Das im Außerordentlichen Heiligen Jahr der Barmherzigkeit von der Kirchenverwaltung in Auftrag gegebene Werk erregte schon vor der Segnung internationales Aufsehen, da Triegel das weltweit bekannte Gnadenbild vom „Barmherzigen Jesus“, das der polnische Maler Adolf Hyla 1944 geschaffen hat, neu interpretierte. Bei der Gestaltung des Andachtsbildes orientierte sich der Leipziger an den Visionen der heiligen Schwester Faustyna Kowalska, die diese in ihrem Tagebuch festgehalten hat. Im Gespräch mit dem Sonntagsblatt skizziert Triegel die Grundlagen seines künstlerischen Schaffens.
Herr Triegel, Sie haben Ende 2016 in einem Interview gesagt: „Grund meiner Arbeit sind meine zum Teil verstörenden Fragen an Gott und die Welt.“ Welche verstörenden Fragen haben Sie denn an Gott und die Welt?Natürlich sind es immer wieder die ganz großen Fragen, so pathetisch es klingen mag: nach Leben und Tod, wie geht man mit Krankheit im engsten Umfeld um. Und bei mir ist es immer die Frage gewesen: „Ist es möglich zu glauben?“ Die Möglichkeit, dass ich den Weg finde, dass der Kopf sagt: „So, ich widerspreche jetzt nicht.“ Das sind die Sachen, die ich immer thematisiert habe. Insofern sind es zwei Sachen, Sehnsüchte und Zweifel, die immer wieder eine Rolle spielen. Und das ist auch heute so. Sie haben auch von den Spannungen zwischen dem, was Sie sehen und gestalten möchten, und dem nicht Darstellbaren gesprochen. Darf man Gott überhaupt darstellen?
Natürlich darf man Jesus Christus darstellen. Er ist Fleisch geworden, er ist Mensch geworden. Als Mensch darf man ihn darstellen. Nun haben sich die Künstler spätestens seit der Renaissance nicht gescheut, auch Gott darzustellen, zum Beispiel Gottvater in der Sixtinischen Kapelle. Das ist natürlich problematisch genug. Für mich als gegenständlich malenden Künstler ist das eine Möglichkeit der Näherung, immer wissend, dass es nur eine Näherung sein kann. Das Bild kann nur ein Abglanz im Menschlichen sein, wo sich das Göttliche spiegelt. Aber Gott selbst darzustellen würde ich mir nie anmaßen. Welche Kunstepoche interessiert Sie besonders?
Mich interessiert besonders die Kunst der Renaissance und des Manierismus. Ich habe mir das ja nicht am Schreibtisch ausgedacht. Es war mir ein Bedürfnis, in dieser Richtung zu arbeiten. Gerade die Zeit um 1500 bezeichnet man ja nicht umsonst als den Beginn der Neuzeit. Und ich glaube schon, dass viele Probleme, die wir heute haben, da auch latent schon als Kinderkrankheit vorhanden waren. Wenn Sie an das Selbstporträt von Albrecht Dürer im Pelzrock in der Münchner Alten Pinakothek denken: Er gibt sich da ja als Christus in der klassischen Ikonenpose von vorne mit dem aufgelösten Haar, dem Bart. Er greift sich in den Pelz, als ob er eine Seitenwunde präsentierte, und hätte als Maler gar nicht diesen Pelz tragen dürfen. Das durften eben nur Richter oder Patrizier. Aber wenn er in diesem Fall die Rolle des Weltenrichters einnimmt, heißt das natürlich – so wurde dieses Selbstporträt häufig genug interpretiert –, dass das Individuum endlich in sein Recht tritt. Der Mensch steht als zweiter Schöpfergott im Zentrum. Großartig für die Individuation. Problematisch aber auch, wenn wir uns mit dieser Rolle überheben. Da ist es gerade das 16. Jahrhundert, wo Künstler sehr sensibel reagiert haben. Diese Hochzeit, in der man das Gefühl hatte, jetzt haben wir das Ganze in der Hand, das waren 20 Jahre von 1500 bis 1520. Und dann kamen die Probleme. Sie meinen die Reformation? Ja, die Reformation. Mit der Reformation 1517 kommt ein ganzes Glaubensgebäude ins Wanken. 1527 wird die ewige Stadt im „Sacco di Roma“ geplündert. Auf einmal ist die Welt durch die Entdeckung der Neuen Welt so groß, dass die Leute sich fragen müssen: „Wo stehe ich kleines Menschlein denn da heute?“ Das sind unsere Probleme. Was sagen Sie zum Kitsch-Vorwurf, der Adolf Hylas Bild des „Barmherzigen Jesus“ häufig gemacht wird? Und wie haben Sie Ihre „Vorlage“ behandelt?
Kitsch zielt in erster Linie in eine Richtung, die des absoluten Gefühls, des Sentimentalen. Da habe ich mich bemüht, das Sentiment weitestgehend herauszulassen, es intellektuell zu reflektieren. Kitsch ist meist nur die Behauptung für etwas, was er nicht einlöst. Das gilt meist auch für den rein handwerklichen Aspekt. Ob ich das jetzt einlöse, mögen andere entscheiden. Andererseits ist natürlich auffällig, dass gerade das Originalbild, das jetzt in Krakau hängt, vielleicht nicht umsonst eines der meist reproduzierten Bilder der katholischen Kirche ist, weil eventuell eben die Sehnsucht da ist, sich ganz sentimental berühren zu lassen. Vielleicht ist es das, was wir weitestgehend auch verlernt haben. Ich könnte das wahrscheinlich so nicht bieten. Sonst hätte man mich ja auch gar nicht gefragt. Man wollte ja, dass ich es „entkitsche“. Mal sehen, ob es geklappt hat. Der „Barmherzige Jesus“ ist ja nicht das erste Werk, das Sie für das Bistum Würzburg geschaffen haben. Gibt es eine innere Verbindung zwischen den verschiedenen Bildern?
Für mich war der „Barmherzige Jesus“ schon ein Bogenschlag. Eines der ersten Bilder, das die Diözese für das Museum am Dom erworben hat, war das Abendmahl. Ein relativ frühes Bild von 1994, das ist jetzt 23 Jahre her. Der „Barmherzige Jesus“ ist für mich vielleicht auch eine Brücke, dass ich den Zweifel, den ich in diesem Abendmahl thematisiert habe, nicht weglasse, sondern ihn wenigstens teilweise in Balance bringe zum Glauben. Auf einmal hat Jesus ein Gesicht. Es ist immer noch kein vollkommen reales Gesicht, wo man sagen könnte, das ist das einzige Gesicht, auf das ich mich festlege. Es ist eben immer noch Gold. Aber es wird zu einem konkretes Gesicht über diesem Gold, greifbar und transzendent zugleich. Der 2011 vollendete Augustinusaltar in Dettelbach war für mich eine großartige Auseinandersetzung mit der Person Augustini, also mit dem großen Frager und Zweifler. Er hat mich sehr weitergebracht. 2007 war in Ebern das Thema das Wort Gottes – einmal, wenn der Altar geschlossen ist – Abraham und Isaak. Ist das nicht unglaublich, dass Gott verlangen könnte, Abraham solle seinen Sohn töten? Und was macht dieses Wort mit diesem Vater? Dann schlägt man den Flügelaltar auf, und da sieht man Stephanus, den ersten Märtyrer für das Wort Gottes, Petrus, den ersten Papst, wenn man so will, der eben mit dem Wort Tabita auferweckt hat. Und in der Mitte der große Zweifel. Der Zweifel, der bei der Bekehrung des Saulus zu Paulus eben nicht durch eigene Handlung überwunden wurde, sondern durch Gnade. Das war für mich damals die große Sehnsucht. Das war ja immer mein Versuch: Ich muss mir selbst das Damaskus-Erlebnis schaffen. Und das funktioniert freilich nicht, und zum Glück hat es nicht geklappt. Das war der Versuch, sich über Ästhetik zu nähern, über formale Überwältigung. Ich habe gedacht, als ich Papst Benedikt begegnete: „Vielleicht klappt es ja, wenn Du den Papst triffst.“ Das war es zum Glück immer noch nicht. Das Damaskus-Erlebnis kam dann ganz still. Und ich glaube, das floss dann auch in dieses Bild vom „Barmherzigen Jesus“ mit ein. 2002 haben Sie einen Text des spanischen Mystikers Juan de la Cruz, des Vertrauten der Teresa von Ávila, illustriert. Welche Bedeutung besitzt die Mystik für Sie?
Es sind dunkle Bilder. Und das ist das Großartige. Eines meiner liebsten Worte in der Heiligen Schrift ist das Pauluswort aus dem 1. Korintherbrief: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht.“ Und das ist für mich durchaus etwas Wichtiges. In einer Zeit, die so sehr der Rationalität vertraut und die Ratio vielleicht sogar selbst vergottet, die die Ratio zum Selbstzweck erklärt, ist für mich das Geheimnis, das Dunkle, das nicht Entschlüsselbare etwas ungeheuer Wichtiges. Novalis hat kurz nach der Aufklärung als Romantiker nicht nur die Blaue Blume gesucht, sondern er hat gesagt: „Die Welt muss wieder romantisiert werden.“ Das meinte eben nicht den Sonnenuntergang, sondern das Geheimnis, dem Geheimnis wieder Raum zu geben. Und das ist es, was mich auch an der Mystik interessiert. Es sind wunderbare sprachliche Bilder. Bei Juan de la Cruz hast du die dunkle Nacht, die suchende Seele, du hast die Leiter. Man könnte natürlich sagen: Das ist ja alles surreal. Ja, über-wirklich. Deswegen interessiert es mich ja auch. Deswegen interessiert mich durchaus ebenfalls der Surrealismus, der dem Unterbewussten vertraut. Und das ist vielleicht auch die Brücke in die Gegenwart, dass man da eine Möglichkeit der Näherung wiederfindet, die Dunkel neben Licht stellt, Glauben neben Vernunft. Interview: Stefan W. Römmelt