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      Von Professort Stephan Ernst

      Die Bergpredigt – Utopie oder Weisung für den Alltag?

      Von Professort Stephan Ernst
      Die Bergpredigt (Mt 5-7) gehört zu den Abschnitten des Neuen Testaments, in denen wir anscheinend der ureigenen Ethik Jesu begegnen. Dass Jesus dazu auf einen Berg steigt, ist sicher nicht zufällig, sondern vom Evangelisten bewusst inszeniert. Er möchte die Verkündigung Jesu mit der Übergabe der Zehn Gebote an Mose auf dem Berg Horeb vergleichen, ja diese überbieten: Jesus verkündet das neue Gesetz.
       
      Ist Jesus ein Träumer oder ein Spinner gewesen?
      Am deutlichsten wird diese Gegenüberstellung in den so genannten „Antithesen“ (Mt 5,17-48). Liest man diesen Text, so erscheinen die Forderungen, die Jesus hier aufstellt, jedoch allzu radikal und unrealistisch. Gewaltverzicht, Feindesliebe, beten für diejenigen, die einen verfolgen, der Rat, sich ein Auge auszureißen oder eine Hand abzuhacken, wenn sie einen zum Unrecht verführen, die Verurteilung bereits des begehrenden Blicks – all dies übertrifft nicht nur die Gebote des Alten Testaments bei weitem, sondern scheint auch im Alltag, im Berufsleben des einzelnen oder gar in der Politik undurchführbar zu sein. So wie die Welt ist, muss man sich durchsetzen, wenn man nicht der Dumme sein will. Man muss sich wehren, wenn man nicht untergehen will. Durch völliges Verzichten auf Gewalt und Gegenwehr dagegen scheint man die Gemeinheit und Gewalttätigkeit der anderen nur noch zu fördern. Ist das wirklich zu verantworten? Ist Jesus also ein Träumer oder Spinner gewesen?
      Dieses Problem der Bergpredigt ist immer schon gesehen worden und hat in der Geschichte des Christentums zu zahlreichen Auslegungsversuchen geführt, um die Radikalität der Forderungen Jesu mit der alltäglichen Praxis der Menschen zu vereinbaren. So hat man gemeint: Die Bergpredigt richte sich nur an besonders vollkommene, nicht aber an die gewöhnlichen Glaubenden. Oder: Es komme nur auf die innere Gesinnung der Liebe an, die praktische Verwirklichung trete dahinter zurück. Oder: Jesus habe solche radikalen Forderungen nur deshalb aufgestellt, weil er mit dem nahen Ende der Welt gerechnet habe. Oder: Die Forderungen seien deshalb so radikal, damit unsere Selbstgerechtigkeit zerstört werde und wir unsere Angewiesenheit auf Gottes Hilfe erkennen. All diese Lösungen befriedigen jedoch nicht, weil sie die Forderungen Jesu letztlich entschärfen. Die Bergpredigt verlangt eine Deutung, die ihre Radikalität ernster nimmt. Einer solchen Lösung kommt man näher, wenn man sich genauer ansieht, worum es Jesus in den Antithesen eigentlich geht.
      In den Antithesen geht Jesus immer von einem Verbot oder Gebot des Alten Testaments aus: Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wurde: Du sollst nicht töten, Du sollst nicht ehebrechen, Du sollst keinen Meineid schwören, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Solche Verbote und Gebote aber beziehen ihre Gültigkeit daraus, dass sie bestimmte Werte schützen und fördern wollen. Das Verbot „Du sollst nicht töten“ etwa will den Wert „Leben“ schützen; das Verbot „Du sollst nicht ehebrechen“ das geglückte Zusammenleben von Mann und Frau; das Verbot des Meineids Wahrhaftigkeit und Vertrauen unter Menschen, und die Regel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ will bereits die allzu menschliche Eskalation der Gewalt eindämmen und damit dem friedlichen Zusammenleben dienen.
       
      Das Leben schützen und fördern
      Nun ist es aber, wenn man etwa den Wert „Leben“ schützen und fördern möchte, nur das Mindeste, dass man sich nicht gegenseitig umbringt. Es gibt darüber hinaus zahlreiche andere Weisen, wie sich Menschen ans Leben gehen können. Unsere Sprache verrät uns: Wir können andere mit Blicken töten, Rufmord begehen, über Leichen gehen, andere kaltstellen, sie mundtot machen ... Hier wird deutlich, was alles vermieden werden muss, wenn wir dem Wert „Leben“ wirklich dienen wollen. Die Handlungsweisen, die Jesus in seinen Antithesen vorstellt (etwa: nicht zürnen), sind Beispiele dafür, wie man in bestimmten Situationen diesen Wert über den bloßen Verzicht auf blanken Mord hinaus bereits im Vorfeld noch aktiv und wirksam fördern und schützen kann.
       
      Die Werte hinter den Geboten und Verboten
      Die Verbote und Gebote des Alten Testaments, von denen Jesus in den Antithesen ausgeht, stellen also nur Mindestforderungen dar. Wenn man sich nur an sie hält, geht der Sinn für die Werte, um die es eigentlich in diesen Verboten geht, leicht verloren. Man sieht dann – wie die Pharisäer – nur das Verbot und versucht es möglichst buchstabengetreu zu erfüllen, verliert aber den eigentlichen Sinn des Gebots und den dahinter stehenden Wert aus den Augen. Entgegen dieser Tendenz lässt sich die Ethik Jesu in den Antithesen der Bergpredigt gerade von den Werten hinter den Verboten und Geboten leiten. Sie fragt nicht: Was steht im Gesetz?, sondern: Was kann ich um der ursprünglichen Werte willen noch alles tun?