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Das Leben am Amazonas
Auf einer Gesamtlänge von 6500 Kilometer durchfließt der Amazonas den südamerikanischen Subkontinent, davon über 3000 Kilometer in Brasilien. Die Quellflüsse dieses mit Abstand wasserreichsten Flusses der Welt entspringen in Peru und Bolivien. Das Amazonastiefland mit der mannigfachen, oft einzigartigen Flora und Fauna bedeckt rund ein Fünftel der brasilianischen Gesamtfläche. „Lunge unserer Erde“ – so wird dieses immense Regenwaldgebiet oft genannt. Doch diese riesige Regenwaldfläche ist in den letzten Jahrzehnten massiven Bedrohungen ausgesetzt. Illegaler Holzeinschlag der wertvollen Tropenhölzer, Brandrodung, um Weidefläche oder lukrative Anbaufläche für Soja oder Zuckerrohr zu gewinnen, Abbau der Bodenschätze und Mineralien, dies sind nur einige Gründe, warum immer mehr Fläche des tropischen Regenwaldes weichen muss. Mit dem Verlust des Regenwaldes verändert sich das ökologische Gleichgewicht, die Artenvielfalt nimmt drastisch ab, die Lebensbedingungen für Mensch und Tier verändern sich dramatisch.
Schon die fast 17-stündige Fahrt mit dem Amazonaspassagierschiff Ana Beatriz von Santarém flussaufwärts bis zu der Kleinstadt Juruti spiegelte die Realität am Amazonas wieder. Die meisten der etwa 140 Passagiere waren nicht etwa Menschen, die in dieser Region lebten, sondern meist junge Männer, die vorwiegend aus dem armen und strukturschwachen Hinterland Nordostbrasiliens kamen und am Amazonas nach Arbeit suchten. In den langen Stunden an der Reling fragten und informierten sie einander, wo es denn überhaupt Arbeit gebe, sei es in der Holzindustrie oder im Straßenbau. Viele hatten keine Ahnung, wohin sie unterwegs waren, staunten über den an manchen Stellen über fünf Kilometer breiten Fluss und suchten schon auf dem Schiff nach Verbündeten, die ein ähnliches Schicksal hierher verschlagen hatte. In dem rund 30000 Einwohner zählenden Ort Juruti angekommen, wurden diese Beobachtungen von dem Mainzer Priester Günter Ferdinand Bee, der seit vielen Jahren dort tätig ist, bestätigt. Juruti ist in den letzten Jahren ganz rasant angewachsen, weil Holzfirmen, Straßenbauunternehmen und vor allem auch der Aluminiummulti Alcoa aus Nordamerika lukrative Arbeitsplätze versprechen. Doch der Traum vom schnellen Geld weicht bei den Arbeitssuchenden schnell der nüchternen Wirklichkeit. Die meisten der vor Ort tätigen Firmen zahlen sehr schlecht, allenfalls einen „salário mínimo“, das ist ein Mindestlohn von umgerechnet etwa 155 Euro im Monat. Davon lässt sich keine Familie ernähren. Die in Juruti tätigen Priester und pastoralen Mitarbeiter stehen vor großen Herausforderungen. Zu den etwa 30000 Einwohnern in der Stadt Juruti kommen noch etwa 20000 Menschen, die auf 110 kleine Gemeinden verteilt sind. Einige dieser Gemeinden sind auf einer holprigen Landpiste, die meisten jedoch auf dem Wasserweg in den weit verzweigten Amazonasläufen zu erreichen. In manche Gemeinden kommt der Priester ein bis zwei Mal im Jahr zum Patronatsfest oder einer anderen Gelegenheit. Das Gemeindeleben mit den Schwerpunkten der sonntäglichen Wortgottesfeier, Katechesen, Vorbereitung zu den Sakramenten und Beerdigungen werden von ausgebildeten Laien getragen. Doch nicht nur das Aufrechterhalten des kirchlichen Lebens, auch die sich rasant verändernde soziale Situation stellt die kirchlichen Mitarbeiter vor immer neue Herausforderungen. Von dem Kleinstädtchen Juruti geht es noch rund eine Stunde mit einem kleinen Boot in das Dorf Juruti Velho, das sich malerisch in eine Ausbuchtung des Amazonas, den See von Juruti Velho, einschmiegt. Schwester Brunhilde Henneberger ist seit 1991 in diesem etwa 1000 Einwohner zählenden Dorf tätig. Doch die Realität des Amazonastieflands ist Schwester Brunhilde schon sehr lange vertraut. 1961 kam die aus Randersacker stammende Franziskanerin von Maria Stern (Augsburg) nach Brasilien. Die ausgebildete Lehrerin erwarb in Brasilien noch ein Diplom in Sozialer Arbeit und ging 1970 an den Amazonas nach Juruti, wo den Menschen weder eine Schule noch eine Krankenstation zur Verfügung stand. Soziale Kärrnerarbeit war schon immer „ihr Ding“, möglichst nahe bei den Menschen zu sein mit einer hohen Sensibilität dafür, wo diese gerade „der Schuh drückt“, und für die Suche nach gemeinsamen Lösungen. Nur wenn die Menschen selbst aktiv würden, könne sich etwas verändern, sagt sie. In dieser Grundhaltung haben Schwester Brunhilde und ihre Mitschwestern in Juruti und Juruti Velho viel bewegt. Mit Beharrlichkeit und akribischer Kleinarbeit verhalfen sie Menschen zu Besitztiteln ihres Landes, die sie davor bewahrten, vom nächsten Landspekulanten einfach weggeschickt oder gewaltsam vertrieben zu werden. Die Franziskanerinnen kümmerten sich um den Aufbau von Schulen, Kindergärten und einer Gesundheitsstation. In Juruti Velho engagierte sich Schwester Brunhilde für eine Landwirtschaftsschule, um eine nachhaltige Bodennutzung und ausgewogene Ernährung für die einfache Bevölkerung zu gewährleisten. Wichtig ist den Schwestern, dass die Menschen nicht als Objekte von Interessen machthungriger Politiker wie auf dem Schachbrett hin- und hergeschoben werden, sondern fähig werden, sich für die eigenen Interessen und das Wohl ihres Dorfes einzusetzen. Die Ordensfrau erzählt von einem Beispiel: Besonders in der Zeit des Wahlkampfes glänzen brasilianische Lokalpolitiker mit vielen verlockenden Wahlversprechen. So auch in Juruti Velho. Allerdings hatte der Bürgermeister nicht mit dem hohen Bewusstseinsniveau der Menschen gerechnet, die – mit Unterstützung der Schwestern – diese Wahlversprechen einklagten. So erhalten heute zum Beispiel die Kinder in den Kindergärten ein kostenloses Mittagessen. Nach mehreren Versammlungen mit den örtlichen Autoritäten hatten die Menschen dieses Ziel erreicht, das Geld kommt den Kindern zu Gute und versickert nicht in den Taschen der Mandatsträger. Die Arbeit, die jetzt gerade vor Schwester Brunhilde und ihren Mitstreiterinnen liegt, ist hart und unberechenbar. 2001 hat sich der US-amerikanische Bauxitkonzern Alcoa in Juruti niedergelassen. Nach differenzierten Recherchen und Bodenproben soll in diesem Gebiet großflächig Bauxit abgebaut werden. Der Widerstand der Menschen hat sich schon lange formiert, auch in dem Wissen eines Kampfes „David gegen Goliat“. Alcoa hat bereits mit der Abholzung begonnen, Straßen und Eisenbahnschienen für den Transport sollen gebaut werden. Fragen wie die der Schmutzwasserentsorgung sind rechtlich noch nicht geklärt. Die Anwohner befürchten eine illegale Entsorgung, verbunden mit einer Verseuchung des Wassers und einem großen Fischsterben. Die Menschen an den Ufern des Amazonas, die so genannten „ribeirinhos“, leben vom Fluss und den Wäldern, und haben Angst, dass ihnen die Lebensgrundlage entzogen wird. Schwester Fátima, eine der Mitschwestern von Schwester Brunhilde, Juristin von Beruf, fährt mit den kleinen Booten in die umliegenden Gemeinden, um die Menschen über die Gefahren zu informieren und gemeinsam mit ihnen Minimalforderungen an Alcoa zu stellen. Als Leiterin des Ressorts „Sozialpastoral“ in der Prälatur Obidos verfügt sie über viel Erfahrung im Umgang mit Behörden. So hat sie mit den Gemeinden, die besonders von Alcoa betroffen sind, einen Forderungskatalog entwickelt, der Entschädigungen vorsieht und Schadenersatz einklagt. Selbst wenn Alcoa auf diese Forderungen, die sich als primäre Folgen des Bauxitabbaus ergeben, eingehen würde und die Menschen Entschädigungen erhielten, Ökologie und Nachhaltigkeitskriterien eingehalten würden, so lauern doch noch ganz andere Folgen. „Das Leben hier wird sich komplett verändern“, sagt Schwester Fátima und schaut gedankenverloren auf den friedlichen See von Juruti Velho. Mit der Alcoa werden arbeitssuchende Menschen aus ganz Brasilien in den Norden drängen. Nicht jeder findet hier das „große Glück“. Alkohol, Drogen, Gewalt und Prostitution werden immer weiter in die kleinen, entlegenen Amazonasdörfer vordringen. „Ich lebe in einem Paradies“, bemerkt Schwester Fátima, „aber dieses Paradies ist sehr bedroht“.
Schon die fast 17-stündige Fahrt mit dem Amazonaspassagierschiff Ana Beatriz von Santarém flussaufwärts bis zu der Kleinstadt Juruti spiegelte die Realität am Amazonas wieder. Die meisten der etwa 140 Passagiere waren nicht etwa Menschen, die in dieser Region lebten, sondern meist junge Männer, die vorwiegend aus dem armen und strukturschwachen Hinterland Nordostbrasiliens kamen und am Amazonas nach Arbeit suchten. In den langen Stunden an der Reling fragten und informierten sie einander, wo es denn überhaupt Arbeit gebe, sei es in der Holzindustrie oder im Straßenbau. Viele hatten keine Ahnung, wohin sie unterwegs waren, staunten über den an manchen Stellen über fünf Kilometer breiten Fluss und suchten schon auf dem Schiff nach Verbündeten, die ein ähnliches Schicksal hierher verschlagen hatte. In dem rund 30000 Einwohner zählenden Ort Juruti angekommen, wurden diese Beobachtungen von dem Mainzer Priester Günter Ferdinand Bee, der seit vielen Jahren dort tätig ist, bestätigt. Juruti ist in den letzten Jahren ganz rasant angewachsen, weil Holzfirmen, Straßenbauunternehmen und vor allem auch der Aluminiummulti Alcoa aus Nordamerika lukrative Arbeitsplätze versprechen. Doch der Traum vom schnellen Geld weicht bei den Arbeitssuchenden schnell der nüchternen Wirklichkeit. Die meisten der vor Ort tätigen Firmen zahlen sehr schlecht, allenfalls einen „salário mínimo“, das ist ein Mindestlohn von umgerechnet etwa 155 Euro im Monat. Davon lässt sich keine Familie ernähren. Die in Juruti tätigen Priester und pastoralen Mitarbeiter stehen vor großen Herausforderungen. Zu den etwa 30000 Einwohnern in der Stadt Juruti kommen noch etwa 20000 Menschen, die auf 110 kleine Gemeinden verteilt sind. Einige dieser Gemeinden sind auf einer holprigen Landpiste, die meisten jedoch auf dem Wasserweg in den weit verzweigten Amazonasläufen zu erreichen. In manche Gemeinden kommt der Priester ein bis zwei Mal im Jahr zum Patronatsfest oder einer anderen Gelegenheit. Das Gemeindeleben mit den Schwerpunkten der sonntäglichen Wortgottesfeier, Katechesen, Vorbereitung zu den Sakramenten und Beerdigungen werden von ausgebildeten Laien getragen. Doch nicht nur das Aufrechterhalten des kirchlichen Lebens, auch die sich rasant verändernde soziale Situation stellt die kirchlichen Mitarbeiter vor immer neue Herausforderungen. Von dem Kleinstädtchen Juruti geht es noch rund eine Stunde mit einem kleinen Boot in das Dorf Juruti Velho, das sich malerisch in eine Ausbuchtung des Amazonas, den See von Juruti Velho, einschmiegt. Schwester Brunhilde Henneberger ist seit 1991 in diesem etwa 1000 Einwohner zählenden Dorf tätig. Doch die Realität des Amazonastieflands ist Schwester Brunhilde schon sehr lange vertraut. 1961 kam die aus Randersacker stammende Franziskanerin von Maria Stern (Augsburg) nach Brasilien. Die ausgebildete Lehrerin erwarb in Brasilien noch ein Diplom in Sozialer Arbeit und ging 1970 an den Amazonas nach Juruti, wo den Menschen weder eine Schule noch eine Krankenstation zur Verfügung stand. Soziale Kärrnerarbeit war schon immer „ihr Ding“, möglichst nahe bei den Menschen zu sein mit einer hohen Sensibilität dafür, wo diese gerade „der Schuh drückt“, und für die Suche nach gemeinsamen Lösungen. Nur wenn die Menschen selbst aktiv würden, könne sich etwas verändern, sagt sie. In dieser Grundhaltung haben Schwester Brunhilde und ihre Mitschwestern in Juruti und Juruti Velho viel bewegt. Mit Beharrlichkeit und akribischer Kleinarbeit verhalfen sie Menschen zu Besitztiteln ihres Landes, die sie davor bewahrten, vom nächsten Landspekulanten einfach weggeschickt oder gewaltsam vertrieben zu werden. Die Franziskanerinnen kümmerten sich um den Aufbau von Schulen, Kindergärten und einer Gesundheitsstation. In Juruti Velho engagierte sich Schwester Brunhilde für eine Landwirtschaftsschule, um eine nachhaltige Bodennutzung und ausgewogene Ernährung für die einfache Bevölkerung zu gewährleisten. Wichtig ist den Schwestern, dass die Menschen nicht als Objekte von Interessen machthungriger Politiker wie auf dem Schachbrett hin- und hergeschoben werden, sondern fähig werden, sich für die eigenen Interessen und das Wohl ihres Dorfes einzusetzen. Die Ordensfrau erzählt von einem Beispiel: Besonders in der Zeit des Wahlkampfes glänzen brasilianische Lokalpolitiker mit vielen verlockenden Wahlversprechen. So auch in Juruti Velho. Allerdings hatte der Bürgermeister nicht mit dem hohen Bewusstseinsniveau der Menschen gerechnet, die – mit Unterstützung der Schwestern – diese Wahlversprechen einklagten. So erhalten heute zum Beispiel die Kinder in den Kindergärten ein kostenloses Mittagessen. Nach mehreren Versammlungen mit den örtlichen Autoritäten hatten die Menschen dieses Ziel erreicht, das Geld kommt den Kindern zu Gute und versickert nicht in den Taschen der Mandatsträger. Die Arbeit, die jetzt gerade vor Schwester Brunhilde und ihren Mitstreiterinnen liegt, ist hart und unberechenbar. 2001 hat sich der US-amerikanische Bauxitkonzern Alcoa in Juruti niedergelassen. Nach differenzierten Recherchen und Bodenproben soll in diesem Gebiet großflächig Bauxit abgebaut werden. Der Widerstand der Menschen hat sich schon lange formiert, auch in dem Wissen eines Kampfes „David gegen Goliat“. Alcoa hat bereits mit der Abholzung begonnen, Straßen und Eisenbahnschienen für den Transport sollen gebaut werden. Fragen wie die der Schmutzwasserentsorgung sind rechtlich noch nicht geklärt. Die Anwohner befürchten eine illegale Entsorgung, verbunden mit einer Verseuchung des Wassers und einem großen Fischsterben. Die Menschen an den Ufern des Amazonas, die so genannten „ribeirinhos“, leben vom Fluss und den Wäldern, und haben Angst, dass ihnen die Lebensgrundlage entzogen wird. Schwester Fátima, eine der Mitschwestern von Schwester Brunhilde, Juristin von Beruf, fährt mit den kleinen Booten in die umliegenden Gemeinden, um die Menschen über die Gefahren zu informieren und gemeinsam mit ihnen Minimalforderungen an Alcoa zu stellen. Als Leiterin des Ressorts „Sozialpastoral“ in der Prälatur Obidos verfügt sie über viel Erfahrung im Umgang mit Behörden. So hat sie mit den Gemeinden, die besonders von Alcoa betroffen sind, einen Forderungskatalog entwickelt, der Entschädigungen vorsieht und Schadenersatz einklagt. Selbst wenn Alcoa auf diese Forderungen, die sich als primäre Folgen des Bauxitabbaus ergeben, eingehen würde und die Menschen Entschädigungen erhielten, Ökologie und Nachhaltigkeitskriterien eingehalten würden, so lauern doch noch ganz andere Folgen. „Das Leben hier wird sich komplett verändern“, sagt Schwester Fátima und schaut gedankenverloren auf den friedlichen See von Juruti Velho. Mit der Alcoa werden arbeitssuchende Menschen aus ganz Brasilien in den Norden drängen. Nicht jeder findet hier das „große Glück“. Alkohol, Drogen, Gewalt und Prostitution werden immer weiter in die kleinen, entlegenen Amazonasdörfer vordringen. „Ich lebe in einem Paradies“, bemerkt Schwester Fátima, „aber dieses Paradies ist sehr bedroht“.