Karlstadt. „Soldaten sind Mörder“, schrieb Kurt Tucholsky 1931. Der in den letzten Jahren der Weimarer Republik erstarkende Militarismus verlangte deutliche Worte. Auch Rainer Kaderschafka hat diesen Satz schon oft gehört. Kurz nach der deutschen Wiedervereinigung war er plötzlich wieder in aller Munde.
Kann ein Christ überhaupt Soldat sein? Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch Kaderschafkas 33-jährige Laufbahn bei der Bundeswehr. Als Infanterieausbilder war er der 12. Panzerdivision in Mellrichstadt, später in Hammelburg, zugeteilt. Ab 1989 war er dort an der Infanterieschule als Lehrstabsoffizier für Taktik und militärisches Nachrichtenwesen. Rund 10400 Rekruten habe er das militärische Handwerk beigebracht, schätzt er. Dennoch hat sich der überzeugte Christ bereits bei seiner Ausbildung zum Offizier an der Bundeswehr-Akademie intensiv mit der Friedensethik beider christlicher Kirchen befasst. „Es gibt keine einfachen Lösungen.“ Das habe er damals erkannt, sagt er. Noch heute ärgert sich der seit 2004 pensionierte Soldat über pauschale Vorverurteilungen. Darum habe er nicht lange überlegen müssen, womit er seinen Ruhestand verbringen möchte, erzählt er: Mit 58 Jahren begann er Theologie zu studieren. Mit acht Stunden in der Woche gehöre er zusammen mit vier oder fünf anderen „Silberlocken“ zu den Stammhörern in den Vorlesungen. Im April beginnt Kaderschafkas 14. Semester. Ihm gehe es nicht darum, Prüfungen zu bestehen. Er genieße es einfach, „seinem Hobby zu frönen, der Theologie“. Dennoch schreibe er fleißig mit, bei 120 Silben in der Minute in Stenografie falle ihm das leicht, und übertrage zu Hause alles nochmals akkurat in Reinschrift. Auch schätze er den Umgang mit seinen wesentlich jüngeren Kommilitonen und die „wunderbaren Gespräche“, die sich regelmäßig auf dem Flur ergeben. Dann spüre er keine Grenze zwischen den Generationen. Besonders interessieren ihn die Bibelwissenschaft, die Dogmatik, die Fundamental- und Moraltheologie. „Mir ist wichtig, dass mir die Theologie etwas für meinen eigenen Glauben und wie ich ihn in meinem Leben umsetzen kann, gibt.“ Beeindruckt war er davon, wie vielseitig der Moraltheologe Stephan Ernst im vergangenen Semester in der Vorlesung „Grenzen der Medizin“ mit einer ethisch diffizilen Frage wie der derzeit vielfach diskutierten Präimplantationsdiagnostik (PID) umging, also der Untersuchung eines im Reagenzglas erzeugten Embryos auf genetische Schäden vor der Einpflanzung in die Gebärmutter.
Kritik an der Kirche
Studieren heiße kritisch Denken lernen, sagt Kaderschafka. Auch gegenüber der Kirche. Seiner Meinung nach läuft sie Gefahr, den Blick für das Wesentliche zu verlieren, nämlich Gott, der im Messopfer der Eucharistie Gestalt gewinnt: „Die Kirche kümmert sich um alles mögliche, nur nicht um den lieben Gott.“ Zu oft folge die Kirche leichtfertig Moden, ohne tieferer theologischer Begründung. Seinem Unmut gab er 2001 Ausdruck, als er eine Schrift verfasste, die er in knapp 500 Exemplaren drucken ließ. Darin kritisiert er, dass die Kirche zu sehr – wie er sagt – „auf ökologische Ideologien“ eingeht.Wichtig ist ihm, dass die Kirche eine zeitgemäße Sprache verwendet. Von einer Rückkehr zur alten, lateinischen Liturgie hält er darum nichts. Überholt ist für ihn auch der Zölibat für Priester. „Der Kirche gehen viele hervorragende Seelsorger verloren.“ Statt die Priesterweihe zu empfangen, würden sie „nur“ nebenberuflich Diakon oder Pastoralreferent. Auch selber habe er mit dem Gedanken gespielt, Diakon zu werden. Vor 20 Jahren, als seine Kompanie nach Hammelburg verlagert wurde, meldete er sich im Ordinariat. Doch bereits bei einem frühen Telefonat habe er die Lust darauf verloren: Im Gespräch fiel auch der Tucholsky-Satz „Soldaten sind Mörder“. „Vielleicht war es nur ein schlechter Scherz“, meint Kaderschafka heute. Aber für ihn sei damit dieses Thema erledigt gewesen. Den Kalten Krieg erlebt
Als er Anfang der 1970er Jahre nach seinem Medizinstudium freiwilliger Stabsarzt bei der Bundeswehr wurde, habe er keinen Widerspruch darin gesehen, als Christ zum Militär zu gehen. Die sicherheitspolitische Lage sei damals eine andere als heute gewesen: Anfangs stationiert in Mellrichstadt, nahe der innerdeutschen Grenze, hat er hautnah den Kalten Krieg erlebt: den Grenzzaun, die Wachtürme, die schwerbewaffneten Grenzsoldaten. Auch später ist er regelmäßig mit jungen Rekruten an die Grenze nach Eußenhausen gefahren. „Auf der Rückfahrt herrschte im Bus Funkstille“, erinnert er sich. Die Selbstschussanlagen, die Soldaten der Nationalen Volksarmee, die mit Richtmikros und Teleobjektiven den vermeintlichen Klassenfeind ins Visier nahmen, hatten ihre Eindrücke hinterlassen. „Eine Fahrt an die Grenze war die beste Form politischer Bildung“, erklärt er. Insgesamt 149 mal war er zu Führungen dort. Im September 1990 – noch gab es zwei getrennte Staaten – leitete er einen Lehrgang für übertrittswillige Unteroffiziere der Nationalen Volksarmee (NVA). Die noch im Hörsaal in NVA-Uniformen sitzenden Soldaten beeindruckte vor allem eines, bei der Bundeswehr gab es Priester, die sich um das Seelenheil der Soldaten kümmerten. Kaderschafka selbst hat den Militärseelsorgern viel zu verdanken. Als er 1979 einen schweren Hubschrauber-Absturz hat, haben sie ihm aus einer tiefen Krise geholfen. „Die hervorragendsten Erlebnisse mit Religion und Kirche hatte ich beim Militär“, sagt er noch heute.