Aufrecht und aufrichtig
Alle Versuche, den Verspotteten zu demütigen und zu erniedrigen, verfehlen bei Jesus ihre Wirkung. Sie machen ihn nicht kleiner, beugen und zerbrechen ihn nicht, sondern scheinen ihn größer zu machen und in seiner ganzen Würde vorzustellen.
Trotz Spott und Schmähung – er senkt seinen Kopf nicht. Trotz aller Versuche, ihm seine Würde zu nehmen – er gibt sie nicht preis. In seinem aufrechten Stehen wird seine Aufrichtigkeit sichtbar. In der Erniedrigung zeigt er seine Größe. Die Würde, die man ihm nehmen will, gibt er nicht preis. Die Unmenschlichkeit, die ihm begegnet, lässt ihn nicht sich selbst vergessen. Die Beleidigungen, die ihn treffen, verleiten ihn nicht, gleich zurückzugeben.
Es wird deutlich: Seine Peiniger sind es, die sich selbst demütigen, die ihre eigene Würde aufgeben und sich erniedrigen. Sie gebärden sich nicht mehr wie Menschen. Er aber trägt und erträgt. Er verwünscht nicht, er droht nicht, er verlangt keinen unbefangenen und gerechten Richter. Dass er den in seinem Fall nicht finden wird, ist ihm bewusst.
Die Richter, die über ihm zu Gericht sitzen, haben ihr Urteil bereits gefällt – nicht auf der Grundlage des Rechts, sondern wegen machtpolitischen Kalküls. Vor diesem Angeklagten wird ihre Unaufrichtigkeit und Korruptheit deutlich. Vor seiner Würde werden Würdelosigkeit und Unmenschlichkeit seiner entfesselten Peiniger sichtbar. Der gerechte Richter, dem er seine Sache ganz überlässt, ist Gott selbst. Von ihm hat er seine Würde. Aus der Beziehung zu ihm hat er die Kraft, aufrecht zu stehen. So laufen sich an ihm Spott und Hohn tot.
Ungebrochenes Weiß
Das strahlende Weiß seines Gewandes wird nicht besudelt durch Spott und Unflat, die über ihm ausgegossen werden. Wer mit Schlamm und Dreck, mit Spott und Hohn um sich spritzt, beschmutzt sich selbst. Es fällt auf den zurück, der damit geworfen hat. Hohn und Speichel, die Jesus von seinen Spöttern her treffen, treffen ihn nicht in seiner Würde.
Sein Gewand bleibt strahlend weiß. Das weiße Gewand erinnert an das Taufkleid und schlägt so einen Bogen von der Passion Jesu zum Leben eines jeden Christen. Die Taufe gibt Anteil an dem Leben, das Jesus durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen erworben hat. Es ist ein neues, befreites und reines Leben. Die Offenbarung des Johannes sieht die weißen Gewänder der Christen im Blut des Opferlammes Christi rein gewaschen. Es ist eine große Schar aus aller Welt, die für ihren Glauben an Jesus Unverständnis und Spott, letztlich sogar Verfolgung erduldet haben (vergleiche Offenbarung 7,14). Eine Bedrängnis, in die Christen auch heute geraten, nicht nur in der offenen Verfolgung, sondern auch im Unverständnis ihrer Mitmenschen, die für den Glauben nur ein müdes Kopfschütteln übrig haben.
Diese Missachtung, aber auch die offene Verfolgung, Spott und Verunglimpfung nehmen einem Christen nicht die Würde seiner Taufe. Alles kann an ihm abgleiten und muss nicht an seiner Würde kratzen. Die Würde des weißen Gewandes kann nicht von außen beschmutzt werden. Seien die Spötter und Kopfschüttler auch noch so nahe: in der Nachbarschaft, im Bekanntenkreis, ja sogar in der eigenen Familie. Das Weiß dieses Gewandes kann nur gebrochen und beschmutzt werden, wenn es sein Träger selbst zulässt. Wenn er seine Würde preisgibt, wenn er sich auf das gleichen Niveau begibt oder – schlimmer noch – ins gleiche Horn stößt.
Der im weißen Gewand verspottete und verhöhnte Jesus der Lohrer Karfreitagsprozession kann Hilfe für bedrängte Christen auch heute und bei uns sein. Sein Gewand bleibt weiß, weil er erträgt und nicht zurückgibt. Er gibt sich selbst nicht auf und seine Würde nicht preis. Er bleibt aufrecht.
Würde in Leid und Schmach
Die Versuche, einem Menschen seine Würde zu nehmen, fallen zurück auf die, die dies tun – sie geben ihre eigene Würde preis.
Jesus sind im Angesicht seiner Spötter und Peiniger alle Möglichkeiten genommen, sich körperlich zu wehren. Die Hände sind ihm auf den Rücken gebunden. Aber auch seinen Mund tut er nicht auf. Worte bringen nichts. Sie würden Spott und Hass nur noch weiter anstacheln.
Er schweigt, wie der Knecht Gottes, der misshandelt wird, wie ein Lamm, das zum Schlachten geführt wird und wie das Schaf angesichts seiner Scherer verstummt ist (vergleiche Jesaja 53,7). Er gibt sich drein – aber nicht geknickt und gebrochen, nicht gebeugt und hoffnungslos. Er nimmt es vielmehr auf sich und erträgt es, um dem einen Sinn zu geben, was ihm widerfährt. So kann er aufrecht stehen. Das Weiß seines Gewandes leuchtet ungebrochen und gibt Hoffnung und Kraft für den, der ebenso Ziel von Spott und Hohn ist.
Das erhobene Haupt ist kein Ausdruck von Trotz und Unbeugsamkeit, sondern vom Bewusstsein der eigenen Würde; einer von Gott geschenkten Würde, die von niemandem genommen werden kann. Die aufrechte Körperhaltung ist nicht Ausdruck vermessenen Stolzes, sondern Geschenk der Hoffnung, dass Gott ihn hält und stützt, weil er an ihm sein Wohlgefallen hat (vergleiche Jesaja 42,1).