Evangelium
In jener Zeit, als Judas hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist in ihm verherrlicht. Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen, und er wird ihn bald verherrlichen. Meine Kinder, ich bin nur noch kurze Zeit bei euch. Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt. Johannes 13,31–33a.34–35
Jeder von uns hat einen Personalausweis. Er muss ihn haben, damit er sich in unserem Staat aufhalten kann. Darin sind Name, Adresse, Größe und Augenfarbe festgehalten. Er gilt mittlerweile als absolut fälschungssicher. Mit diesem Ausweis kann ich einem anderen eindeutig nachweisen, wer ich bin.
Genauso hat jedes Auto sein Kennzeichen. Darüber hinaus sind Autotyp, Baujahr, Motornummer und viele andere Dinge im Fahrzeugbrief genau erfasst.
Was ist eigentlich das Kennzeichen einer christlichen Gemeinde? Ist es der Kirchturm, den man von weitem sieht? Ist es das Pfarrzentrum oder andere kirchliche Einrichtungen in einem Dorf beziehungsweise in einer Stadt? Ist es die Tatsache, dass eine Gemeinde noch einen eigenen Pfarrer hat? Oder der ansprechend gestaltete Pfarrbrief? Oder die eigene Homepage im Internet?
Auf diese Frage gibt Jesus im Evangelium heute eine eindeutige Antwort: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ (Joh 13,34f.) In dieser kurzen Definition eines Christen wird Bedeutsames gesagt. Zunächst macht Jesus darauf aufmerksam, dass sich seine Jünger nicht verstecken sollen. Christsein vollzieht sich nicht im Geheimen, im stillen Kämmerlein, sondern in der Öffentlichkeit mitten im Leben und im Alltag. Das Gebot Jesu setzt sich ab von der Auffassung der Welt, die in dem Wort von Bert Brecht zum Ausdruck kommt: „Dass du dich wehren musst, wenn du nicht untergehen willst, das wirst du doch einsehen.“ Du musst dich immer und überall durchsetzen, sonst kannst du niemals dein Selbst verwirklichen. Es geht um deinen Willen, nicht um den eines anderen.
Jesus sieht das anders. Er setzt mehr auf das Du als auf das Ich. Ihm geht es um den Willen Gottes, der möchte, dass es allen Menschen gut geht und jeder sich von ihm geliebt wissen darf.
Jesus hat keine Definition hinterlassen, was er unter dem Wort Liebe versteht, aber er hat uns ein Beispiel gegeben in seiner liebevollen Zuwendung zu den Menschen, die ihm begegnet sind vor allem zu den Kranken und Außenseitern der Gesellschaft damals.
Seine Liebe galt allen Menschen. Er ist für alle aus Liebe gestorben: „Das ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird“, heißt es bei der Wandlung in der Eucharistiefeier. Um dieses Beispiel Jesu kommen wir als Christen nicht herum, wenn wir wirklich Christen sein wollen. Denn nur die Liebe besitzt die Kraft, die alltäglichen Begegnungen nicht alltäglich werden zu lassen, den anderen groß zu sehen unabhängig von seinem Aussehen und seiner Herkunft. Denn allein die Liebe ist im Stande, das wahre Wesen eines Menschen zu erahnen als Abbild Gottes, der die Liebe selbst ist.
Der Autor ist Oberstudienrat am Würzburger Friedrich-König-Gymnasium und mitarbeitender Priester in der Pfarreiengemeinschaft „Zellerau“.