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      Im Projekt SoulTalk der Erlöserschwestern können sich Menschen mit Fluchterfahrung anvertrauen

      Einfach reden können

      SoulTalk ist ein bundesweit einmaliges Projekt, damit wird eine Brücke in der Gesundheitsversorgung geschlagen. „Unser Projekt schließt eine Lücke, es bietet Prävention an und stabilisiert die Geflüchteten“, verdeutlicht Psychologin Hannah Zanker. Denn gerade durch hilfreiche Strategien im Umgang mit Belastung verhindere man die Entwicklung von psychischen Störungen.

      Wie geht es dir?“ Auf diese Frage an eine Geflüchtete auf dem Gelände des AnkER-Zentrums in Schweinfurt bekam Parisa Zare Moayedi von der angesprochenen Frau eine Antwort unter Tränen. Sie wisse nicht, wann jemand sie das zum letzten Mal gefragt habe, antwortete diese. Eine Begegnung auf Augenhöhe – denn Parisa Zare Moayedi ist selbst vor einigen Jahren als Flüchtling nach Deutschland gekommen; die Sozialarbeiterin stammt aus dem Iran. Heute gehört sie zum Team von SoulTalk in der Unterkunft auf dem ehemaligen Kasernengelände in Geldersheim bei Schweinfurt. Zusammen mit einer Kollegin aus Somalia und einem Kollegen aus Syrien, sowie den Psychologinnen Hannah Zanker und Jana Schenk arbeitet sie bei SoulTalk. Geflüchtete haben hier die Möglichkeit zum Gespräch: über das, was sie belastet, Kummer, den sie möglicherweise haben, und über die fehlende Möglichkeit, sich mitzuteilen. Weil sie niemanden haben, dem sie sich in ihrer Muttersprache anvertrauen können.

      Intensiv geschult

      Das Beraterteam wurde mehrere Wochen durch „Ärzte ohne Grenzen“ geschult. Zanker erklärt: „Unser Projekt wird nicht von Ehrenamtlichen getragen, sondern von einem festen Team, das langfristig zusammenarbeitet und kontinuierlich intensiv geschult wird. Unsere Berater leiten die Gruppen- und Einzelgespräche und sind für viele Bewohner die erste Anlaufstelle. Wir als Psychologinnen stehen ihnen bei schwierigen Fällen zur Seite und bieten Supervision an, um die hohe psychische Belastung, die diese Arbeit für die Berater und Beraterinnen bedeutet, abzufangen.“

      Das Team von SoulTalk setzt vor allem auf Aufklärung; denn man hat dort die Erfahrung gemacht, dass das im deutschen Sprachgebrauch gängige Wort „Stress“ für viele Geflüchtete unverständlich ist. „Sie spüren, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, sie schlafen schlecht, träumen wirr, reagieren mit körperlichen Symptomen. Wir erklären ihnen dann, dass dies Reaktionen auf enorme Belastungen sind“, schildert Jana Schenk. Im Vier-Augen-Gespräch oder in der Gruppe können die muttersprachlichen Beraterinnen gegensteuern. Man wolle die Menschen im Hier und Jetzt stärken. Das gilt besonders für Frauen, denn gerade sie erleben Schlimmes auf ihrer Flucht, nicht selten haben sie ihre Kinder bei sich. Das Frauenprojekt SoulFemme ist ein Teil des Angebots von SoulTalk im AnkER-Zentrum. „Frauen setzen sich oft noch größeren Gefahren aus auf ihrer Flucht“, sagt Jana Schenk. „Manche haben ein hohes Risiko sexueller Gewalt ausgeliefert zu sein, sie sind allein mit ihren Kindern hergekommen, einige wurden Opfer von Zwangsprostitution.“ Doch ganz gleich welchen Geschlechts die Geflüchteten sind – alle brauchen eine Stabilisierung im Hier und Jetzt. „Viele Menschen wissen noch nicht, ob sie bleiben dürfen.“ Hannah Zanker und ihre Mitarbeiter nehmen sich Zeit: „Wir schauen uns die Stärken der Person an, machen ihr Mut, geben Ratschläge oder hören nur zu bei einer Tasse Tee.“

      Bundesweit einmalig

      SoulTalk ist ein bundesweit einmaliges Projekt, damit wird eine Brücke in der Gesundheitsversorgung geschlagen. „Unser Projekt schließt eine Lücke, es bietet Prävention an und stabilisiert die Geflüchteten“, verdeutlicht Hannah Zanker. Denn gerade durch hilfreiche Strategien im Umgang mit Belastung verhindere man die Entwicklung von psychischen Störungen. Das wird bisher von staatlicher Seite nicht so gesehen: Asylbewerberinnen und Asylbewerbern stehe das allgemeine medizinische Versorgungsangebot zur Ver­fügung. Dieses umfasse – laut Pressemeldung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern – auch den psychiatrischen und psychotherapeutischen Bereich und ermögliche sowohl stationäre als auch ambulante und komplementäre Behandlungen. Zudem habe der Freistaat in den Ankereinrichtungen Ärztezentren eingerichtet, die neben der allgemeinmedizinischen Versorgung in der Regel auch die Bereiche Pädiatrie und Psychiatrie beziehungsweise Psychotherapie abdecken würde. Eine darüber hinaus gehende Förderung weiterer, alternativer Projekte, die nicht zur medizinischen Versorgung zu zählen sind, sei nicht möglich, heißt es weiter.

      Dabei sind alternative Projekte wie SoulTalk enorm wichtig; es ist ein Gespräch für die Seele: „Ihren Verwandten in der Heimat können sie nicht sagen, dass sie Schlafstörungen haben oder dass sie sich einsam fühlen. Für sie müssen die Geflüchteten stark sein“, sagt Hannah Zanker. Wohin also mit den Belastungen, die die Fluchterfahrung und nun der ungewisse Aufenthalt in Deutschland mit sich bringen? Psychische Gesundheit sei für eine gelingende Integration genauso wichtig wie körperliche Gesundheit – da sind sich alle im Team von SoulTalk sicher.

      Dass der Bedarf groß ist, zeigen die Zahlen: Seit Projektbeginn 2017 gab es 2312 Einzel- und Gruppenberatungen. In den zwei vergangenen Projektjahren sind zwischen zwei und sechs Prozent der Bewohner der AnkER-Einrichtung regelmäßig zu SoulTalk gekommen, um psycho-soziale Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine hohe Zahl vor dem Hintergrund, dass viele Flüchtlinge es aus ihren Heimatländern nicht gewohnt sind, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

      Lob ja – Geld nein

      In der Presse wird SoulTalk gerne als „Leuchtturmprojekt“ bezeichnet – aber sein Fortbestand wr bis vor kurzem ungewiss. 2017 hat „Ärzte ohne Grenzen“ das Konzept, das seit Jahren in internationalen Flüchtlingscamps angewandt wird, nach Deutschland gebracht und suchte dort Partner. Die Erlöserschwestern aus der Diözese stiegen ein und finanzieren SoulTalk in Schweinfurt seitdem mit rund einer viertel Million Euro pro Jahr.

      Man hatte gehofft, bundesweit Nachahmer für diese Projektform zu finden, doch durch die Verweigerung von staatlicher Seite, die Finanzierung zu sichern, ist es bei dem einmaligen Projekt in Schweinfurt geblieben. Und das, obwohl das Schweinfurter Modellprojekt von Beginn an in Kooperation mit dem Institut für Psychologie an der Universität Würzburg wissenschaftlich begleitet und laufend geprüft wird; aktuell schreiben zwei Psychologie-Studentinnen ihre Masterarbeit im SoulTalk-Projekt. Erste Ergebnisse ließen darauf schließen, sagt Hannah Zanker, dass die Beratung die hohen Belastungen der Bewohner abmildere und den Umgang mit Stress verbessere.

      Deshalb hatte man gehofft, dem Staat die Bedeutung deutlich machen zu können, doch zwei Anträge auf Kostenübernahme hatte das bayerische Sozialministerium nach Angaben der Kongregation schon 2017 abgelehnt. Das macht Sorgen, denn auch die Mittel der Erlöserschwestern sind begrenzt. „Dennoch hat sich die Kongregation nun dazu entschlossen, die Menschen nicht allein zu lassen – die Erlöserschwestern finanzieren das Projekt ein weiteres Jahr.“ Miriam Christof, Pressesprecherin der Kongregation, freut sich über die gute Nachricht. Vor kurzem sah das noch anders aus – niemand wusste, ob SoulTalk weiter bestehen würde.

      Doch für die Erlöserschwestern – so beschreibt es Miriam Christof – stehe es außer Frage, der Sorge um geflüchtete Menschen Rechnung zu tragen und sich ihrer anzunehmen. „Darum kann man es nicht einfach enden lassen. Darüber hinaus haben sich viele Türen einen kleinen Spalt breit geöffnet und diesen Spalt wollen wir nun größer machen.“ Auch Hannah Zanker und ihrem Team dürfte diese Neuigkeit Rückenwind für ihre weitere Arbeit geben. „Die Menschen, die zu uns kommen, fahren teils mit dem Rad aus anderen Städten hierher, um mit uns zu reden. Denn bei uns haben sie keine Nummer. Wir sprechen sie mit ihrem Namen an.“         

      Judith Bornemann