Seitdem Hans Schreyer diese Tour unbeschadet hinter sich gebracht hat, erfreut er sich im Freundeskreis eines neuen Spitznamens: „Römer-Hans“. Was er auf den 1599 Kilometern zwischen Ochsenfurt und Rom auf der „Via Francigena“ (siehe unten) alles erlebte, hat Schreyer in einem karrierten Schulheft niedergeschrieben.
Wie klein die Welt ist ...
Überwältigt war er von der Art und Weise, wie sich Menschen entlang der Strecke immer wieder um ihn kümmerten. „Diese Hilfsbereitschaft hatte ich so nicht erwartet.“ Obwohl er kein Italienisch und nur wenig Englisch spricht, hätten überall Leute geholfen, ihm eine Unterkunft zu besorgen. Wie klein die Welt ist, merkte er im Städtchen Belgioso. Hier traf er auf eine Lehrerin, die in Würzburg studiert hatte. Mit etwa 15 Kilo Gepäck auf dem Rücken war der „Römer-Hans“ durchschnittlich 28 Kilometer am Tag auf Schusters Rappen unterwegs. Und das bei Temperaturen von bis zu 41 Grad! „Ich habe bestimmt acht Liter Flüssigkeit unterwegs konsumiert“, erzählt der Rentner. Um sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen, sei er sogar zeitweise mit aufgespanntem Regenschirm herumgelaufen.
Wie aber kommt man auf die Idee, zu Fuß von Ochsenfurt nach Rom zu wandern? „Inspiriert wurde ich von einem Fernsehfilm über den Frankenweg, den ich vor zehn Jahren mal gesehen habe“, erinnert sich Schreyer. „Und ich hab’ mir immer gesagt: Wenn du Zeit hast, gehst du.“ Seit zwei Jahren nun ist er im Ruhstand. Und kurz vor Weihnachten 2002 traf er die Entscheidung, den Plan in die Tat umzusetzen. Sein Freundeskreis hätte höchst unterschiedlich auf das ambitionierte Vorhaben reagiert: „Das ging von ‚Du spinnst‘ bis ‚toll‘“, erzählt der frühere Mitarbeiter der Ochsenfurter Firma Kindermann. Nachdem er einige längere Teststrecken, unter anderem bis Rothenburg, gelaufen war, machte er sich auf den Weg, „halb als Pilger, halb als Neugieriger“, so Schreyer. Mit der Zeit habe sich das gewandelt, betont er. „Bei sowas wird man automatisch zum Pilger und denkt über Gott und die Welt nach.“
Kein Ausgang nach 19 Uhr
Entlang der Wegstrecke besuchte der Ochsenfurter Kirchen, sammelte auf einem Erinnerungsblatt Stempel der Pfarrämter und Übernachtungsstätten. Als Quartiere dienten ihm Hotels, Pensionen, Privatwohnungen und sogar ein Frauenkloster nahm den Pilger aus dem Frankenland auf. „Die haben mich auf‘s Beste verpflegt“, erzählt Schreyer. Nur: nach 19 Uhr habe er die Klostermauern nicht mehr verlassen dürfen.
Noch einmal zurück zur Nonne aus dem Elisabethen-Kloster in Rom. Ihre Bedenken waren wohl nicht ganz unbegründet. Denn Hans Schreyer geriet tatsächlich in eine brenzlige Situation. „In der Nähe von Mailand bin ich an zwei Ganoven vorbeigekommen, die an meine Habe wollten“, sagt der Pilger. „Aber da hat mir der liebe Gott einen Engel geschickt.“ In der Einöde sei nämlich plötzlich ein Motorradfahrer aufgetaucht, der ihn fragte, ob er Pilger sei. Der Mann, der sogar etwas Deutsch sprach, sei so lange neben ihm her gefahren, bis sich die dunklen Gestalten trollten.
Aufmunterung per Handy
An einem Punkt seiner langen Wegstrecke sei er nahe am Aufgeben gewesen, erzählt Schreyer. „184 Kilometer vor Rom hatte ich absolut keine Lust mehr.“ Seine Frau aber richtete ihren Pilger via Handy wieder auf: „Du wirst doch wohl jetzt nicht aufgeben?“ Das half, und Schreyer traf am 29. Juni in Rom ein. Gerade rechtzeitig, um gegen 12 Uhr den Segen des Papstes auf dem Petersplatz mitzuerleben. Eine Enttäuschung stand da dem „Römer-Hans“ noch bevor. Wegen seiner kurzen Hose wurde ihm der Eintritt in den Petersdom verweigert. In vielen Kirchen der Stadt musste er noch seine Erlebnisse schildern, ehe es am 2. Juli zurück in die Heimat ging. Per Bahn, wohlgemerkt.
Auf dem Frankenweg per pedes nach Rom
„Via Francigena“, oder ins Deutsche übersetzt, heißt die Pilgerroute nach Rom „Frankenweg“ und führt als Teil der europäischen Jakobswege von Canterbury über Calais, Reims, Chalons sur Marne, Besançon, dem Großen St. Bernhard, das Aostatal, Pavia, Piacenza, Lucca und Siena nach Rom. Die Wegstrecke geht zurück auf den Erzbischof von Canterbury, der im Jahr 990 Papst Johannes XV. in Rom traf und Tagebuch über die 79-tägige Reise geführt hat.
Im Mittelalter war die „Via Francigena“ ein beliebter Pilgerweg von Deutschland nach Rom. So entstanden entlang der Route viele Klöster und Herbergen, wo die Pilger kostenlos versorgt und gepflegt werden konnten. Aber auch der Handel an dem Pilgerweg blühte, was sich besonders am Beispiel von Siena zeigt. Der Europäische Rat hat das Projekt zum „Europäischen Kulturweg“ erhoben. Seit dem Heiligen Jahr 2000 erlebt die „Via Francigena“ in Italien eine Renaissance. Viele Wege wurden renoviert oder überhaupt erst wieder begehbar gemacht.