaltene Augenblick zwischen einer unvergangenen Vergangenheit und einer schon gegenwärtigen Zukunft. Das große Verdienst von Wolfgang Lenz, Kulturpreisträger von 1977, ist es, dass er es wie kein anderer Künstler vor oder nach ihm verstanden hat, das Thema des kriegszerstörten Würzburgs weg von der Gattung der topografisch genauen Stadtansicht hin zu einer eigenen künstlerischen Darstellungsweise geformt zu haben. Seine Bilder haben bis heute nichts von ihrer Aussagekraft verloren. Sie sind ein Plädoyer für: Nie wieder Krieg und Zerstörung!    

    Matthias Risser