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    „Housing first“ verfolgt neuen Ansatz in der Obdachlosenhilfe

    Die Chance auf ein Zuhause

    Wie schnell kann ein Leben aus den Fugen geraten: die Partnerschaft geht in die Brüche, ein geliebter Mensch im nahen Umfeld verstirbt, man verliert seinen Job – und damit jeglichen Halt im Leben. Körperliche und oder seelische Probleme verschärfen die eigene Situation, eine Sucht verstärkt womöglich die Ausweglosigkeit, in der sich ein Mensch wähnt. Dann bleibt nur noch – die Straße.

    Für viele Obdachlose ist das ein täglicher Überlebenskampf: Wo kann ich ungestört und geschützt vor Diebstahl und Gewalt schlafen? Wo verliere ich nicht auch noch das bisschen Hab und Gut, das ich besitze? Es gibt keinen Rückzugsort, um zur Ruhe zu kommen und Energie zu tanken, nirgends ein Gefühl der Sicherheit. „Obdachlosigkeit bedeutet einen ständigen Überlebenskampf“, sagt Jan Bläsing von der Christophorus Gesellschaft Würzburg. Der Sozialpädagoge leitet das neue „Housing First“-Projekt „NOAH“. Obdachlose, die bisher von den Angeboten nicht erreicht wurden, sollen auf diesem neuen Weg dauerhaft in Wohnraum gebracht werden. Ziel für das erste von aktuell vier genehmigten Projektjahren ist es, fünf Obdachlose dauerhaft in Wohnraum zu bringen. Ge­startet ist NOAH Anfang April.

    Eigener Mietvertrag

    „Housing First“ verfolgt den Ansatz, dass obdach- und wohnungslose Menschen zuerst eine Wohnung bekommen und sich danach um ihre weiteren Probleme kümmern. Hierzulande ist der Weg bisher ein anderer: Betroffene müssen nachweisen, dass sie „wohnfähig“ sind. Die Idee für „Housing First“ kommt aus den USA, in Europa gilt Finnland als Vorreiter von „Housing First“, auch in Österreich wird das Konzept schon länger erfolgreich angewendet. In Deutschland gibt es ebenfalls bereits einige „Housing first“-Projekte. Um die Kräfte stärker zu bündeln, gründete sich im September 2022 sogar ein Bundesverband.

    Insgesamt waren in Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt zum 31. Januar 2022 rund 263000 Personen wohnungslos. In Würzburg waren 2022 insgesamt 442 Personen als obdachlos gemeldet. Dazu kommt noch eine nicht erfassbare Dunkelziffer. „Im Gegensatz zum herkömmlichen Verfahren in der Wohnungslosenhilfe steht beim Housing First die eigene Wohnung am Anfang der Hilfen und bildet die Grundlage“, erläutert Jan Bläsing. „Die Menschen haben einen eigenen Mietvertrag und sind nicht mit Unterstützung eines Sozialverbandes oder eines betreuten Wohnens an einen Nutzungsvertrag gebunden.“ Die Voraussetzung zur Aufnahme ins Projekt seien der Wunsch und die Bereitschaft, an der eigenen Situation etwas ändern zu wollen. „Sie sollen zur Ruhe kommen, damit sie Selbstheilungskräfte entwickeln können. Die Leute haben wieder Sicherheit, und aus dieser heraus ist es möglich, Ressourcen aufzubauen, um an seinen Problematiken zu arbeiten.“ Bläsing weiß um das Klientel, das grundsätzlich Hemmungen hat, auf Institutionen zuzugehen. Für ihn und sein Team bedeutet das: rausgehen und den Zugang so niederschwellig wie möglich gestalten. Zum Team zählen drei Sozialpädagogen, eine Verwaltungskraft sowie ein Medienmanager für Öffentlichkeitsarbeit und Wohnungsakquise. Die EU-Fördermittel für das Projekt sind Ende Oktober 2022 genehmigt worden. Derzeit baut das Team die Projektinfrastruktur sowie ein deutschlandweites Netzwerk zu anderen „Housing First“-Projekten und weiteren Akteuren der Hilfe für von Obdachlosigkeit Betroffene auf. „Wir möchten die Leute in ihrem Umfeld erreichen und dort Präsenz zeigen, um Vertrauen zu schaffen. Viele haben ja weniger oder gar kein Vertrauen in institutionelle Einrichtungen.“ Jan Bläsing ist überzeugt von diesem Weg.

    Chance für Chancenlose

    Das Projekt ist eine Chance für jemanden, der sonst keine hat: Der zur Zeit auch in Würzburg überhitzte Wohnungsmarkt stellt so ziemlich jeden Wohnungssuchenden vor große Herausforderungen – und sei es nur, ein Bewerbungsschreiben zuverfassen und daraufhin auch eingeladen zu werden. „Unsere Klienten sind davon schlicht ausgeschlossen, die haben keine Chance. Aufgrund ihrer Geschichte, ihres Aussehens und mit dem, was sie mitbringen, scheitern sie schon an den geringsten Hürden“, sagt Jan Bläsing. Viele Vermieter hätten zudem schnell eine vorgefasste Meinung. „Doch es gibt auch andere Vermieter die sagen, das sie es sich vorstellen können, einem Obdachlosen etwas zu vermieten. Dann sind wir Ansprechpartner und Vermittler für beide Seiten.“

    Mit der Stadt Würzburg und der Stadtbau hat man bereits zwei Kooperationspartner gewonnen. Bläsing arbeitet daran, noch andere Wohnungsbaugesellschaften mit ins Boot zu holen. Mit ge­- zielter Werbung und Öffentlichkeitsarbeit sei man nun auf einem guten Weg. UAuch private Vermieter sollen angesprochen werden. Wer privat vermieten möchte, kann sich in Kürze auf der Internetseite zu „Housing First“ NOAH mit allen Informationen versorgen. Per Mail oder telefonisch gibt das Team zu den Sprechzeiten (siehe Kasten) Auskunft. „Wir lassen niemanden allein. Unser Anliegen ist es, zügig Themen und Probleme anzusprechen und zu beheben.“ Um zu zur Miete zu wohnen, sei es wichtig, Pflichten ernst zu nehmen und Regeln einzuhalten. – Nicht unbedingt selbstverständlich für einen Menschen, der lange auf der Straße gelebt hat. Bläsing und sein Team vermitteln dies von Anfang an.

    Praktische Starthilfe

    Entschließt sich ein Klient zum Projekt, hilft das Sozialpädagogen-Team bei der Beantragung von Ausweispapieren, einer Krankenversicherung und einer Mieterhaftpflichtversicherung. Die Regelung der Miete läuft über das Jobcenter. „Wir schauen darauf, dass die Leute ihren Anspruch auf Sozialleistungen wahrnehmen. Darum machen wir gemeinsam Behördengänge, unterstützen bei Anträgen.“ Ergänzend zu all dem gibt es das Wohnkompetenz-Training. Alltägliche Fragen werden dort geklärt, mit denen Obdachlose lange nicht oder noch nie in Berührung gekommen sind: Wie trenne ich Müll? Wie richte ich Internet ein? Wie halte ich meine Wohnung sauber? „Suchtkranke müssen nicht völlig abstinent sein, aber wir helfen dabei, dass der Klient das Thema für sich bearbeiten kann. Wir zeigen Angebote auf und unterstützen bei. Zwingen werden wir aber niemanden, das müssen sie selbst wollen.“

    Darauf baut alles: Dass der Mensch sein Leben wieder selbst in die Hand nimmt und es lebenswert gestalten kann.    

    Judith Bornemann

    Wohnraum zu vergeben?

    Auch private Wohnungs- und Hausbesitzer, die Wohnraum zur Verfügung stellen können und möchten, sind gefragt: Haben Sie einen Leerstand? Könnten Sie sich vorstellen, Wohnraum an einen/eine Obdachlose(n) zu vermieten? Dann wenden Sie sich an das Projekt „Housing First“ Projekt und sprechen Sie mit den Verantwortlichen. Oder Sie kennen jemanden, der für das Projekt in Frage käme? Mögliche Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer können auch von Fachdiensten und Fachstellen vorgeschlagen werden. Menschen ohne Obdach können sich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Anlaufstellen wie Wärmestube oder Bahnhofsmission wenden; dort wird ihnen weitergeholfen.

    Das Housing-First-Projekt „NOAH“ ist in der Wallgasse 3 in Würzburg zu finden, Telefon 0931/3210-235 oder -245, E-Mail „noah@christophorus.de“. Offene Sprechzeiten sind montags bis donnerstags von 9 bis 12 Uhr.