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Das Vorbild des Apostels Paulus
Am Hochfest Peter und Paul eröffnete Papst Benedikt XVI. feierlich das Paulusjahr. In vielen seiner Ansprachen, Botschaften und Predigten nahm der Papst Bezug auf den Völkerapostel und widmete ihm auch eine Katechese-Reihe. In diesem Zusammenhang bezeichnete er Paulus als einen „Mann dreier Kulturen“: Er war von jüdischer Herkunft, von der griechischen Sprache und Philosophie geprägt und gleichzeitig ein Bürger des römischen Reiches. Seinem Identitätsbewusstsein nach war er jedoch ein Christ. Seitdem Christus sich ihm auf der Straße nach Damaskus offenbart hatte, lebte er nur noch für Christus und für die Verkündigung des Glaubens an ihn. Das Christsein hob seine kulturelle Identität nicht auf, schenkte ihm jedoch ein neues Bewusstsein für seine persönliche und religiöse Identität. Es drängte ihn zur Mission, zur Verkündigung, dass Christus für alle Menschen gestorben und auferstanden ist. Um seinen Glauben zu verkünden, musste Paulus sich in das jeweilige kulturelle Umfeld integrieren. Meist wählte er als Ort seiner Verkündigung die örtliche Synagoge, da ihm das jüdische Umfeld den besten Anknüpfungspunkt für die christliche Lehre gab. In Philippi, wo es keine Synagoge gab, suchte er nach einer Begegnungsstätte der Juden und fand sie in einer Gebetsstätte am Fluss. Hier entstand die erste christliche Gemeinde auf europäischem Boden. In Athen wandte sich Paulus direkt an die Heiden, indem er sich in die philosophischen Diskussionen auf den öffentlichen Plätzen einmischte. Paulus passte seine Worte dem jeweiligen Umfeld an, um seine Verkündigung verständlich zu machen. Dabei ging es ihm nie um einen Vergleich des christlichen Glaubens mit dem jüdischen Glauben oder den philosophischen Schulen der Griechen, sondern einzig um die Verkündigung Christi und seiner Auferstehung. Er predigte nur diese eine Wahrheit. Die jeweilige Kultur lieferte ihm die Basis für die Wahl des Ortes und der Form der Verkündigung. Inhaltlich war diese jedoch keine Diskussion verschiedener Glaubensformen, sondern ein klares Zeugnis von der Wahrheit Jesu Christi. Wahrheit der Dinge Auch heute ist es notwendig, Christus zu verkünden und die Auseinandersetzung mit Andersgläubigen zu suchen. Zu diesem Zweck errichtete Papst Paul VI. 1964 das „Sekretariat für die Nichtchristen“ (1988 umbenannt in „Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog“). In seiner Predigt sagte Paul VI. damals: „Ein katholisches Herz ist ein Herz, das die ganze Welt einschließt – ein Herz, das den Egoismus, die Engherzigkeit überwunden hat, die den Menschen vom Ruf der alles übersteigenden Liebe Gottes ausschließt. Es ist ein großmütiges Herz, ein ökumenisches Herz, das imstande ist, die ganze Welt in sich aufzunehmen“. Er sagte aber auch: „Es darf jedoch kein Herz sein, dem die Wahrheit der Dinge und die Aufrichtigkeit der Worte gleichgültig ist; es verwechselt nicht Schwäche mit Güte, es verortet den Frieden nicht in Feigheit und Gleichgültigkeit, sondern es schlägt im Rhythmus der Worte des heiligen Paulus: Veritatem facientes in caritate – ‚Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten‘ (Epheser 4,15)“. Diese Worte fassen das Anliegen des Apostels zusammen. Einerseits sind alle Menschen, ganz gleich welcher Religion oder Kultur sie angehören, Kinder Gottes und unsere Brüder. Alle Menschen sind in die Liebe Gottes eingeschlossen, und auch die Christen müssen sie in ihr Herz einschließen, sie achten und lieben. Gerade deshalb darf uns aber die Verkündigung der Wahrheit Christi nicht gleichgültig sein. Liebe und Wahrheit gehören zusammen. Wenn Christus wirklich unser Herz ergriffen hat, dann muss es unser Wunsch sein, ihn zu anderen Menschen zu bringen. Diese Verkündigung darf natürlich nicht unter Druck, Zwang und Gewalt vor sich gehen, sondern im liebevollen Dialog, der einen Samenkorn in die Herzen der Menschen hineinlegt, durch den Christus selbst in ihnen wirkt. Der Glaube ist tief im Menschen verwurzelt. Er ist ein Geschenk Gottes, keine rein rationelle Einsicht, keine „Meinung“ im landläufigen Sinne. Der Christ, der mit dem Andersgläubigen einen Dialog über den Glauben führt, kann und muss dem anderen zuhören, ihn ernstnehmen in seinem Glauben. Gleichzeitig jedoch muss er Zeugnis ablegen von Christus, in dem er durch die Taufe lebt und der der Erlöser aller Menschen ist. Christliche KulturIm Vorwort zu einem kürzlich erschienenen Buch des italienischen Philosophen Marcello Pera sagt Benedikt XVI., dass ein interreligiöser Dialog im engeren Sinne nicht möglich sei, denn dann müsste man seinen eigenen Glauben in Klammern setzen. Möglich und notwendig sei jedoch ein interkultureller Dialog, ein Dialog über die kulturellen Auswirkungen der Religion. So ist die europäische Kultur eine christliche Kultur, da sie dem christlichen Glauben entspringt, und muss sich zu ihrem Ursprung bekennen. Die Verkündigung des Paulus war ein wesentlicher Schritt, der zur Herausbildung dieser Kultur beigetragen hat. Auch die gemeinsame Erklärung des katholisch-muslimischen Forums im November nimmt Bezug auf Paulus: „Es ist Gott, der uns zuerst liebt und uns dadurch in die Lage versetzt, ihn zurückzulieben. Liebe schadet dem Nächsten nicht, sondern zielt vielmehr darauf ab, den anderen so zu behandeln, wie man es für sich selbst erhoffen würde (vergleiche 1 Korinther 13,4–7)“. Der Völkerapostel ist ein Vorbild dafür, wie der Dialog geführt werden sollte: in der Liebe zum anderen Menschen und in der Achtung vor ihm, aber auch in der Liebe zu Christus und seiner Wahrheit, in der Liebe zum Glauben, der ein Geschenk Christi ist, das weitergegeben werden muss.