Die drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar in ihren weiten, roten Umhängen, haben wohl an der Türe des Hauses geklopft. Herausgetreten ist Maria, bekleidet mit Kopftuch, einem langen, gedeckten Wollkleid und Sandalen an den Füßen. Sie zeigt sich als junge Bäuerin von herber Schönheit.
Erschrocken
Hinter Maria erscheint Josef, der Mann an ihrer Seite. Er wirkt sichtlich erschrocken: „Wer sind wohl diese merkwürdigen Gestalten”, scheint er sich zu fragen. Männer mit Kronen auf den Häuptern und mit Gaben von unschätzbarem Wert in den Händen? „Was wollen die ausgerechnet bei uns?” Josef wagt kaum das Haus zu verlassen. Seine Stirn lehnt am niedrigen Türsturz. Oder hat er sich vor Schreck den Kopf angeschlagen? Als Zeichen der Ehrerbietung hat er seinen Hut abgenommen und mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund beobachtet er verstört das Geschehen. Wird ihm erst in diesem Moment bewusst, dass der kleine Jesusknabe der verheißene Erlöser ist, der seine Passion noch vor sich hat?
Die einfache Bäuerin
Im Gegensatz zu ihrem Ehemann Josef beugt sich Maria voller Vertrauen zu dem vor ihr knieenden, barhäuptigen greisen König mit ausgemergeltem Gesicht und langem, schlohweißem Bart. Ganz behutsam hält sie das in Windeln gehüllte Neugeborene in ihren Händen, wobei sie das Bündel dem König leicht zuwendet. Maria scheint ihrem kleinen Sohn zuzuflüstern: „Schau, was für Schätze Dir die Waisen aus dem Morgenland darbringen ...?” Mit Gold, Weihrauch und Myrrhe huldigten die gekrönten Häupter den Neugeborenen als den König der Könige. In diesem Zusammenhang sind auch die Gaben zu deuten: Gold als Zeichen des Wohlstands der Könige. Weihrauch, das Königen auf der Straße oft vorangetragen wurde. Und Myrrhe, die vor 3000 Jahren bereits die alten Ägypter zum Einbalsamieren ihrer Toten vewendeten. Wie beim knieenden König, so sind die Blicke der beiden stehenden Könige – ein jüngerer mit dunklem Haar und ein Mann mittleren Alters – in großer Ernsthaftigkeit und Ehrfurcht dem Jesusknaben zugewandt.
Auch sie kommen nicht mit leeren Händen. Goldene Deckelpokale halten sie fest in ihren Händen, Pokale, die den Exemplaren aus den Kunstkabinetten der Renaissance nachgebildet sind. Neben der Hauptszene im Vordergrund hat der Maler Rudolf Schiestl in der rechten, hinteren Bildhälfte die Bauern des Dorfs dargestellt. Sie stecken ihre Köpfe zusammen und rätseln wie Josef darüber, wer wohl diese vornehmen, sonderbaren Gestalten sind. Alle im Bild versammelten Figuren haben eines gemeinsam: In ihrer Blockhaftigkeit erinnern sie an Krippenfiguren, die Rudolf Schiestl in seinem Gemälde stimmig zu einer Art Krippenlandschaft zusammengestellt hat.
Untermauert wird dieser Vergleich durch die Tatsache, dass Rudolf Schiestl ebenso wie seine beiden Brüder Matthäus d. J. (1869–1939) und Heinz (1867–1940) eine Holzschnitzerlehre in der Werkstatt des Vaters, Matthäus d. Ä. (1834–1915), in der Würzburger Oberen Johannitergasse 11, absolvierte. Hier wurde nicht nur geschnitzt, sondern die Figuren und Reliefs wurden auch bemalt und vergoldet – so, wie es ihr Vater selbst einmal in seiner Heimat Südtirol gelernt hatte.
Faible für Dürer
Wie sein Bruder Matthäus schlug auch Rudolf die akademische Laufbahn ein; als Professor der Kunst hat der jüngste Schiestl viele Jahre an der Kunstgewerbeschule in Nürnberg gelehrt. In seiner Münchner Studienzeit unterhielten beide Brüder gemeinsam eine Bude, und in einem kleinen Atelier in der Gabelsberger Straße arbeiteten sie. Allen drei Schiestl-Brüder liebten die Kunst der beginnenden Neuzeit um 1500. So studierten sie die Kupferstiche eines Martin Schongauers, oder die eines Albrecht Dürers. Es ist wohl kein Zufall, dass Rudolf Schiestl bei seinem Tod am 30. November 1931 auf dem historischen Nürnberger Johannisfriedhof unweit des Grabes von Albrecht Dürer seine letzte Ruhestätte gefunden hat.
Matthias Risser