Schlangen, Totenköpfe und barbusige Frauen zieren die nackten Arme der rund 20 jungen Männer. Sie wirken wie harte Jungs. Fast alle haben solche Tattoos und tragen sie offen – auch in der Kapelle, in der sie sich versammelt haben. Einige halten die Augen geschlossen, andere knien auf den schlichten Holzbänken. Jeder Einzelne trägt eine Fürbitte vor, sonst schweigen sie. Es ist Rosenkranzgebet auf Gut Neuhof, ein Ort zur Rehabilitation von Suchtkranken ohne Medikamente mit Hilfe des Glaubens.
Das Projekt vor den Toren Berlins wird vom Bonifatiuswerk, dem Diaspora-Hilfswerk der deutschen Katholiken, gefördert. Die Drogenabhängigen haben dafür einen eigenen Hand-Rosenkranz gestaltet. Auch die kleine Kapelle mit der offenen Dachkonstruktion haben die Drogenabhängigen selbst gebaut, um dort den Rosenkranz zu beten. Vor dem Altar mit einer runden Glasplatte, die von einer Konstruktion aus Eisenbahnschwellen und einer ehemaligen Hebebühne gehalten wird, stehen kleine Kreuze. „Sucht“ oder „Geld & Drogen“ steht auf den Zetteln, die daran gepinnt sind – also genau die Probleme, die auf Gut Neuhof mit Hilfe des Glaubens gelöst werden sollen. Pater Cezar, der jeden Tag mit den Jugendlichen die Messe feiert, stellt klare Ansprüche an seine Schützlinge: „Sie sollen lernen, nach dem Evangelium zu leben und die Regeln des Miteinander wieder zu beachten“, sagt der Franziskaner. Und sie sollen Verzicht üben, um wieder Wert zu schätzen. Lösungen will er mit den etwa 30 Bewohnern von Gut Neuhof finden, zuerst für die eigenen Probleme mit der Familie und sich selbst, dann für das Leben draußen.
Dass dies funktioniert, davon ist Cezar überzeugt. Das zeigen auch Beispiele wie Martin. Er hat es geschafft, von den Drogen weg zu kommen. „Die Droge macht einsam, das wird durch den Glauben an Gott kompensiert. Die Jungs in der Kapelle glauben noch nicht daran. „Viele von uns machen nur mit, weil es verlangt wird. Es ist nicht aus Überzeugung“, sagt einer von ihnen.
Szenenwechsel: Jacobs Leidenschaft ist der Erfurter Dom. Der 16-Jährige nimmt vor dem Hauptportal des Bauwerks gleich mehrere Stufen auf einmal. Um seinen Hals baumelt ein Fanschal von Rot-Weiß Erfurt. Fußball ist seine zweite Leidenschaft. Jacob fühlt sich im Dom zu Hause, kennt jede Ecke, kann Einzelheiten des Chorgestühls genauso gut beschreiben wie die Geschichte der Gloriosa – jener Glocke hoch oben im Turm, die als die größte aus dem Mittelalter gilt.
Kinderkirchenführung
Und er hat sich gewissermaßen schon heute in der Geschichte des alten Gemäuers verewigt – mit seiner Stimme. Vor fünf Jahren, im Alter von elf Jahren, hat der Schüler mit Hilfe seines Vaters eine Domführung speziell für seine Altersgenossen ausgearbeitet und auf Kassette aufgenommen. Denn wenn die Schule ruft, muss der Dom zurückstehen. Doch Jacob hat schon einen Nachfolger gewonnen, seinen Klassenkamerad Daniel. Von ihren Freunden werden die beiden Jungs dafür belächelt: „Für die ist unser Interesse fast gleichzusetzen mit der Einschreibung ins Priesterseminar.“
„Zusammenhalt stärken“
Wie etwa in Parey bei Magdeburg – wenn auch nur jeden dritten Montag im Monat. Claudia Knabe geht mit der Gitarrentasche in der Hand von der Hauptstraße über den kleinen Hinterhof zur Kapelle des Ortes. Nur ein kleiner Schaukasten am Zaun deutet auf das Gotteshaus in der ehemaligen Scheune hin. Seit Sommer vergangenen Jahres bietet die junge Frau, die erst vor wenigen Jahren getauft wurde, in dem kleinen Dorf an der Elbe ein Taize-Gebet an, etwa ein Dutzend Menschen folgen der Einladung. „Es hat hier noch nie viele Katholiken gegeben“, sagt ein Gemeindemitglied. „Und Jugendliche gibt es auch immer weniger.“ Jugendbildungsreferent Michael Kauer kümmert sich um die wenigen Verbliebenen. Regelmäßig veranstaltet er Taize-Wochenenden im Bistum Magdeburg, an denen auch die Jugendlichen aus Parey teilnehmen. Dort können die wenigen Christen Glaubensfragen und auch Zweifel diskutieren. „Mit solchen Treffen soll der Zusammenhalt unter den Christen wieder gestärkt werden.“ 18 Jugendliche sind an diesem Wochenende nach Güsen gekommen. Aus den Diskussionen untereinander wird eines schnell klar: Sie suchen Geborgenheit und gleichzeitig Offenheit, Spiritualität und die Ruhe, um über ihr Leben nachzudenken. „Ich kann mich hier vom Alltagsstress ablenken und auf mich selbst konzentrieren“, sagt einer der jungen Männer.
Moderne Kirchenlieder
„Hier erleben Jugendliche Kirche einmal anders“, beobachtet Frater Judas Thaddäus Maria. Der 31-jährige Benediktiner schreitet langsam hinter dem wuchtigen Holzkreuz hinterher, mitten in einer Gruppe Jugendlicher. Es ist 22 Uhr, die Nacht hat sich bereits auf das Tal der Zwickauer Mulde gelegt. Dort liegt das Kloster Wechselburg, zu dem auch Judas Thaddäus gehört. Der Mönch ist für die Jugendarbeit in der Gegend verantwortlich. Heute abend veranstaltet er einen „Kreuzweg der Jugend“.
Die Gruppe zieht in die Basilika ein, moderne Kirchenlieder werden gesungen. Judas Thaddäus stellt sich in die Mitte der Gruppe und interpretiert den Kreuzweg auf moderne Art. „Mit der Basilika im Rücken können wir als Kontrast etwas Modernes machen“, sagt er später. Sein Ziel ist es, Jugendliche mit dem Glauben, dem Gebet und dem klösterlichen Leben vertraut zu machen, gerade in einer entchristlichten Gegend. In der Diaspora gelten junge Christen als anders, erklärt der Mönch. Genau dies fördere jedoch den Zusammenhalt. Doch um junge Menschen in der ehemals kommunistischen „gottlosen“ Region auf Kirche neugierig zu machen, braucht es nicht immer Gebet und Kutte. Judas Thaddäus spielt auch schon mal Tischtennis oder kickt auf dem Bolzplatz. Er ist einer von ihnen. Mit dieser Volksnähe wirkt er in seinem Kampf für den Glauben ein bisschen wie der Don Camillo von Wechselburg.