Wie schön wäre es, wenn es in Würzburg viel mehr Werke von Wolfgang Lenz öffentlich anzuschauen gäbe. Dann wäre die im Zweiten Weltkrieg schwer kriegsversehrte Stadt verzauberter, poetischer und lebenswerter als sie es in Wahrheit ist. Aber wer nicht aktiv danach sucht, kommt an die Werke gar nicht so einfach heran. Da gibt es die opulente und detailreiche Bemalung des Ratssaals im Würzburger Rathaus. Aber wer kommt schon zufällig im Ratssaal vorbei?
In die Laube des Ratskellers kommt man schon eher. Und ein bisschen was von der charmanten Ausmalung des ehemaligen Café Mozart kann man durchs Fenster anschauen. Natürlich nicht in der gleichnamigen Café-Kneipe am Theaterplatz, die mittlerweile im Theater selbst zu finden ist. Da gibt es nichts von Wolfgang Lenz zu sehen. Nein, vor 30 Jahren existierte in der Herrnstraße ein traditionsreiches Café, in dem höchste Konditorkunst zelebriert wurde. Hier hatte Lenz Szenen aus Mozartopern an die Wände gezaubert. Später zog eine Damenboutique dort ein, die alle Kunstwerke mit weißen Platten zustellte. Ein Friseur ist der Boutique nachgefolgt und ein paar Platten sind jetzt weg. Immerhin. Dienen die Platten dem Schutz? Oder schämt man sich der Kunstwerke, statt stolz auf sie zu sein?
Umso erfreulicher, dass Liebhaber des Phantastischen Realismus jetzt im Museum auf ihre Kosten kommen. Das Museum im Kulturspeicher (MiK) konzentriert sich auf Arbeiten, die auf Reisen nach Japan, Frankreich und Spanien entstanden sind.
Gar nicht so weit musste der Künstler reisen, um eine besonders inspirierende Umgebung zu finden: den Rokoko-Garten in Veitshöchheim, den er ins Surreale steigerte und in den er unerwartete Einblicke gewährte. Einblicke, die Materialisten nicht wahrnehmen. Fast erschrocken ist man etwa, wenn man in den Figuren am großen See plötzlich mechanische Konstruktionen entdeckt. Stehen die da wirklich? Das kann doch gar nicht sein! Oder doch? Man denkt an den Retro-Futurismus des Steampunk, den Lenz umsetzte, als es die Bewegung noch gar nicht gab.
Mahnmal der Verwüstung
Veitshöchheim sei für ihn immer ein Ausflug in eine unzerstörte Welt gewesen, erzählt Henrike Holsing vom MiK. Denn das Trauma, das er erlebte, als er nach drei Jahren Kriegsdienst in seine zerbombte Heimatstadt Würzburg zurückkehrte, hat Lenz zeitlebens nicht losgelassen. Das kulminierte in seinem bekanntesten Werk, dem „Würzburger Totentanz” (1970): Vor den Ruinen der ausgebrannten Stadt sieht man die Brückenheiligen als Skelette, gewandet in Bischofs-, Kardinals- und Königsgewänder. Dieses Bild gibt es hier nicht zu sehen, dafür aber eine ebenso düstere Variante von 1971 (siehe links unten): Hier ist das Inferno noch in vollem Gange. Die Brückenheiligen sind zwar schon zu Skeletten geworden, aber ihr prächtiges Ornat und ihre Bärte sind noch unversehrt. Über die Brücke flieht derweil eine gesichtslose Menge grauer und schwarzer Gestalten. Gespenstisch. Erschütternd.
Wie euphorisch ist da der Blick auf das Werk „Römische Wasser“ (siehe oben). Lenz hat hier den Petersdom, die Fontana di Trevi, Elemente aus der Fontana dei Quattro Fiumi, der Fontana del Moro auf der Piazza Navona sowie aus Raphaels „Galathea“ zu einem hyperrealen „erfrischenden“ Potpourri der Freude vereinigt.
In der Residenz Würzburg wird das rekonstruierte Spiegelkabinett gezeigt und im ebenfalls dort beheimateten Martin von Wagner Museum eine Auswahl bisher nie gesehener Entwürfe und Probestücke.
Das Spiegelkabinett
Beim Spiegelkabinett würden wohl die wenigsten an den Maler denken. Doch Lenz war ab 1978 intensiv damit beschäftigt, diesen beeindruckenden Raum originalgetreu wiederherzustellen. Im Zweiten Weltkrieg wurde er in Schutt und Asche gelegt. Und ohne Lenz gäbe es diese weltberühmte Sehenswürdigkeit, die viele Besucher nach Würzburg lockt, gar nicht mehr.
Im Martin von Wagner Museum geht es um die Werke, die Lenz in Rom, Neapel, Florenz und Venedig geschaffen hat. Er verarbeitete seine Eindrücke in phantastischen Bildsequenzen – „Pittura Capricciosa“. Auf dem „Andenken an die Villa Massimo“ (1993) etwa sieht es so aus, als hätten sich die steinernen Statuen neugierig um den bescheidenen Künstler im hellblauen Pullover versammelt, manche zwar ohne Kopf, dafür aber in Gesellschaft zweier Frösche.
Bei alldem überaus bedenkenswert: Lenz hat all das zu einer Zeit geschaffen, als die Beliebigkeit abstrakter Malerei dominierte. Sie wurde in den Himmel gehoben, Gegenständliches galt als überholt. Heute interessiert sich kaum noch jemand für das Abstrakte. Es sagt den Leuten nichts. Lenz bewies damals Charakter, er ging seinen eigenen Weg, den Weg einer außergewöhnlichen altmeisterlichen, technisch brillianten Malkunst, die er in neue Zusammenhänge stellte. Heute beherrscht so etwas fast nur noch Michael Triegel.
Jerzy Staus
„Wolfgang Lenz: Phantastische Orte.“ Gemeinschaftliche Ausstellung zum 100. Geburtstag“. Museum im Kulturspeicher (MiK), Oskar-Laredo-Platz 1, kulturspeicher.de. Geöffnet Di 13–18 Uhr, Mi bis So 11–18 Uhr, 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Martin von Wagner Museum, Residenzplatz 2, Tor A, martinvonwagnermuseum.com. Geöffnet Di bis Sa 13.30–17 Uhr, alle zwei Wochen auch So 10–13.30 Uhr. Eintritt 3 Euro, und Residenz Würzburg, Residenzplatz 2,residenz-wuerzburg.com. Geöffnet täglich 9–18 Uhr. 10 Euro, ermäßigt 9 Euro.