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Die Generalsekretärin der Caritas Jerusalem über den Nahost-Konflikt
Ein Zeichen der Hoffnung sein
JERUSALEM. Krieg und Terror überschatten die Stadt, die Juden, Christen und Moslems heilig ist. Als Generalsekretärin der Caritas Jerusalem erlebt Claudette Habesh die Situation im Land hautnah mit. Missio München hat sie nach Deutschland eingeladen. Im Gespräch mit dem Würzburger katholischen Sonntagsblatt spricht sie über die zermürbende Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und Israelis, über die Rolle des Auslands und über mögliche Chancen der Begegnung.
Die Fernsehbilder zeigen täglich neue schreckliche Bilder aus Nahost. Eine friedliche Lösung scheint nicht in Sicht zu sein. Wer ist dafür verantwortlich?
Das Fernsehen vermittelt einen Teil der Realität. Diese Realität besteht nur aus Gewalttaten. Aber was dahinter steckt, das erfahren die Menschen nicht. Die Wurzeln des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern liegen in der israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete seit 37 Jahren. Das ist ungerecht und verstößt gegen internationales Recht. Darunter leiden die Palästinenser. Ein normales Leben gibt es für sie nicht mehr ...
... wozu die Mauer, die Israel gerade baut, ein gutes Stück beiträgt?
Die Mauer trennt einen großen Teil der West Bank ab und zerschneidet damit das Leben der Palästinenser. Familien sind getrennt. Manche Häuser sind geteilt. Ich habe Fotos, die Studenten zeigen, wie sie versuchen, sich durch Risse in der Mauer zu zwängen, um zur Schule zu gelangen. Israel sagt, es ist eine Sicherheitsmauer. Das glaube ich nicht. Denn wieso baut Israel sie dann nicht entlang der Grenzen von 1967? Warum gerade im Herzen der West Bank, wo die Palästinenser sich einen unabhängigen Staat wünschen? Diese Mauer dient Israel dazu, mehr Land zu annektieren und die Siedlungen zu vergrößern.
Wie sieht angesichts der Krawalle und Anschläge das Alltagsleben im Heiligen Land aus?
Mein Leben ist leidvoll, mit vielen Demütigungen. Ein trauriges Leben. Man lebt in der ständigen Gefahr, erschossen oder ermordet zu werden. Normaler Alltag würde bedeuten, dass die Leute, die auf dem Land wohnen, ohne weiteres in die Stadt zu ihrer Arbeit fahren können; dass Schüler einfach in den Bus einsteigen und direkt zur Schule fahren können, ohne an Kontrollpunkten aufgehalten zu werden und sich von israelischen Soldaten untersuchen zu lassen. Das ist nicht möglich. Vor zwei Wochen ist mein Sohn von Ramallah zurückgekommen. An einem Kontrollpunkt wurde er in eine Schießerei verwickelt. Junge Palästinenser hatten Steine auf die israelischen Soldaten geworfen, die dann sofort das Feuer eröffnet haben. Mein Sohn sagte, in diesem Moment wusste er nicht, ob er wieder heim kommen würde oder nicht.
Die Christen stehen in diesem Konflikt zwischen den Fronten. Viele verlassen das Land.
Die Christen haben die Hoffnung verloren. Deshalb gehen sie fort. Sie emigrieren in den Westen, in die Vereinigten Staaten, nach Kanada oder Australien. Das lässt unsere Zahl jeden Tag kleiner und kleiner werden. Dagegen wollen wir angehen. Die Kirchen im Heiligen Land sollen nicht zu Museen werden.
Und wie wollen Sie dagegen angehen?
Wir müssen den Christen deutlich machen, dass sie nicht die vergessene Kirche sind. Wenn ich sage, ich komme von Jerusalem, heißt es zuerst: Ah, Sie sind Jüdin. Wenn ich verneine, heißt es: Ach so, eine Muslima. Dass ich Christin sein könnte, wird gar nicht in Betracht gezogen. Es ist also verständlich, dass viele Christen sich vergessen vorkommen. Wir müssen sie unterstützen. Eine Organisation wie die Caritas muss ein Zeichen der Hoffnung für diese Menschen sein, dass bessere Tage und Gerechtigkeit kommen werden.
Welche Zeichen setzt die Caritas in Jerusalem? Was sind ihre Hauptaufgaben?
Die Caritas Jerusalem wurde 1967 nach dem Sechs-Tage-Krieg gegründet. Sie sollte eine Antwort auf die Hilferufe der Menschen sein. Auch heute, nach 37 Jahren, wollen wir eine Antwort geben: Mit Essen, Kleidung und Medizin versorgen wir die Menschen in Not. Außerdem haben wir eine Kreditabteilung, die einfachen Leuten Darlehen gewährt. Es ist aber auch wichtig, dass wir versuchen, unser Leben weiterhin wie üblich zu führen, um ein Stück Normalität zu bewahren. Im November vergangenen Jahres sagte der Heilige Vater: „Das Heilige Land braucht nicht Mauern, sondern Brücken!“ Mit unserer Arbeit versuchen wir, die Brücken zu bauen. Wir wollen Frieden bringen zwischen Moslems und Christen und einen Dialog zwischen Israelis und Palästinensern erreichen.
Was können das europäische Ausland und die USA für diesen Dialog tun? Müssten sie verstärkt eingreifen?
Die USA und die ganze internationale Gemeinschaft haben eine große Verantwortung. Sie haben sich für Israel eingesetzt. Jetzt müssen sie aber auch dafür sorgen, dass Israel das internationale Gesetz und die Beschlüsse der Vereinten Nationen respektiert; und dass es sich an die Genfer Konvention von 1952 hält, die besagt, dass man nicht einfach bewohntes Land einnehmen und seine Leute dort ansiedeln darf. Doch Israel verstößt täglich gegen die Konvention, und niemand sagt etwas. Die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft ist es, dafür zu sorgen, dass das Leid der Menschen endlich aufhört und die Ungerechtigkeiten zu verhindern, die den Palästinensern widerfahren. Sie müssen diese Kriegssituation beenden. Die USA spielen eine ganz besondere Rolle. Sie gehören zu den Ländern, die den Friedensprozess vorangetrieben haben. Doch so ein Friedensvermittler muss neutral und ehrlich sein, nicht parteiisch. Und ich frage mich: Sind die USA wirklich nicht voreingenommen?
Am Weltmissionssonntag wurden die Menschen auf die Probleme im Nahen Osten aufmerksam gemacht. Welche Reaktion wünschen Sie sich von den deutschen Katholiken?
Ich erhoffe mir einen Dialog, eine Begegnung. Die Leute sollen über die Fernsehbilder hinaus die Wahrheit über das Land kennen. Durch die Begegnungen soll diese Wahrheit ans Licht gebracht werden. Von der katholischen Kirche in Deutschland erwarte ich, dass sie unsere Hilfsprojekte und unsere Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit unterstützt. Wir brauchen euch, um diese Projekte fortsetzen zu können. Wir brauchen euch auch als Zeugen, die sich gegen die Ungerechtigkeit aussprechen und für Gerechtigkeit einsetzen. Und wir brauchen euch, damit das internationale Gesetz und die Genfer Konvention ihre Geltung behalten.
Die Fernsehbilder zeigen täglich neue schreckliche Bilder aus Nahost. Eine friedliche Lösung scheint nicht in Sicht zu sein. Wer ist dafür verantwortlich?
Das Fernsehen vermittelt einen Teil der Realität. Diese Realität besteht nur aus Gewalttaten. Aber was dahinter steckt, das erfahren die Menschen nicht. Die Wurzeln des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern liegen in der israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete seit 37 Jahren. Das ist ungerecht und verstößt gegen internationales Recht. Darunter leiden die Palästinenser. Ein normales Leben gibt es für sie nicht mehr ...
... wozu die Mauer, die Israel gerade baut, ein gutes Stück beiträgt?
Die Mauer trennt einen großen Teil der West Bank ab und zerschneidet damit das Leben der Palästinenser. Familien sind getrennt. Manche Häuser sind geteilt. Ich habe Fotos, die Studenten zeigen, wie sie versuchen, sich durch Risse in der Mauer zu zwängen, um zur Schule zu gelangen. Israel sagt, es ist eine Sicherheitsmauer. Das glaube ich nicht. Denn wieso baut Israel sie dann nicht entlang der Grenzen von 1967? Warum gerade im Herzen der West Bank, wo die Palästinenser sich einen unabhängigen Staat wünschen? Diese Mauer dient Israel dazu, mehr Land zu annektieren und die Siedlungen zu vergrößern.
Wie sieht angesichts der Krawalle und Anschläge das Alltagsleben im Heiligen Land aus?
Mein Leben ist leidvoll, mit vielen Demütigungen. Ein trauriges Leben. Man lebt in der ständigen Gefahr, erschossen oder ermordet zu werden. Normaler Alltag würde bedeuten, dass die Leute, die auf dem Land wohnen, ohne weiteres in die Stadt zu ihrer Arbeit fahren können; dass Schüler einfach in den Bus einsteigen und direkt zur Schule fahren können, ohne an Kontrollpunkten aufgehalten zu werden und sich von israelischen Soldaten untersuchen zu lassen. Das ist nicht möglich. Vor zwei Wochen ist mein Sohn von Ramallah zurückgekommen. An einem Kontrollpunkt wurde er in eine Schießerei verwickelt. Junge Palästinenser hatten Steine auf die israelischen Soldaten geworfen, die dann sofort das Feuer eröffnet haben. Mein Sohn sagte, in diesem Moment wusste er nicht, ob er wieder heim kommen würde oder nicht.
Die Christen stehen in diesem Konflikt zwischen den Fronten. Viele verlassen das Land.
Die Christen haben die Hoffnung verloren. Deshalb gehen sie fort. Sie emigrieren in den Westen, in die Vereinigten Staaten, nach Kanada oder Australien. Das lässt unsere Zahl jeden Tag kleiner und kleiner werden. Dagegen wollen wir angehen. Die Kirchen im Heiligen Land sollen nicht zu Museen werden.
Und wie wollen Sie dagegen angehen?
Wir müssen den Christen deutlich machen, dass sie nicht die vergessene Kirche sind. Wenn ich sage, ich komme von Jerusalem, heißt es zuerst: Ah, Sie sind Jüdin. Wenn ich verneine, heißt es: Ach so, eine Muslima. Dass ich Christin sein könnte, wird gar nicht in Betracht gezogen. Es ist also verständlich, dass viele Christen sich vergessen vorkommen. Wir müssen sie unterstützen. Eine Organisation wie die Caritas muss ein Zeichen der Hoffnung für diese Menschen sein, dass bessere Tage und Gerechtigkeit kommen werden.
Welche Zeichen setzt die Caritas in Jerusalem? Was sind ihre Hauptaufgaben?
Die Caritas Jerusalem wurde 1967 nach dem Sechs-Tage-Krieg gegründet. Sie sollte eine Antwort auf die Hilferufe der Menschen sein. Auch heute, nach 37 Jahren, wollen wir eine Antwort geben: Mit Essen, Kleidung und Medizin versorgen wir die Menschen in Not. Außerdem haben wir eine Kreditabteilung, die einfachen Leuten Darlehen gewährt. Es ist aber auch wichtig, dass wir versuchen, unser Leben weiterhin wie üblich zu führen, um ein Stück Normalität zu bewahren. Im November vergangenen Jahres sagte der Heilige Vater: „Das Heilige Land braucht nicht Mauern, sondern Brücken!“ Mit unserer Arbeit versuchen wir, die Brücken zu bauen. Wir wollen Frieden bringen zwischen Moslems und Christen und einen Dialog zwischen Israelis und Palästinensern erreichen.
Was können das europäische Ausland und die USA für diesen Dialog tun? Müssten sie verstärkt eingreifen?
Die USA und die ganze internationale Gemeinschaft haben eine große Verantwortung. Sie haben sich für Israel eingesetzt. Jetzt müssen sie aber auch dafür sorgen, dass Israel das internationale Gesetz und die Beschlüsse der Vereinten Nationen respektiert; und dass es sich an die Genfer Konvention von 1952 hält, die besagt, dass man nicht einfach bewohntes Land einnehmen und seine Leute dort ansiedeln darf. Doch Israel verstößt täglich gegen die Konvention, und niemand sagt etwas. Die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft ist es, dafür zu sorgen, dass das Leid der Menschen endlich aufhört und die Ungerechtigkeiten zu verhindern, die den Palästinensern widerfahren. Sie müssen diese Kriegssituation beenden. Die USA spielen eine ganz besondere Rolle. Sie gehören zu den Ländern, die den Friedensprozess vorangetrieben haben. Doch so ein Friedensvermittler muss neutral und ehrlich sein, nicht parteiisch. Und ich frage mich: Sind die USA wirklich nicht voreingenommen?
Am Weltmissionssonntag wurden die Menschen auf die Probleme im Nahen Osten aufmerksam gemacht. Welche Reaktion wünschen Sie sich von den deutschen Katholiken?
Ich erhoffe mir einen Dialog, eine Begegnung. Die Leute sollen über die Fernsehbilder hinaus die Wahrheit über das Land kennen. Durch die Begegnungen soll diese Wahrheit ans Licht gebracht werden. Von der katholischen Kirche in Deutschland erwarte ich, dass sie unsere Hilfsprojekte und unsere Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit unterstützt. Wir brauchen euch, um diese Projekte fortsetzen zu können. Wir brauchen euch auch als Zeugen, die sich gegen die Ungerechtigkeit aussprechen und für Gerechtigkeit einsetzen. Und wir brauchen euch, damit das internationale Gesetz und die Genfer Konvention ihre Geltung behalten.