Im Islam gibt es, ähnlich wie im Christentum, eine mehrwöchige Fastenzeit – im Monat Ramadan. Wegen des islamischen Mondkalenders ist dieser jedes Jahr etwa zehn bis zwölf Tage früher als das Jahr zuvor und dauert 29 beziehungsweise 30 Tage. Das Fasten im Ramadan ist für Muslime verpflichtend. „Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit des freiwilligen Fastens“, sagt Vanessa Walker. Sie studiert Islamische Theologie und Soziologie. Als Kind wurde sie getauft, aber nicht christlich erzogen. Als Jugendliche suchte sie eine religiöse Heimat und ist letztlich im Islam angekommen. Im Monat Ramadan wurde nach muslimischem Glauben der Koran herabgesandt. Mit dem Fasten ehren Muslime diese Offenbarung. „Der Hauptzweck des Fastens ist laut Koran, die Gottesfurcht zu erhöhen – nicht nur durch Fasten, sondern allgemein durch ein Gott zugewandtes Leben“, so Walker.
Fastentage
Anders als im Islam und Christentum gibt es im Judentum keine lange Fastenzeit. Gefastet wird an einzelnen Tagen, die eng mit der Geschichte des Volkes Israel verbunden sind. Einer der höchsten Feiertage ist Jom Kippur – der Tag der Versöhnung. „Das ist ein Tag der Freude, weil Gott uns verzeiht“, sagt Alexander Shif. Er ist selbst gläubiger Jude. Tischa beAw hingegen ist ein Tag der Trauer. An diesem Tag erinnern sich Juden im Fasten an die Zerstörung der beiden Tempel in Jerusalem. Die Tora benennt noch vier weitere Tage. Darüber hinaus gibt es zusätzliches Fasten, das beispielsweise nur für bestimmte Gruppen gedacht ist. „Erstgeborene sollen am ersten Tag des Pessach-Festes fasten, weil die Erstgeborenen während der letzten Plage in Ägypten verschont wurden“, erklärt Shif.
Im Buddhismus hingegen ist das Fasten eine individuelle Angelegenheit. Festgelegte Tage gibt es nicht. „Man sagt, Buddha habe 84000 verschiedene Wege gelehrt. Es gibt also viele Möglichkeiten. Für jede Person ist es am besten, wenn sich das Fasten an den eigenen Gewohnheiten ausrichtet“, erklärt Edward Crookes.
Keine Beleidigungen
Er ist Vertreter der Einzelmitglieder in der deutschen buddhistischen Union, dem bundesweiten Dachverband der Buddhisten. Crookes vertritt die Mitglieder, die keiner Organisation angehören. Nach einer Zeit des Fastens verschwinde das Bedürfnis nach Essen, meint er. Der Geist werde frei und klar, wie beispielsweise für die Meditation. Fasten schaffe so eine höhere Achtsamkeit für sich selbst und für die Umwelt.
Eine der buddhistischen Fasten-Übungen dauert zwei Tage. Am ersten Tag wird lediglich das Mittagessen zu sich genommen, am zweiten Tag entfällt auch das. Hinzu kämen laut Crookes fünf Übungsprinzipien. Töten, Klauen, sexuelle Handlungen, Lügen und Rauschmittel seien verboten. Dabei lasse sich jedes dieser fünf Prinzipien steigern. So meint nicht zu töten nicht bloß den Mord am Mitmenschen, sondern das Töten jedes Lebewesens und das beginnt bereits mit unausgesprochenen Beleidigungen im Geist.
Annäherung an Gott
Im Islam ist während des Fastens jede Nahrungsaufnahme zwischen Sonnenaufgang und -untergang untersagt. In dieser Zeit werde auf alles verzichtet, was in den Körper kommt. Essen, Trinken aber auch Medikamente. „Streng genommen würde zum Beispiel Insulin das Fasten brechen. Kranke müssen aber ohnehin nicht fasten“, erklärt Vanessa Walker. Darüber hinaus darf nicht gelästert oder sich geprügelt werden. Stattdessen gibt es Muslime, die während dieser Zeit den gesamten Koran lesen. „Es geht beim Fasten darum, sich Gott anzunähern“, so Walker. Am Abend wird das Fasten mit einer Feier und vielen Menschen unterbrochen. Gemeinschaft sei ein zentraler Aspekt. Es gebe aber auch übertriebene Feste der Völlerei. Der Prophet Muhammad selbst habe das Fasten nur mit einer Handvoll Datteln, etwas Wasser und einem Glas Milch oder Honigwasser unterbrochen.
Im Judentum wird unterschiedlich streng gefastet. An Tischa beAw und Jom Kippur beginnt das Fasten mit Sonnenuntergang am Vorabend und endet am nächsten Abend. An den anderen vier Fasttagen, die die Tora benennt, wird lediglich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gefastet. Während des Fastens wird weder gegessen oder getrunken noch sich gewaschen. Weniger streng fasten Juden während des zusätzlichen Fastens. Da gehe es vor allem darum, sich auf Gott zu konzentrieren und sich weniger durch Vergnügen ablenken zu lassen, meint Alexander Shif.
Fastenverbot
In allen Religionen sind alte und kranke Menschen vom Fasten ausgenommen. Im Judentum ist es kranken und schwangeren Menschen explizit verboten. Im Islam gilt, dass das Fasten dem Kind nicht schaden darf. Daher sind Schwangere nicht verpflichtet zu fasten. „Aber ob es gänzlich verboten ist, ist bei den Rechtsgelehrten umstritten“, sagt Vanessa Walker. Schwangere, Kranke und auch menstruierende Frauen müssten das Fasten jedoch nachholen. Umstritten sei außer- dem die Frage, ob schwer arbeitende Menschen fasten müssen. Das sei in arabischen Ländern einfacher. Da nehme auch der Arbeitsalltag Rücksicht auf das Fasten der Bevölkerung. In europäischen Ländern sei das verständlicherweise anders, erklärt Walker.
Bei den Sikhs hingegen ist für niemanden das Fasten vorgesehen. Einzige Ausnahme: gesundheitliche Gründe. Die Sikhi, wie die Religion der Sikhs genannt wird, ist nach eigenen Angaben die fünftgrößte Religionsgemeinschaft der Welt. Sie entstand im 15. Jahrhundert in Indien in Abgrenzung zum Hinduismus. Sikhs lehnen die Kastenzugehörigkeit ab und betonen die Gleichheit aller Menschen. Zentrales Anliegen ihrer Lehre ist ein harmonisches Zusammenleben aller.
Essen als Gabe Gottes
Sikhs glauben an den einen universellen Schöpfergott. Dieser habe das Essen für die Menschen geschaffen. Er beschenke sie damit. Fasten wäre ein Ablehnen dieser Gaben. „Das wäre wie eine Revolte gegen Gott“, sagt Tejan Singh Chawla. Er ist seit seiner Geburt Sikh. Ein zweiter Grund, warum das Fasten abgelehnt wird: ein fastender Mensch ist körperlich angeschlagen. Für die Sikhs gelten drei Grundsätze. Gott anbeten; tüchtig arbeiten, um den Lebensunterhalt zu verdienen; bedürftigen Menschen helfen. „Wenn ein Mensch belästigt wird, dann musst du in der Lage sein, kräftig sein, dass du sofort einspringen kannst. Das ist meine Pflicht als Sikh“, sagt Tejan Singh Chawla. „Hier in Deutschland nicht. Hier gibt es die Polizei. In Indien kümmert sich aber manchmal keiner“, erklärt er die kulturellen Hintergründe. Deshalb sei es wichtig, dass der Mensch körperlich nicht angeschlagen ist, damit er beten, arbeiten und helfen kann.
Laut Chawla lehnen Sikhs vor allem ein Fasten ab, das darauf abzielt, etwas von Gott zu bekommen. Etwa ein langes Leben. Aber wenn Menschen fasten wollen, dann soll man sie aus ihrer Sicht fasten lassen. Sikhs sind nicht missionarisch tätig. „Wir sind nicht gegen das Fasten. Wir sind nicht Gegner. Aber es ist einfach nicht mein Prinzip, nicht mein Verhalten zu meinem Gott“, so Tejan Sing Chawla. Daher haben Sikhs wie er keine Probleme damit, wenn Alexander Shif und die Juden, Vanessa Walker und die Muslime und Edward Crookes und die Buddhisten weiterhin in ihren unterschiedlichen Formen und Arten Fasten. Sie selbst tun es einfach nicht.
Alexandra Thätner