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    Warum Hildegard von Bingen nach fast 1000 Jahren noch faszinieren kann

    Eine Frau mit eigenem Standpunkt

    Wer war die heilige Hildegard von Bingen (1098–1179)? Eine kundige Kräutersammlerin, eine erfolgreiche Heilpraktikerin, eine fleißige Vielschreiberin im Elfenbeinturm? Wer die heilige Hildegard kennenlernen möchte, kann auf ein neues Buch zurückgreifen – „Die Welt ist voll Licht“. Die Verfasserin, Dr. Hildegard Gosebrink, stellt darin ihre Namenspatronin vor – zehn Jahre nach deren Erhebung zur Kirchenlehrerin.

    Frau Dr. Gosebrink, in Ihrem Buch schreiben Sie: „Hildegard hat weder Fastenkurse konzipiert noch Back- und Kochbücher geschrieben.“ Warum muss man das extra klarstellen?

    (lacht) Das sehen Sie, wenn Sie sich die Bücherregale von Buchhandlungen anschauen. Viele Back- und Kochbücher werben mit dem Namen Hildegards von Bingen. Und auch in kirchlichen Bildungshäusern werden Fastenkurse unter dem Namen „Hildegard-Fasten“ angeboten. Tatsächlich haben diese Angebote mit der heiligen Hildegard von Bingen wenig bis nichts zu tun. Zum Markennamen wurde Hildegard Anfang der Siebzigerjahre, also vor rund 50 Jahren. Die Rückbesinnung auf diese Frau dürfte eine Gegenbewegung gewesen sein zum technischen Fortschritt und den sozialen Veränderungen unserer Zeit.

    Werden die Leute mit diesem Markennamen also irregeführt?

    Nach meinem Eindruck ist vielen Autoren oder Anbietern von Fastenkursen nicht bewusst, dass Hildegard von Bingen im 20. Jahrhundert praktisch neu erfunden wurde. Eine böse Absicht will ich niemandem unterstellen.

    Hildegard lebte im zwölften Jahrhundert und war „Kind ihrer Zeit“, wie Sie schreiben. Was bedeutet das?

    Typisch für das Hochmittelalter war zum Beispiel das Ständedenken. Hildegard wurde nur deswegen im Kloster aufgenommen, weil sie adeliger Herkunft war. An dieser Verknüpfung von Adel und Klosterleben hat sie festgehalten, obwohl es damals schon erste kritische Anfragen gab. Später setzte sich die Auffassung durch, dass diese Standesschranken nicht mit dem Evangelium vereinbar sind. Außerdem war sie eine Verfechterin des priesterlichen Zölibats. Ehelosigkeit war für sie ein Synonym für „Reinheit“, was für Menschen unserer Zeit nicht mehr nachvollziehbar ist.

    Aber Hildegard hielt die Frau ebenso für Gottes Ebenbild wie den Mann. War sie eine Feministin des Hochmittelalters?

    (lacht) Das kommt darauf an, was man unter Feministin versteht. Hildegard war sicher keine Frauenrechtlerin, wie man sie sich heute vorstellt. Sie hat keine Geschlechterrollen revolutioniert. Aber sie hing auch nicht an der traditionellen Vorstellung, dass Adam auf Jesus verweist und Eva auf Maria. Aus Hildegards Sicht steht Eva für die gesamte Menschheit. Und sie fand, dass Eva sogar vollkommener war als Adam. Denn bei der Erschaffung Adams brauchte Gott laut Buch Genesis zwei Schritte. Zuerst formte er die Gestalt aus Erdboden, dann hauchte er ihr Lebensatem ein. Bei Eva brauchte Gott jedoch nur einen Schritt, denn sie wurde direkt aus dem lebendigen Adam geschaffen. Hildegard folgerte daraus: Die Frau ist von Anfang an vollkommen.

    Warum wurde Hildegard 2012 zur Kirchenlehrerin erhoben?

    Um Kirchenlehrerin zu werden, muss eine Person theologische Schriften mit eigenem Profil hinterlassen haben. Ein tugendhaftes und vorbildliches Leben allein reicht nicht aus. Die theologischen Schriften müssen einen eigenen Zugang zum Thema erkennen lassen. Es ist nicht gefordert, dass diese Schriften aus heutiger Sicht irrtumsfrei sind. Wie gesagt, Hildegard war ein Kind ihrer Zeit. Ihre Theologie sowie ihre heil- und pflanzenkundlichen Schriften bewegten sich im Horizont ihrer Zeit. Wobei die theologischen Werke mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Hildegard selbst zurückgehen. Bei den heil- und pflanzenkundlichen Schriften ist die Urheberschaft zweifelhaft. Darüber hinaus hat Hildegard auch musikalische Kompositionen geschaffen. Für die Erhebung zur Kirchenlehrerin ist aber die Theologie das Maßgebliche.

    Was am überlieferten Werk von Hildegard ist Ihnen besonders sympathisch?

    Sympathisch finde ich, dass Hildegard ihren eigenen Standpunkt hatte und auch den Konflikt mit den Männern ihrer Zeit nicht scheute. Aus den Briefen der Heiligen geht hervor, dass sie hochrangigen Persönlichkeiten die Leviten las. Domkapitularen schrieb sie einmal, dass sie mit ihren Predigten höchstens die Mücken verscheuchen würden. Sie hielt deren Predigten also für irrelevant.

    Was unterscheidet Ihr Buch von anderen Hildegard-Büchern?

    Viele Bücher vermarkten Hildegard von Bingen auf populäre Weise, wie bereits erwähnt. Und dann gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Werke, die zum Beispiel von Historikern verfasst wurden. Ich hatte beim Schreiben das Ziel, die Vorstellungen und Überzeugungen Hildegards für ein breites Publikum zu schildern. Außerdem gibt es in meinem Buch Impulsfragen und Praxistipps für Einzelpersonen und Gruppen. „Die Welt ist voll Licht“ ist also eine Art Werkbuch für Menschen, die sich mit dem Denken der heiligen Hildegard auseinandersetzen wollen.    

    Interview: Ulrich Bausewein

    Buch und Veranstaltung: Das Buch „Hildegard von Bingen. Die Welt ist voll Licht" von Dr. Hildegard Gosebrink ist im Patmos-Verlag erschienen. Die Veranstaltung „‚Ich bin ein Mensch, die ungelehrt ist‘ – Die Kirchenlehrerin Hildegard von Bingen“ unter Leitung der Buchautorin findet am 22. November von 13.30 bis 16.30 Uhr im Generationen-Zentrum Matthias Ehrenfried in Würzburg und von 19.30 bis 21 Uhr im Martinushaus Aschaffenburg statt.