„Wir haben einen Dienstplan, der wöchentlich wechselt, und wer Dienst hat, hört die Hotline ab“, berichtet Robert Reisert aus Aschaffenburg, der für das Lotsenprojekt verantwortlich ist. Für Reisert, seit kurzem jenseits der 60 und im Vorruhestand, ist das Projekt der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung eine Herzensangelegenheit: „Damit wollen wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten.“ Die Arbeits- und Soziallotsen ergänzen die professionelle Rechtsberatung der KAB, die von Ralph Stapp und Klaus Köhler geleistet wird.
Für alle offen
Beraten lassen können sich alle Menschen aus Unterfranken. Egal, ob sie Mitglied der KAB sind oder nicht. Egal, ob sie katholisch, evangelisch oder areligiös sind. Das Beratungsspektrum ist breit gefächert. Es geht um Probleme rund um Urlaubsansprüche oder Überstunden. Um Probleme mit der Krankenkasse. „Außerdem beraten wir zu den Themen ‚Rente‘ und ‚Pflege‘.“
Noch ist das Projekt sehr jung und kaum bekannt, doch es zieht immer weitere Kreise. „Wir haben schon elfmal beraten“, erzählt Reisert. In zwei Fällen ging es um komplexere Angelegenheiten, und zwar um Kündigungen. In beiden Fällen wurden Personen beraten, die der KAB noch nicht angehört hatten. Weil die Angelegenheiten jeweils nicht ganz einfach waren, wollten die beiden auch die professionelle Rechtsberatung der KAB vollumfänglich in Anspruch nehmen. „Darum traten sie uns bei.“ In beiden Fällen ging die Sache vor das Arbeitsgericht. „Und in beiden Fällen hatten die Betroffenen Erfolg.“
Für Durchblick sorgen
Für Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher ist das Arbeits- und Sozialrecht ein Buch mit sieben Siegeln. Alles erscheint kompliziert. Man blickt nicht recht durch. Und macht sich einen Kopf – oft unnötig. Genau hier setzen die Arbeits- und Soziallotsen an. Sie geben eine erste Information. Hören zu. Beruhigen. Robert Reisert zum Beispiel hatte es kürzlich mit einer Frau zu tun, die betriebsbedingt entlassen wurde, da die Firma schließen musste. Zweieinhalb Jahre fehlten ihr noch bis zur Rente. Die Klientin hatte Angst vor erheblichen Renteneinbußen. Reisert konnte diese Ängste nehmen: „Es handelte sich letztlich lediglich um ein Minus von 20 Euro brutto im Monat.“
An die Lotsen kann man sich wenden, wenn man einen Job im Niedriglohnbereich hat und wissen möchte, ob das wirklich in Ordnung ist mit der schlechten Bezahlung. Bei Schwierigkeiten mit dem Jobcenter gibt es Tipps. Die Lotsen haben außerdem ein offenes Ohr, wenn es am Arbeitsplatz kracht.
Erfahrungen
Ziel ist es, Beratungen bei Bedarf möglichst vor Ort anzubieten. Dafür muss das Netz jedoch noch erweitert werden. Aktuell sind vor allem in den Räumen Aschaffenburg und Schweinfurt Lotsen aktiv. „Wobei wir nun drei neue Anfragen für den Lotsendienst aus Main-Spessart und Würzburg haben“, freut sich Robert Reisert. Die Rhön ist nach wie vor ein weißer Fleck auf der Beraterlandkarte.
Einige der Lotsen sind, wie Robert Reisert, inzwischen berentet, viele gehen aber auch noch einer Arbeit nach. „Unser jüngster Lotse ist erst Ende 20“, berichtet der KAB-Diözesanvorsitzende. Der berufliche Hintergrund könnte laut Betriebsseelsorger Ralph Stapp bunter kaum sein: „Wir haben verschiedene Lotsen aus dem kaufmännischen Bereich, einige sind in Banken tätig, auch eine Anwältin ist bei uns engagiert.“ Handwerk und Gewerbe sind ebenfalls vertreten.
Stapp und Reisert waren nach eigener Aussage „sehr erstaunt“, auf welch großes Interesse das Projekt bei den 5000 Mitgliedern der KAB gestoßen ist. Die Ratsuchenden haben das Gefühl, dass sie sehr offen zu den Lotsen sein können. „Wir bekommen nicht nur den Sachverhalt geschildert, die Menschen erzählen uns auch, was sie erlebt haben und was sie dabei emotional empfanden“, schildert Robert Reisert. Er erinnert sich an eine Frau, der betriebsbedingt gekündigt wurde: „Sie hat genau erzählt, wie die Kündigung abgelaufen ist.“
Von großer Bedeutung
Oft sei die Beratungsarbeit auch nicht mit einem Gespräch getan. Nicht selten sind zwei oder drei Gespräche nötig. Eine Höchstzahl ist im Konzept nicht festgelegt. Anzahl und Frequenz der Gespräche entscheidet jeder Lotse nach Lage der Dinge selbst.
In Zeiten von Privatisierung und um sich greifender Arbeitnehmerüberlassung sind Projekte wie das des christlichen Sozialverbands von großer Bedeutung. Der kostenfreie Beratungsservice hat allerdings noch einen weiteren Nebeneffekt. „Wir zeigen nach außen, dass sich die KAB und damit die Kirche für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einsetzt“, betont Robert Reisert. Noch viel zu wenigen Menschen sei die KAB als kirchliche Fachstelle für Fragen der Arbeitswelt und Sozialpolitik bekannt.
Die Arbeits- und Soziallotsen sind nicht gezwungen, die jeweils neuesten Gesetzestexte zu rezipieren. Sie müssen auch nicht das gesamte Arbeitsrecht auswendig kennen. „Ein Lotse braucht in erster Linie gesunden Menschenverstand, wichtig ist es außerdem, um Fristen zu wissen, die eingehalten werden müssen“, schildert Robert Reisert. Auf ihre Aufgabe werden die Lotsen in einer dreistufigen Schulung vorbereitet. Diese bietet unter anderem einen Überblick über das Arbeits- und Sozialrecht. Angst vor Konsequenzen wegen eventueller Falschauskünfte bei der Beratung müsse niemand haben: „Wir sind als Lotsen dagegen versichert.“
Pat Christ
Die Arbeits- und Soziallotsen können kostenfrei kontaktiert werden: telefonisch unter 0931/386-65333 oder per E-Mail an lotsen@kab-wuerzburg.de.