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    Der eigenen Sehnsucht folgen

    Eine kleine Theologie der Wallfahrt (2)

    Der eigenen Sehnsucht folgen
    Alles beginnt mit der Sehnsucht“, heißt ein modernes Lied von Manfred Siebald. Und in der Tat: Wünsche und Erwartungen sind der Motor menschlichen Verhaltens. Während sich aber Erwartungen vorwiegend auf kleinere Dinge beziehen, bezeichnet der Begriff „Sehnsucht“ jene Regung, die sich auf die Grund legenden Sinnhorizonte des eigenen Lebens bezieht. In der Sehnsucht streckt sich der Mensch aus nach umfassender Erfüllung, nach Zufriedenheit, nach Glück.
    Wenn hier also behauptet wird, dass Pilger von Sehnsucht getrieben sind, dann ist dies gleichbedeutend mit der Aussage, dass sie auf der Wallfahrt eine Antwort auf die großen Lebensfragen suchen. Wallfahrten unternimmt niemand „einfach so“ ohne jeden Grund. Selbst Nichtglaubende betrachten einen Pilgerweg nicht wie eine Urlaubsreise. Auch für sie gibt es, wenn sie ehrlich sind, tiefer reichende Motive, und das ist gut so.
    Kaum jemand hat so eindringlich von der menschlichen Sehnsucht gesprochen wie der heilige Augustinus. Kein Satz drückt dies deutlicher aus als jener am Beginn seiner „Bekenntnisse“: „Du hast uns, Herr, auf dich hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir“ (Cf 1,1). Mit jeder Faser seiner Existenz ist der Mensch auf seinen Schöpfer hin ausgerichtet. In seinem Innersten ist er von einer Grund legenden Dynamik bewegt, die ihn vorwärtstreibt. Diese Dynamik findet ihr Ziel allein in jener Ruhe, die der Mensch in der Vollendung bei Gott erfahren soll. Deshalb verweist der Anfang der „Bekenntnisse“ bereits auf das Ende des Werks, wo die Ruhe des ewigen Sabbats dargestellt wird.
     
    Die Mitte des Herzens
    Die bildhafte Rede vom unruhigen Herzen kommt im augustinischen Gesamtwerk eher selten vor. Meist begegnet der abstrakte Sachbegriff „Sehnsucht“. Auf großartige Weise fügt Augustinus beide Begriffe zusammen, wenn er sagt: „Des Herzens Mitte ist die Sehnsucht“ (Io 40,10). Augustinus sieht in der Sehnsucht also das eigentlich Menschliche (Io 18,7): Ihr Wachsen und ihre Ausrichtung auf Gott ist das Menschlichste, was dem Menschen aufgetragen ist.
    Entscheidend für diese positive Wertung der Sehnsucht bei Augustinus ist: Sie (allein) kann uns zu Christus führen. Der Mensch soll traurig sein, wenn er sich auf seiner Pilgerschaft von Christus weg bewegt, er soll begehren, mit Christus die Herrlichkeit zu erleben und sich bereits auf dem Weg der irdischen Pilgerschaft freuen, dass er einst mit Christus herrschen wird (Io 60,3). Sehnsucht kann sich daher nicht auf jedes Ziel hin ausrichten, sondern trägt eine inhaltliche Bestimmung in sich.
    Es kann dem Menschen also an Nichts mehr gelegen sein, als die Sehnsucht nach Vollendung in sich zu entfachen. Denn nur dann wird er sich auf den Weg zu Gott machen, wenn er von innen heraus bewegt ist, wenn die Sehnsucht für ihn der entscheidende Beweggrund ist. Aber wenn er den Weg zur Vollendung einmal geht, beginnt für ihn schon jetzt das Leben des Himmels: „Auf Grund der Sehnsucht hast du bereits das Leben der Engel begonnen“ (Io 18,7). Vollendung ist nicht etwas, das nach dem Tod ganz plötzlich über uns hereinbricht, sie ist schon jetzt im Vorgeschmack der Sehnsucht erfahrbar.
     
    Was treibt mich auf diesen Weg?
    Schon immer haben Pilgerinnen und Pilger Motive für ihre Wallfahrt benannt. Als religiöse Gründe beispielsweise die Vergebung von schwerer Schuld (Bußwallfahrt); die Bitte um Heilung eines lieben Menschen (Bittwallfahrt); die Erfüllung eines Gelübdes, das man in Lebensgefahr abgelegt hatte (Dankwallfahrt). Als „weltliche“ Gründe beispielsweise die Hoffnung auf Arbeit entlang des Wallfahrtsweges; Handel; Reise- und Abenteuerlust. Natürlich konnten auch mehrere Beweggründe zusammenkommen. Es ist wichtig für eine gute Wallfahrt, sich vorher über die eigenen Motive Klarheit zu verschaffen: Was treibt mich an, mich auf diesen langen und beschwerlichen Weg zu machen? Was ist meine tiefere Sehnsucht auf diesem Weg? Solche Fragen sollte sich jeder Pilger vor dem Aufbruch stellen und beantworten. Wallfahrtsleiter sollten ausdrücklich zur Auseinandersetzung mit ihnen anleiten. So wichtig es ist, eine große Offenheit für das zu haben, was eine Wallfahrt bringt – wir können Gott nicht auf ein Ergebnis verpflichten –, so wichtig ist es zugleich, sich einen verbindlichen Wunsch mitzunehmen. Ähnliches gilt für das äußere Ziel: Eine Wallfahrt bedeutet eine Festlegung auf einen bestimmten Endpunkt, den man erreichen will. Dieser gibt dem Weg Verbindlichkeit, er verpflichtet und legt fest. Dabei ist es nicht bedeutsam, für welches Ziel sich ein Pilger entscheidet, sondern vielmehr, dass er sich für ein Ziel entscheidet. In einer Zeit, in der sich die Menschen immer weniger festlegen wollen, ist dies ein bedeutsames Moment des Pilgerns.
    Schließlich muss die zeitliche Dauer des Unterwegsseins dem inneren Prozess entsprechen, den jemand ersehnt. Dass die Länge einer Bußwallfahrt im Mittelalter nach der Schwere einer begangenen Schuld bemessen wurde, macht durchaus Sinn. Denn eine wirkliche Umkehr von schwerer Schuld braucht Zeit, sie kann nicht von heute auf morgen bewältigt werden. Analog sollte für jedes Motiv überlegt werden, wie „umfangreich“ es ist und welche Wallfahrtsdauer ihm angemessen ist.
    Wallfahren heißt: Der eigenen Sehnsucht folgen. Doch Sehnsucht ist konkret. Sie bindet sich an benennbare Wünsche und an greifbare Ziele. Es ist entscheidend, dass Pilger sich selbst an solche Ziele binden.