Evangelium
An jenem Tag verließ Jesus das Haus und setzte sich an das Ufer des Sees. Da versammelte sich eine große Menschenmenge um ihn. Er stieg deshalb in ein Boot und setzte sich; die Leute aber standen am Ufer. Und er sprach lange zu ihnen in Form von Gleichnissen. Er sagte: Ein Sämann ging aufs Feld, um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil der Körner auf den Weg, und die Vögel kamen und fraßen sie. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte. Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen, und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat. Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach. Wer Ohren hat, der höre!
Matthäus 13,1–9
Auf den ersten Blick frustrierend. Drei von vier Körnern bringen keine Frucht. Wer von uns kennt das nicht.
Da sind liebevolle Eltern; alle Mühe haben sie sich gegeben, ihrem Kind gute Werte mitzugeben. Aber in letzter Zeit hören sie nur „motzende Kommentare“ zu allem, was sie sagen. Die Clique scheint mehr zu zählen; was die anderen machen, scheint wichtiger zu sein. Die Dornen scheinen die Saat zu ersticken.
Da ist ein Pfarrer. Klar, es waren nicht alle Kommunionkinder mit Eifer dabei, und bei manchen hat er sich schon gedacht, dass er sie danach nicht mehr oft sieht, aber bei einigen... Auf sie setzt er große Hoffnungen. Sie fangen auch an zu ministrieren, aber bald schon ist der Eifer wie weggeblasen, und nach
einem Jahr schon hört er: Herr Pfarrer, ich hab keine Lust mehr. Der felsige Boden lässt die aufgehende Saat schnell dürr werden.
Da ist ein junger Mensch; eigentlich sehr verständig und einsichtig, aber er will es grad jedem recht machen, im Musikverein, in der Clique zu Hause, in der Kirche. Du kannst gut mit ihm reden, und er sieht vieles auch ein und trotzdem – er merkt es ja selbst, kaum ist er bei dem anderen Kreis, scheinen seine guten Ziele wie von den Vögeln gefressen. Beispiele gibt es sicher genug: auf den ersten Blick frustrierend, umsonst; drei von vier wachsen nicht lange, bringen keine Frucht.
Aber wenn man genauer hinschaut?
Da sind zum Beispiel Eltern: Geradezu nebenbei erfahren sie, wie ihr Sohn die Clique motiviert hat, bei einer Jugendaktion mitzumachen.
Da ist der Pfarrer: Eher nebenbei kriegt er mit, wie seine ehemaligen Ministranten mühsam erwirtschaftetes Geld spenden für ein hilfsbedürftiges Mädchen
Da ist ein junger Mensch: Auf den Besinnungstagen der Schule merkt er, dass er es nicht allen recht machen kann. Er gibt sich selbst Ziele und versucht, sie auch einzuhalten.
Drei von vier Körnern gehen gar nicht auf oder wachsen nicht lange, aber eines bringt Frucht, dreißigfach, sechszigfach, hundertfach. Manchmal sind es sogar die scheinbar nicht aufgegangenen Körner.
Es sind selbst erlebte Beispiele, und sie zeigen mir: Du musst immer genauer hinschauen. Du darfst nicht den Frust über dich bestimmen lassen. Du musst auch Gott noch etwas zutrauen.
Ich jedenfalls ziehe aus diesem Gleichnis ganz viel Kraft für mein Leben. Das Korn wird aufgehen, sicher nicht jedes, und vielleicht ein anderes, als du erwartet hast, aber Gott lässt wachsen. Es ist ein sehr realistisches Evangelium. Drei von vier wachsen nicht, aber eines wächst, und dafür lohnt es sich.
Es sind sieben Gleichnisse, die der Evangelist hier im 13. Kapitel zusammenfasst. Sieben – sicher nicht ohne Grund; es ist gleichsam eine neue Schöpfung, weil das Reich Gottes mit Jesus begonnen hat, diesem neuen Menschen, in dem zugleich Gott so sichtbar geworden ist: Jesus, in dem Gott (die Zahl drei) und Mensch (die zahl vier) sozusagen zu einer Einheit zusammengefügt ist. Gottes Reich hat angefangen. Und es ist ein Versprechen, dass wir an dieser neuen Welt Gottes Anteil haben. Denn wir sind Schwestern und Brüder Jesu. Wir sind berufen, an diesem neuen Reich Gottes mitzutun.
Wenn mit ihm eine neue Welt beginnt, das Reich Gottes eben, dann weckt dieser Glauben in uns neue Qualitäten von Menschsein:
Du kannst ein Mensch sein, der nie aufgibt, denn Gott lässt wachsen. Du kannst ein Mensch sein, der genauer hinschaut, denn Gott hilft zu sehen, was wirklich wächst. Du kannst ein Mensch sein, der niemanden aufgibt, denn Gott gibt keinen auf. Du kannst ein Mensch sein, der Geduld hat, wachsen dauert eben. Du kannst ein Mensch sein, der nicht vorschnell urteilt, sonst würdest du das Wichtigste übersehen. Als ein neuer Mensch leben, mit einem unerschöpflichen Vorrat an Vertrauen, mit einer Kraft, die trotz nüchternem Blick auf die Welt um ein vielfaches höher ist, als man sie normalerweise so hat, mit einer Frustrationstoleranz, die unermesslich hoch ist; wenn da nicht Gottes neues Reich zu spüren ist, wann denn dann? Ich wünsche es Ihnen.
Der Autor ist Pfarrer der künftigen
Pfarreiengemeinschaft Am Salzforst mit Unter- und Oberebersbach, Hohenroth, Leutershausen, Windshausen, Burgwallbach und nebenamtlich Religionslehrer am Rhön-Gymnasium Bad Neustadt.