Es ist eine völlig neue Gotteserfahrung, der auch Johannes nur Ehrfurcht entgegenbringen kann. Er unterstützt mit seiner Ankündigung die Botschaft Jesu, der den guten, den Heiligen Geist Gottes zu den Menschen bringt.
Evangelium
In jener Zeit trat Johannes in der Wüste auf und verkündete: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren. Ich habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen. In jenen Tagen kam Jesus aus Nazaret in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen. Und als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel sich öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden. Markus 1,7–11 Wenn ich mit den Kindern der 3. Klasse im Religionsunterricht diese Geschichte lese und sie nacherzählen lasse, stellt sich jedes Mal heraus: Am stärksten im Gedächtnis bleibt der Heilige Geist, der als Taube auf Jesus herabkam. Für Kinder ein einprägsames Bild. Dieses Bild steht jedoch nicht für sich selbst, sondern will eine wichtige Aussage über das Wesen Gottes treffen, so, wie Jesus ihn erfahren und verstanden hat und wie er ihn auch verkünden wird. Das Bild kann nur verstanden werden im Zusammenhang mit der Aussage Gottes über Jesus: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ Was verbinden wir spontan mit dem Bild der Taube? Die Friedensbewegung hat diesen Vogel als Symbol für ihre Aktionen gewählt; die Taube steht für Gewaltlosigkeit, Frieden, von der biblischen Bedeutung her auch für Reinheit, Integrität. So steht auch die erzählte Szene vor uns: Der Geist Gottes schwebt wie eine Taube auf Jesus herab, dieser hört eine liebe, frohe Botschaft. Es ist eine freundliche Szene mit einer stimmigen Aussage. Jesus erfährt Gott als seinen Vater, der sich ihm freundlich, friedlich mit einer persönlichen Botschaft nähert, die Liebeserklärung des Vaters an den Sohn. Gott stößt nicht im Sturzflug wie ein Adler auf Jesus herab, er will ihn nicht überwältigen, zwingen, er bedroht ihn nicht, greift ihn nicht an. Gott nähert sich Jesus so, dass er es fassen, bewältigen, annehmen kann. Und diesen Gott wird Jesus all denen nahe bringen, die so sehr diese liebende Annahme brauchen, die Zöllner, Sünder, die Kranken, Schwachen, die Witwen und Waisen und die im Leben zu kurz Gekommenen, mit denen sonst keiner etwas zu tun haben will. Sie dürfen durch Jesus die gleiche Erfahrung machen. Gott nimmt sie in Jesus in seine Arme und spricht ihnen die Botschaft zu: „Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ Johannes, der strenge Bußprediger, spürt: Das ist eine entwaffnende Stärke, eine, die gewinnt, nicht abschreckt, die einnimmt, nicht vereinnahmt, die Mut macht, Leben verheißt und möglich macht, Partei ergreift, auf das Wohl und Leben des anderen bedacht ist, den anderen groß sein lässt und ihn als Gottes Ebenbild ehrt, eine Stärke, die nicht auf Stärkung der eigenen Position aus ist, die zum Nachdenken und Umdenken auffordert. Der Gott Jesu Christi ist nicht der rächende, dreinschlagende Gott, vor dem man nur verschüchtert durch sein Leben schleichen könnte; der Gott Jesu Christi nimmt den Menschen an Kindes statt an. Es ist eine völlig neue Gotteserfahrung, der auch Johannes nur Ehrfurcht entgegenbringen kann. Er unterstützt mit seiner Ankündigung die Botschaft Jesu, der den guten, den Heiligen Geist Gottes zu den Menschen bringt. Welches Bild von Gott prägt mich eigentlich? Kann ich mit dem Gott, der sich mit dem Symbol der Taube veranschaulichen lässt, überhaupt etwas anfangen? Ist er nicht zu weich, zu nachsichtig, zu geduldig? Bräuchte es nicht viel häufiger den „Adler-Gott“, der durch ein Machtwort und energisches Eingreifen für Ordnung sorgt in dem Durcheinander in unserer Welt und unseren Beziehungen? Die Herausforderung dieses Evangeliums liegt für mich darin, sich entgegen der eigenen Gewohnheit auf den Gott Jesu Christi einzustellen; er hat auch mich in der Taufe angenommen als geliebte Tochter, als geliebten Sohn. Auch mir begegnet dieser Gott immer wieder freundlich, partnerschaftlich, friedlich, nachsichtig mit meinen Schwächen, mit mir teilt er die schönen wie die schweren Stunden des Lebens. Lasse ich mich anstecken von dieser entwaffnenden Stärke der Liebe und Treue – und bin ich bereit, durch mein Reden und Leben diesen Gott anderen Menschen zu verkünden, denjenigen, die Ermutigung, Stärkung, Annahme durch mich als Zeugen brauchen, weil sie noch nicht wissen oder nicht mehr spüren, dass auch sie geliebte Söhne und Töchter Gottes sind? Schwester Eva-Angelika Herbst ist Neustädter Missionsdominikanerin und arbeitet als Pastoralreferentin in der Pfarreiengemeinschaft Lohr mit Schwerpunkt in Lohr-Sankt Pius und Sackenbach.