Unvermittelt kommen mir bei diesen Formulierungen, die den Ernst der Lage unterstreichen sollen, die Kipppunkte in den Sinn, von denen im Blick auf den Klimwandel die Rede ist; Punkte, die – sind sie einmal erreicht – eine Entwicklung unumkehrbar machen.
Anders als in der Natur, deren Gesetzmäßigkeiten kein Verzeihen kennen, gibt es bei Gott keine Kipppunkte; Umkehr – einer der zentralen christlichen Begriffe – ist bei ihm immer möglich, mag die Lage auch noch so aussichtslos erscheinen. Umkehr aber bedeutet Richtungsänderung; im Grunde sogar in die Gegenrichtung, dorthin, von wo ich komme, zu den Wurzeln. Radikal, abgeleitet von radix, dem lateinischen Wort für Wurzel, ist ein anderes Wort dafür. Christlich interpretiert bedeutet toter Punkt somit nicht Ausweglosigkeit, sondern Wendepunkt, oder Wandlungspunkt. Und gewandelt – auch ein zentraler christlicher Begriff – hat sich die Kirche immer wieder. Das zeigt die Kirchengeschichte, das zeigt bereits das Neue Testament. Diese Veränderungen betreffen aber nicht nur das Erscheinungsbild, sondern auch Art und Inhalt der Verkündigung, den Erfordernissen entsprechend. So mag es heute nicht mehr geboten sein, Glauben in erster Linie als Zustimmung zu vorformulierten Sätzen zu definieren, wie es lange vorherrschend war, sondern als Vertrauen auf Gott als Ursprung und Träger allen Seins, so wie es Jesus Christus, in dem Gott sich offenbarte, gelebt hat; so mag es geboten sein, Glauben mehr als Haltung und Lebensvollzug zu verstehen, denn als Verhaltens- oder Moralkodex. Wem es gelingt, zu zeigen, dass sein Glaube, weil er über diese Welt hinausreicht, dazu beiträgt, das Leben in dieser Welt auch nur ein wenig besser zu machen, der hat den toten Punkt überwunden.
Wolfgang Bullin