Am Würzburger Paradeplatz hinter dem Kiliansdom steht ein Mahnmal. Zugegeben, es ist ein sehr kleines Mahnmal, bestehend aus einem kleinen, einem sehr kleinen Metallwürfel. Das Mahnmal erinnert an die Verfolgung und Ermordung Würzburger Sinti und Roma im Dritten Reich. Der Metallwürfel ist aus verrostendem Stahl, wie man das heute mag, und die umgebenden Pflanzen haben das Denkmal schon eingefasst. Es fällt kaum noch auf und wenn man es doch sieht, meint man fast, da habe jemand ein altes, verrostetes Gestell entsorgt. Doch jetzt hat das Denkmal eine neue Funktion erhalten: Es dient als Abstellplatz für die hippen Elektroroller, die man jetzt überall herumstehen sieht.
Am Würzburger Hauptbahnhof gibt es ein weiteres Mahnmal. Es soll an die im Dritten Reich deportierten und ermordeten unterfränkischen Juden erinnern. Das Denkmal ist ziemlich groß und besteht aus vielen unterschiedlichen Gepäckstücken. Zumeist sitzen irgendwelche Leute auf diesen Gepäckstücken und spielen mit ihren Smartphones. In der Lokalzeitung war zu lesen, dass den Leuten meist nicht bewusst ist, dass sie auf einem Denkmal für Ermordete sitzen. Auch die Leute, die ihre Elektroroller vor dem Sinti-und-Roma-Denkmal abstellen, wissen wohl nicht, was sie gerade tun. Und mit Sicherheit meinen sie es auch nicht böse. Sie nehmen solche realen Objekte nur nicht mehr wahr, da sie bloß noch in der virtuellen Welt ihrer Smartphones leben.
Das fiel mir zum ersten Mal während des Shutdowns im Frühjahr auf: Über den Briefkästen hatte die Hausverwaltung ein auffälliges Schreiben aufgehängt, das verkündete, dass Papier- und Biomüll nicht abgeholt werden. Einige Leute befüllten die Tonnen weiter. Als man sie auf die neue Lage hinwies, waren sie komplett überrascht: „Ach? Das wusste ich nicht!“ Den gut sichtbaren Aushang hatten sie nicht gesehen. Die Information hätte in ihren Smartphones sein müssen, damit sie sie bemerken. Daher sind Mahnmale im öffentlichen Raum wohl heute wirkungslos. Sie müssten im Smartphone sein.
Jerzy Staus