Am Festsonntag erinnerte ein Pfarrvikar in Bonn an das traurige Erscheinungsbild seiner Kirche: Der Missbrauchsskandal klebt an ihr „wie ein Kaugummi“. Jugendliche können die kirchliche Sexualmoral nicht nachvollziehen. Leute laufen weg und treten zu Tausenden aus angesichts der Leitungskrise. So die Bestandsaufnahme des Priesters. Tags darauf verglich ein Pfarrer in Emmerich am Rhein die Kirche mit einem Schiff und bekannte: „Mir kommt es so vor, als ob wir seit Jahren in einer Flaute stecken.“ Mehr Erdenschwere geht kaum an einem Feiertag.
Alle diese Aussagen stimmen. Sie sind rundum berechtigt. Doch die Frage ist, ob Katholiken mittlerweile so an Flaute gewöhnt sind, dass sie die zaghaften Anzeichen von Bewegung gar nicht mehr wahrnehmen. Zur kirchlichen Realität gehört auch dies: Die Kirche vollzieht derzeit eine Änderung ihres Arbeitsrechts, wodurch Beschäftigte von Kirche und Caritas wohl so viel individuelle Freiheit bekommen werden wie nie, seit die Kirche ein eigenes Arbeitsrecht hat. Das Erzbistum Hamburg hat angekündigt, sich vom konfessionsgebundenen Religionsunterricht zu verabschieden. Mit Zustimmung des Erzbistums werden katholische Jugendliche in Hamburg mit Angehörigen anderer Religionen unterrichtet. Für die Kirche ist das ein Meilenstein. Und im Vatikan hat die an Pfingsten in Kraft getretene Kurienreform des Papstes soeben hohe Leitungsämter für Frauen geöffnet.
All das wird nicht mit einem Schlag die Welt aus den Angeln heben. Aber in der Kirche nur Flaute wahrzunehmen, wäre kleinmütig. Es gibt gute Gründe für das Vertrauen, dass Gottes Geist auch in der Kirche wohnt.
Ulrich Bausewein