„Man muss auf das Bild zugehen“, sagt Raphael Seitz über sein Glasbild in der Kirche von Reichenberg; dann entdecke man die drei Könige, die – ganz ungewöhnlich – das kleine Neugeborene im Arm halten, es vielleicht der Mutter Jesu aus der Hand genommen haben, damit auch sie mal ruhen kann. Geschenke stehen am Boden: Gold, Weihrauch und Myrrhe.
Wenn in diesen Tagen wieder die Sternsinger in Erinnerung an Kaspar, Melchior und Balthasar mit ihrem noblen Auftrag durch die Straßen unserer Städte und Dörfer ziehen, erfüllt das die Menschen von Reichenberg (Dekanat Würzburg links des Mains) mit besonderer Freude. Nicht nur, dass seit über 30 Jahren ein kleines Heer von Kindern und Helfern in dem Ort mittlerweile jedes Jahr über 5000 Euro für die Zwecke der Kindermission sammelt, viele Reichenberger Katholiken sind auch stolz auf ein Glaskunstwerk. Dieses schmückt seit Sommer 2004 ihre Kirche und zeigt die drei Weisen aus dem Morgenland.
Schon viele Jahre hatten die Reichenberger den Wunsch, den Namen ihrer 1972 erbauten Kirche und ihrer Gemeinde – Erscheinung des Herrn (Epiphania Domini) – weiter zu stärken. „So sollte der Beginn aller Epiphanien im Neuen Testament, das Aufscheinen Gottes in der Welt des Menschensohnes, dargestellt werden“, erläutert Pfarrer Konrad Martin. Das neue Glaskunstwerk sollte die neutestamentlichen Erscheinungsdarstellungen in den Konchen des Tückelhausener Künstlers Karl Clobes und den 1986 errichteten Kreuzweg aus Glasbildern des bekannten Würzburger Künstlers Josef Scheuplein ergänzen.
Gläubige zeigten Initiative
Einige Reichenberger ergriffen schließlich die Initiative, sammelten Spenden und stellten den Kontakt zu einem etablierten Würzburger Künstler her, der die Arbeit ausführen sollte. Nicht alle Reichenberger waren sofort glücklich darüber, dass ihnen schließlich der Kunstreferent der Diözese, Dr. Jürgen Lenssen, mit dem damals
47-jährigen Raphael Seitz einen jungen, modernen Künstler „verordnete“. Der Heilbronner – 1979 bis 1988 Student der Malerei und Glasgestaltung an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart – hatte mit Glasbildern im Ökumenischen Zentrum in Würzburg-Lengfeld (1998) und einer Licht-Stele im Würzburger Museum am Dom (2004) bereits mit markanten Beispielen seiner Kunst in der Diözese Würzburg auf sich aufmerksam gemacht.
Das Jesuskind – geborgen in den Armen der Könige
Seitz schuf für Reichenberg ein etwa 2,5 Meter mal 2,5 Meter großes Glasbild, das zuerst einmal abstrakt erscheint, eine „Lichtblüte“, vielfarbig und durchzogen von Strahlen. Das lichtvolle Gelb vom bestehenden Kreuzweg wird weitergeführt, mischt sich mit anderen Farben und geht letztlich in ein tiefes Blau-Violett über. Und an dieser Stelle wird das Bild gegenständlich, aber nicht für einen, der schnell vorübergeht. „Man muss auf das Bild zugehen“, wie Raphael Seitz sagt. Dann entdeckt man die drei Könige, die – ganz ungewöhnlich – das kleine Neugeborene im Arm halten, es vielleicht der Mutter Jesu aus der Hand genommen haben, damit auch sie mal ruhen kann. Geschenke stehen am Boden: Gold, Weihrauch und Myrrhe.
„Gott ist Licht“ sagt Seitz. Das Bild braucht Licht. Wer das Glaskunstwerk am Morgen sieht, findet es am Nachmittag, wenn die Sonne direkt darauf strahlt, völlig anders. Noch bekommt das Bild nur Naturlicht. Die Reichenberger suchen nach einer geeigneten künstlichen Beleuchtung für die dunkle Jahreszeit. Verwendet hat Seitz für das Glasbild mundgeblasenes Echt-Antikglas. Es wird nur noch in der Glashütte Lambertz in Waldsassen im Bayerischen Wald hergestellt, die weltbekannt ist für die Vielfalt ihrer Farbtöne. Die von Seitz intarsienmäßig eingeschliffenen Gläser wurden vom Glasstudio Derix in Taunusstein auf ein Sicherheitsglas fixiert.
Uralte Technik
Seitz ist einer der wenigen Glaskünstler, die als Maler auch figürliche Darstellungen in ihre Werke einbringen. Bei der Reichenberger Darstellung der drei Könige mit dem Jesukind hat er sich einer Technik bedient, die bereits seit den im Jahr 1030 entstandenen Augsburger Prophetenfenstern bekannt ist. Seitz malt mit Schwarzlot, einer Mischung aus Glasmehl, Blei, Ruß, Wasser und Gummi arabicum. Bei 600 Grad wird es in das Glas eingebrannt. Robert Menschick