Ein Besuch vor Ort im August soll den Blick auf mitunter weniger bekannte Aspekte im Werk des 1894 im oberbayerischen Miesbach geborenen Malers lenken. Die Rolle des Museumsführers übernimmt Kunsthistoriker Dr. Thomas Schauerte, seit 2019 Direktor der Museen der Stadt Aschaffenburg. Zuvor hat der Dürer-Spezialist in Nürnberg unter anderem das Dürer-Haus geleitet. Mit Aschaffenburg ist er durch seine intensive Beschäftigung mit dem Mainzer Erzbischof und Kardinal Albrecht von Brandenburg eng verbunden.
Kunst der Zwischenkriegszeit
„Christian Schad ist einer der bedeutendsten deutschen Vertreter der Kunst der Zwischenkriegszeit, zugleich ein Hauptmeister der ,Neuen Sachlichkeit‘“, erläutert Schauerte. „Er ist als Künstler ein absoluter Selfmademan, kommt aus keiner Schule oder Meisterklasse, sondern hat sich seinen unverwechselbaren Stil vollkommen autodidaktisch (im Eigenunterricht, Anm. d. Red.) erarbeitet.“ Ermöglicht hätten dem Künstler das seine Eltern „Das war für seinen künstlerischen Erfolg gewissermaßen ,conditio sine qua non’ (Grundvoraussetzung, Anm. d. Red.): Die kunstsinnigen, wohlhabenden und einflussreichen Eltern haben fest an sein Talent geglaubt und ihm – vor allem finanziell – bis zur eigenen Erschöpfung den Rücken freigehalten“, so Schauerte.
Anders als etwa sein 1880 in Aschaffenburg geborener Altersgenosse, der Expressionist Ernst Ludwig Kirchner, entzog sich Schad dem Ersten Weltkrieg, indem er eine Herzkrankheit simulierte und in die Schweiz auswich. Dort lernte er die neuesten künstlerischen Entwicklungen kennen und experimentierte mit verschiedenen Stilen – beispielsweise mit dem Kubismus, der Bildgegenstände in geometrische Einzelformen auflöst.
Suche nach Sinn
In dieser frühen Phase Schads entstanden auch religiöse Werke. Darunter zum Beispiel eine „Kreuzabnahme“ und eine Darstellung des heiligen Sebastian, den man als Reflex auf das Leid interpretieren kann, das der Erste Weltkrieg über die Menschen brachte. Doch generell finden sich explizit religiöse Bilder, die christliche Thematiken aufgreifen, in Schads Oeuvre selten. „Wenn es sich nicht um lukrative Aufträge handelte, waren Themen aus diesem Spektrum für Christian Schad eigentlich uninteressant, er selbst war auch kein bekennender Christ“, erläutert Schauerte.
Auf der Suche nach Sinn war Schad allerdings sehr wohl. Im Lauf seines Lebens baute er eine umfangreiche Bibliothek mit philosophischer und esoterischer Literatur auf. Besonders anregend fand der Maler asiatische Weltanschauungen – er praktizierte Yoga und lernte in seiner Zeit in Berlin, wohin er in den 20er Jahren übersiedelte, sogar Chinesisch. Unabhängig davon war sich der Künstler sehr wohl bewusst, dass Werke religiösen Inhalts für ihn dann interessant sein konnten, wenn er mit einer breiten Rezeption durch einen großen Käuferkreis rechnen konnte.
Papst Pius XI.
Tatsächlich gelang es Schad, – durch Vermittlung des Franziskanerpaters Aquilin Reichert – Papst Pius XI. im Vatikan beobachten und zeichnen zu dürfen. Auch wenn es nicht zu einer eigenen Porträtsitzung kam, war der Papst mit Schads Vorhaben Kunstdrucke mit seinem Konterfei herzustellen einverstanden und schenkte dem Künstler bei einer Audienz im Vatikan eine Medaille. Sie war anlässlich des Heiligen Jahrs 1925 geprägt worden.
„Christian Schad musste mit seiner Kunst bis zum finanziellen Kollaps seines Vaters 1935 niemals Geld verdienen – aber berühmt werden wollte er doch mit allen Mitteln“, berichtet Schauerte. „Clou bei dem Papstporträt war die Tatsache, dass davon Tausende von Kunstdrucken für den katholischen Massenmarkt hergestellt wurden. Damit hätte sich der Name des Künstlers quasi über die ganze Welt verbreitet, wenn das Ganze aus unbekannten Gründen nicht ein totaler Fehlschlag geworden wäre“, erzählt der Museumsdirektor.
Auch wenn Schads Papstporträt, das in der Ausstellung als Reproduktion gezeigt wird, kein wirtschaftlicher Erfolg wurde, entwickelte der Künstler in der Zeit, in der er Papst Pius XI. porträtierte, seinen ganz eigenen, „neusachlichen“ Stil. Dessen Merkmale erklärt Schauerte am Porträt von Franziskaner Aquilin Reichert, ein Werk, das Schad selbst besonders geschätzt habe. Es weise bereits die distanzierte Darstellungsart und die feinmalerische Gestaltung auf, die für Schads später entstandene, bekannte Porträts charakteristisch sind.
Königsdisziplin Porträt
„Christian Schad ist sozusagen der Sachlichste der Sachlichen, was vor allem an seiner Königsdisziplin, dem Porträt, abzulesen ist“, so der Kunsthistoriker. „Der Künstler wahrt seinem Modell gegenüber absolute Distanz und vermeidet jeden Anflug des Psychologisierens, was sich dann auch auf die Porträtierten überträgt, deren Persönlichkeit und innere Verfasstheit rätselhaft stumm bleibt.“
Zu spätem Weltruhm – bekannt wurden sie einem breiten Publikum in den 70er Jahren – brachten es die in Wien und Berlin Ende der 1920er Jahre entstandenen, zum Teil von kühler Erotik bestimmten und auch vor der Darstellung des Hässlichen oder Außerordentlichen nicht zurückschreckenden Porträts. Sie befinden sich zum Großteil in Privatbesitz. In der damals gelegentlich als „Babylon“ bezeichneten Großstadt Berlin lotete der Künstler Schad auch die damaligen Ränder und Subkulturen der Gesellschaft aus.
„Stuppacher Madonna“ kopiert
Die zweite Hälfte seines Lebens sollte er allerdings in der Provinz verbringen. Nach einem erfolgreichen Porträtauftrag für ein Ehepaar der gehobenen Gesellschaft Aschaffenburgs erhielt er vom damaligen NS-Oberbürgermeister den Auftrag, für das Trauzimmer im Aschaffenburger Schloss die vom bekannten Renaissancekünstler Matthias Grünewald ursprünglich für die Stiftskirche geschaffene „Stuppacher Madonna“ zu kopieren. Das Original befindet sich heute in der Pfarrkirche von Stuppach bei Bad Mergentheim.
1943 fiel Schads Berliner Atelier den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer. Glück im Unglück: Seine spätere Frau Bettina hatte Schads Bilder vor den Bomben in Sicherheit gebracht. Der ausgebombte Künstler entschloss sich, in Aschaffenburg zu bleiben, wo er dann schließlich rund 40 Jahre vor den Toren der Stadt in Keilberg lebte. Die Arbeit an der „Stuppacher Madonna“ konnte er kriegsbedingt allerdings erst 1947 abschließen. Heute hängt seine Kopie nur wenige Minuten vom Christian Schad Museum entfernt in der Stiftskirche an dem Platz, den ursprünglich Grünewalds Original zierte: in der Maria-Schnee-Kapelle.
Leben in Aschaffenburg
Für Schads Leben, er starb 1982, sollte der Kopie-Auftrag zu „Stuppacher Madonna“ laut Schauerte dreifache Bedeutung gewinnen: „Zunächst konnte er hier sein langjähriges Studium altmeisterlicher Maltechniken an einem illustren Objekt unter Beweis stellen“, erläutert der Renaissancespezialist. „Sodann hatte er im zerbombten Berlin gerade sein Atelier verloren und war für den Geldsegen von 12.000 Reichsmark als Honorar entsprechend empfänglich“. Und: „Vor allem war es die entscheidende Weichenstellung für seine dauerhafte Übersiedlung nach Aschaffenburg – auch wenn er das damals wohl noch nicht ahnte.“
Wie schon bei der Rettung von Schads Bildern in Berlin spielte Bettina Schad auch im Vorfeld der Entstehung des Aschaffenburger Schad Museums die entscheidende Rolle: „Ohne Bettina Schad gäbe es das ganze Museum nicht, und schon zu Lebzeiten unterhielt sie die wichtigen Kontakte zu Galerien, Auftraggebern und Käufern“, berichtet Kunstfachmann Schauerte. „Ihre eigene Schauspielkarriere gab sie früh auf und stellte sich ganz in den Dienst ihres Mannes und seines Werks. Sie katalogisierte, sichtete und ordnete seinen gesamten Nachlass, der ja nicht nur aus über 3000 Kunstwerken, sondern auch aus Briefen, Dokumenten und sogar seinem Mobiliar besteht.“
Direktor Schauerte ist stolz auf das neue Haus – und hofft, dass er in Zukunft weitere Meisterwerke der „Neuen Sachlichkeit“ aus Privatbesitz erwerben kann. Zufrieden sind anscheinend auch die Kunst-Freunde: Beim Museumsbesuch waren die Räume zur Mittagszeit gut besucht.
Stefan W. Römmelt/hela
Das Christian Schad Museum hat dienstags von 10 bis 21 Uhr und mittwochs bis sonntags sowie an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 5 Euro (ermäßigt 3,50 Euro).