Dr. Karl Hillenbrand nun eine hochwertige Kopie des Kleinen Zittauer Fastentuchs ins Würzburger Sankt Burkardushaus geholt. Schautafeln in der Ausstellung zeigen zusätzlich Facetten des Großen Zittauer Fastentuchs.
„Nach allem, was diesen Fastentüchern in den letzten Jahrhunderten zugestoßen ist, ist es ein Wunder, dass wir sie heute noch haben“, sagt Dr. Volker Dudeck, Mitglied des Sächsischen Kultursenats und bis 2006 Direktor der Städtischen Museen Zwickau. An einen Verleih der äußerst fragilen Originale, denen die vergangenen Jahrhunderte übel mitgespielt haben, sei daher gar nicht mehr zu denken. Doch auch die Kopie vermittelt einen überzeugenden Eindruck dieses europaweit einzigartigen sakralen Kunstwerks.
Fastentücher dienen seit etwa 1000 nach Christus dazu, während der 40-tägigen Fastenzeit Altäre, Reliquien oder Bilder, zum Teil sogar ganze Altarräume zu verhüllen. Im Chor aufgehängt, verwehren sie den Blick auf das Allerheiligste. „Dem Fasten des Leibes gesellt sich hierzu das Fasten der Augen“, erläutert Dudeck. Bekannt sind die Fastentücher (Velum quadragesimale) auch als Hungertücher oder gar „Schmachtlappen“. Die Redewendung „am Hungertuch nagen“ für „darben, ärmlich leben, kümmerlich vegetieren“ ist zum Teil auf diese Tücher zurückzuführen.
„Anfangs waren die Tücher rein weiß oder violett und nicht bemalt“, erklärt Dudeck, „dann tauchten – etwa in Halberstadt – mit Mustern bestickte Tücher auf“. Schließlich seien flächendeckend prächtige Tücher entstanden. Sie hätten von der Erschaffung der Welt erzählt bis hin zum Jüngsten Gericht. Diese Tücher vom sogenannten alpenländischen Feldertyp – wie etwa das Tuch von Gurk in Kärnten – hätten je zur Hälfte aus Darstellungen des Alten und des Neuen Testaments bestanden. Das Große Zittauer Tuch entspricht genau dieser Form. „Das war praktisch eine Bibel in Bildern zur Glaubensunterweisung der meist analphabetischen Gemeindemitglieder.“
Schließlich aber habe sich die Bemalung allein auf die Passion Christi konzentriert – wie beim Kleinen Zittauer Tuch. Die Reformation drängte die Fastentücher dann in den Hintergrund. Aber die Zittauer Gemeinde gebrauchte ihr Großes Fastentuch weiter, trotz Reformation. „1537 entstand sogar mit dem Kleinen Tuch ein neues Fastentuch – das einzige, das sich eine evangelisch-lutherische Kirchengemeinde hat machen lassen“, betont Dudeck, obwohl Luther Fastentücher als „Gaukelwerk“ bezeichnet habe.
Erhalten geblieben sind heute nur noch wenige der Kunstwerke, vor allem in Kärnten, Tirol, im Münsterland und eben in Zittau. Zu den bedeutendsten gehören die bemalten Kärntner Fastentücher von Gurk (1458) und Haimburg (1504) sowie das Große (1472) und das Kleine Zittauer Fastentuch (1573). Das Besondere am Kleinen Tuch: Es ist das einzige des Arma-Christi-Typs in Deutschland. Weltweit gibt es davon nur noch sechs weitere Tücher. „Arma Christi“ ist die lateinische Bezeichnung für die „Waffen Christi“, die Werkzeuge, die im Zusammenhang mit der Passion stehen. Und „klein“ ist das 15 Quadratmeter große Tuch nur im Vergleich zu seinem monumentalen Zittauer Pendant mit 56 Quadratmetern.
Im Zentrum steht die Kreuzigung Christi, bei der Gottvater dem Gekreuzigten seine rechte Hand entgegenstreckt. Der unbekannte Maler nimmt damit das Motiv in Michelangelos „Erschaffung des Adam“ aus der Sixtinischen Kapelle in Rom auf. 30 Arma-Christi-Symbole, wie etwa Judaskopf, Dornenkrone, Schweißtuch der Veronika, Lanze und Essigschwamm, umrahmen die Szene. Der Künstler hat das 4,30 Meter hohe und 3,50 Meter breite Werk in nasser Tüchleinmalerei mit Tempera auf Leinen gemalt. Die Komposition nimmt neben den Michelangeloanklängen auch Motive von Dürer und Grünewald auf.
Gestiftet wurde das Tuch 1573 für den Schnitzaltar der Zittauer Johanniskirche und war bis 1684 in Gebrauch. Parallel zur Restaurierung des Großen Tuches ließ die Abegg-Stiftung in Riggisberg/Schweiz das Tuch 1994 reinigen. 2001 konservierte die hochangesehene Schweizer Spezialistin für Textilrestaurierung Dr. Mechthild Flury-Lemberg das Tuch. Seit Ende 2005 wird das Kleine Fastentuch im Kulturhistorischen Museum Franziskanerkloster gezeigt.
Ergänzend sind in der Würzburger Ausstellung auch exemplarische Felder des Großen Fastentuchs zu sehen, des drittgrößten überlieferten Fastentuchs überhaupt. In Zittau wird es im Museum „Kirche zum Heiligen Kreuz“ in der größten Museumsvitrine der Welt gezeigt. Das Tuch zeigt in 90 Bildern in zehn Reihen die Ereignisse von der Erschaffung der Welt bis zur Auferstehung Jesu: Jedem Bild ist eine gereimte Erklärung in Mittelhochdeutsch zugeordnet. 1472 stiftete der Gewürz- und Getreidehändler Jacob Gürtlerdieses Tuch. Die schweren Zeitläufe, durch die es ging, sieht man dem Tuch an. „Im Siebenjährigen Krieg verbrannten 1757 achtzig Prozent der Häuser Zittaus, aber das Tuch wurde in die Bibliothek gerettet“, berichtet Dudeck. „Im Zweiten Weltkrieg brachte man es aus der Stadt auf den Berg Oybin. Dort fanden es 1945 sowjetische Soldaten, zerschnitten es in vier Teile und dichteten mit dem Kunstschatz ihre Sauna ab.“ Ein Holzsammler rettete das unersetzliche Tuch schließlich nach Abzug der Sowjets. Trotz aller Beschädigungen vollständig erhalten, ließ die Abegg-Stiftung auch dieses Tuch restaurieren. Es ist das einzig erhaltene Fastentuch des „bilderreichen Feldertyps“ in Deutschland.
Die Zittauer Fastentücher:
Ausstellung der Katholischen Akademie Domschule im Sankt Burkardushaus Würzburg. Geöffnet hat die Ausstellung (Dauer bis zum 24. März) von montags bis freitags von 8.30 bis 16.30 Uhr.