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    Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt...

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    Der Schöpfung ganz nah

    Der 13-jährige Moritz und die 14-jährige Anjana machten 2007 beim Projekt „Landleben auf Zeit“ der Landfrauenvereinigung des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) der Diözese Würzburg mit. Das Projekt „Landleben auf Zeit“ gibt es seit den 60er Jahren. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich das Konzept geändert. Heute geht es verstärkt darum, den Jugendlichen die Berufsfelder Hauswirtschaft, Landwirtschaft und Erziehung näher zu bringen.
    Die Mistgabel kratzt auf dem Betonboden vor dem großen Tor des Kuhstalls am Rande des kleinen Ortes Aufstetten (Dekanat Ochsenfurt). Feuchtes Stroh fliegt mit Schwung von der Gabel auf den kleinen Hänger. Es riecht nach Kuhmist, fünf Meter entfernt rattert eine Güllepumpe und befüllt das Jauchefass am großen Bulldog. Den Blick schüchtern zu Boden gerichtet, hält der schlacksige blonde Junge kurz inne, der Stiel der Mistgabel ruht in seiner Hand, mit dem anderen Arm wischt er sich die Stirn ab. Moritz schaut ernst auf ein kleines Kälbchen im Auslauf wenige Meter neben ihm herunter. „Das Kälbchen heißt auch Moritz. Es ist letzte Woche zur Welt gekommen und ich durfte mithelfen. Jetzt ist es mein Patenkälbchen und trägt meinen Namen“, erklärt er verhalten lächelnd.
    Für drei Wochen ist der 13- jährige Moritz Mall aus Ingolstadt (Dekanat Ochsenfurt) zu Gast bei Familie Schmitt. Der Jugendliche macht beim Projekt „Landleben auf Zeit“ der Landfrauenvereinigung des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) der Diözese Würzburg mit. Während seines Aufenthaltes bei den Schmitts hat Moritz klare Aufgaben und kümmert sich unter anderem darum, dass die jungen Kälber gefüttert werden. Schon nach wenigen Tagen hat sich der Junge zur großen Hilfe der Landwirtsfamilie gemausert: Er mistet, füttert, putzt und streut Stroh in die Ställe. Auch das Bulldog fahren ist ihm nicht fremd: „Meine Onkel haben bei uns im Dorf auch Höfe, da helfe ich hin und wieder mit. Bei denen habe ich auch fahren gelernt.“ In den Sommermonaten fällt bekanntlich besonders viel Arbeit auf dem Land an – da kann Familie Schmitt jede fleißige Hand gebrauchen. Schon seit vielen Jahren greifen die Schmitts auch die jugendlichen Helfer zurück.
    Das Projekt „Landleben auf Zeit“ gibt es seit den 60er Jahren. Im Laufe der Jahrzehnte habe sich aber das Konzept geändert, erklärt Rosemarie Spielberg, Diözesanvorsitzende der Landfrauenvereinigung und Hauptinitiatorin des Projekts in der Diözese. „Damals wollten Eltern ihre Kinder oft einfach nur einige Wochen anderswo ‚in Brot haben‘ und versorgt wissen. Heute geht es verstärkt darum, den Jugendlichen die Berufsfelder Hauswirtschaft, Landwirtschaft und Erziehung näher zu bringen. Sie können die Arbeiten kennen lernen und sich darin ausprobieren“, weiß die Mutter von drei Kindern.

    Seit zehn Jahren bemüht sich Rosemarie Spielberg auch über die Bistumsgrenzen hinaus um Gastfamilien und sorgt dafür, dass Jugendliche unter anderem über die Tagespresse auf das Projekt aufmerksam werden. Weitere Werbung läuft außerdem über den bayerischen Landesverband des KDFB. Darüber hinaus besteht eine enge Kooperation mit der Landfrauenvereinigung der Diözese Augsburg. Viele Jugendliche aus der hiesigen Diözese können dadurch auch weiter weg vermittelt werden. Zwei Teilnehmer fanden so im Jahr 2006 einen Platz im Allgäu, zwei weitere Jugendliche kamen in einen kleinen Ort nahe Regensburg. In den letzten Jahren hat sich die Teilnehmerzahl auf zehn bis zwölf eingependelt, 2007 waren es neun Mädchen und zwei Buben, weiß die Initiatorin. „Wichtig ist es, dass die Jugendlichen neugierig auf unser Projekt sind. Es muss ihr eigener Wunsch sein, für einige Wochen auf dem Land in einer Familie zu leben und zu arbeiten. Wenn sie es nur den Eltern zuliebe tun – da spreche ich aus Erfahrung – bleibt es oft auch nur deren frommer Wunsch, dass es klappt.“
    Bei Anjana Rinne war es der eigene Wunsch, raus aufs Land zu gehen. Mit ihrer Mutter lebt die
    14-Jährige mitten im Zentrum von Würzburg. Sie wollte, „eine Zeit lang keinen Straßenlärm hören und mal schauen, was es alles auf dem Land zu tun gibt“, erklärt das Mädchen. Im beschaulichen Örtchen Neustett nahe Adelshofen, kurz hinter der Bistumsgrenze, genießt sie neben ihren Aufgaben im Haus und im Garten die Ruhe und die Natur des Taubertals.

    Familie Pehl freut sich über den vorübergehenden Familienzuwachs. Die zwei Töchter wohnen bereits nicht mehr daheim und auch die Söhne Friedrich (18) und Florian (13) gehen immer mehr ihren eigenen Weg. Die beiden Jungen hatten maßgeblich darauf Einfluss, dass dieses Mal ein Mädchen in die Familie kam, erklärt Margit Pehl. „Nachdem wir in den vergangenen Jahren zweimal einen Jungen zu Gast hatten, sollte jetzt ein Mädchen her. Ich merke auch den Unterschied – Anjana ist viel häuslicher, als ihre männlichen Vorgänger“, schmunzelt die vierfache Mutter. Für die zwei Gastbuben habe es draußen viel zu entdecken gegeben. „Ich habe sie immer suchen müssen, wenn ich sie brauchte. Anjana dagegen ist fast immer um mich herum und wir machen die Arbeit oft gemeinsam“, erklärt Pehl. Dazu gehört es, den Frühstückstisch abdecken, die Spülmaschine ausräumen und die Wäsche zusammen zu legen – all das mache das Mädchen ohne zu murren, sagt Pehl. Sie ist froh, dass die Chemie zwischen ihr und dem Gastkind stimmt. „Anjana saugt es förmlich in sich auf, eine größere Familie um sich zu haben. Am Wochenende, wenn unsere Töchter daheim sind, macht es ihr großen Spaß, mittendrin zu sitzen und Teil unserer großen Familie zu sein.“

    Auch für die Tiere ist Anjana verantwortlich: einen tierischen Kumpel hat das großgewachsene Mädchen schon nach wenigen Tagen besonders ins Herz geschlossen – Rauhhaardackel Basti wird, wann immer es geht, geherzt. Die zwei Ziegen und die Hasen bekommen ihr Futter in diesen drei Wochen nur von Anjana. Im Stall springt die Ziege auf die Trogkante und frisst genüsslich den Löwenzahn aus der Hand. Die Tiere sind versorgt – nun wartet der Johannisbeerstrauch darauf, leer gepflückt zu werden.
    Das Mädchen fühlt sich in dem 145-Seelendorf wohl. „Ich bin froh, mal andere Menschen zu sehen und kennen zu lernen“, erklärt sie und ist sich sicher: „Auch wenn hier nicht viel los ist, wird mir bestimmt nicht langweilig.“ Zur Not habe sie einige Schulbücher eingepackt, schmunzelt die Schülerin. Während Familie Pehl die Milchwirtschaft auf ihrem Hof schon 2005 abgeschafft hat, warten bei Schmitts in Aufstetten morgens und abends 60 Milchkühe darauf, versorgt zu werden.

    Landwirt Johannes Schmitt weiß die Unterstützung seines jungen Helfers Moritz sehr zu schätzen. „Er hilft mir nicht nur im Stall, sondern auch oft auf dem Feld. Auf unserem Grund und Boden darf er den Bulldog ja fahren und das Pflügen findet er toll,“ erklärt der schlanke Mann im olivgrünen Overall.
    Bei Familie Schmitt leben drei Generationen unter einem Dach – nicht nur mit den Großeltern Gerlinde und Franz Schmitt, auch mit den Kindern Jasmin (13), Vanessa (11) und Tobias (8) versteht sich Moritz sehr gut. Besonders der Jüngste hat einen Narren an dem 13-jährigen Gastkind gefressen. Kaum ist das Mittagessen beendet und das Tischgebet gesprochen, schaut Tobias fragend zu Moritz rüber. Der steht auf, sein Stuhl rutscht quietschend über den gefliesten Küchenboden. „Nimmst du mich aufs Feld mit?“ – „Klar, komm, wir gehen rüber. Oder soll ich noch woanders helfen?“ Ein fragender Blick geht zum Familienoberhaupt. Johannes Schmitt nickt dem Jungen lächelnd zu. „Geht ihr nur grubbern, ich mache gleich den Stall.“ Unzertrennnlich wirken die zwei Buben, wie sie nebeneinander kichernd über den Hof stapfen. Das Ehepaar Schmitt ist froh, dass sich Moritz so frei und ungezwungen bei ihnen bewegt. Denn im Jahr 2006 sah das etwas anders aus. Damals war auch ein Jugendlicher auf dem Hof, um für drei Wochen mitzuhelfen. Das sei aber gründlich schief gegangen, erinnert sich die Hausfrau. „Er hat sich überhaupt nicht in unser Familienleben eingefügt. Auch nach wiederholten Gesprächen nicht. Ihm war langweilig, er hatte zu nichts Lust und wollte sich nicht an der Arbeit beteiligen. Jedes Mal fingen wir wieder an zu diskutieren. Das machte alle Familienmitglieder mürbe.“ Auch die drei Kinder der Familie kamen nicht mit dem Jungen zurecht. „Wir haben dann im Guten den Aufenthalt vorzeitig beendet“, erinnert sich die dreifache Mutter. Trotzdem – Gaby Schmitt bleibt optimistisch. „Das Projekt ist eine Bereicherung – wenn man sich darauf einlässt. Schief gehen kann es immer, aber man lernt so, flexibel und spontan auf Situationen zu reagieren.“
    Im Laufe der Jahre hat sich das Projekt „Landleben auf Zeit“ größtenteils zum Selbstläufer entwickelt, sagt Rosemarie Spielberg. Der Kreis der Familie sei mit den Jahren sehr gefestigt. „Die Familien haben den Idealismus, dass es klappt und sich der oder die Jugendliche gut ins Familienleben einfügt. Viele Familien bleiben darum über Jahre im Projekt und freuen sich immer wieder auf ihre Gäste.“ Für Anjana und Moritz ein Grund mehr, auch den Sommer 2008 fest zu verplanen. Sie wollen wieder raus aufs Land.

     

    Informationen zum „Landleben auf Zeit 2008“ gibt Rosemarie Spielberg, Telefon: 09391/8990, E-Mail: „r.spielberg@web.de“.