Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Probeabo des Magazins bestellen

Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt erfahren Sie im Sonntagblatt.

    Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt...

    Mehr

    Dann wirst du wirklich ...

    So gilt: An der Schwelle zum Neuen Jahr im Licht der Krippe ins Staunen kommen, mit anderen und im eigenen Herzen Loblieder anstimmen, damit sind wir in guter Gesellschaft mit den Hirten Israels.

    Evangelium

    In jener Zeit eilten die Hirten nach Betlehem und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag. Als sie es sahen, erzählten sie, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war. Und alle, die es hörten, staunten über die Worte der Hirten. Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach. Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatten; denn alles war so gewesen, wie es ihnen gesagt worden war. Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, noch ehe das Kind im Schoß seiner Mutter empfangen wurde.

    Lukas 2,10-21

     

    Bundeskanzlerin steht auf dem obersten Treppchen nach der Wahl zum Wort des Jahres, gefolgt von „Wir sind Papst“ und „Tsunami“ – Wörter, die als besonders typisch für gesellschaftliche Entwicklungen im vergangenen Jahr angesehen werden.
    Für mich ist der Aufsteiger des Jahres jene kurze Redewendung „Nicht wirklich“. Mal höre ich sie als knappe Antwort auf eine Frage oder sie kitzelt das Ohr, einfach so dazwischengestreut. Drückt sich darin eine weiter wachsende Skepsis gegenüber der unmittelbar zugänglichen Erfahrungswirklichkeit aus? Die Blume, die so „echt“ aussieht, doch sich bei genauerem Hinsehen oder Anfassen als künstlich entpuppt? Oder wird dadurch jene Differenz zwischen körperlich wahrnehmbarer und virtuell vermittelter Realität ins Wort gebracht? Der Freund in Australien ist via Telefon und Mail nahegerückt, doch gleichzeitig „nicht wirklich“ in der Nähe. Oder doch? Und überfordern uns nicht Vielzahl und Ausmaß der Katastrophen des vergangenen Jahres, so dass wir das nicht mehr aufnehmen und durch Spenden helfen können?
    Ob das früher anders war, ob da Wirklichkeit dem Menschen eindeutiger entgegentrat?
    Als die Hirten ihren Besuch in Betlehem beendet hatten, berichtet Lukas: Sie „rühmten und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, denn alles war so gewesen, wie es ihnen gesagt worden war.“ (Lk 2,20) Junge Menschen, begeistert vom Weltjugendtag zurückkehrend, Senioren, versöhnt auf ein Leben mit Höhen und Tiefen blickend: Vielleicht war nicht alles, wie erhofft und gewünscht, doch auf dem Heimweg überwiegen die Melodien, die Gottes Lob zum Klingen bringen.
    Von Maria werden aus diesen Tagen nach der Geburt ihres Erstgeborenen keine jubelnden Töne überliefert. „Maria hielt all diese Worte verwahrt und fügte sie in ihrem Herzen zusammen.“ (Lk 2,19) So übersetzt Fridolin Stier.
    Da wird weder festgehalten noch etwas vorschnell konstruiert. Für mich schwingt sehr Aktives und zugleich eine hohe Empfangsbereitschaft in diesen Worten, fast so wie die Ouvertüre für eine zweite Schwangerschaft. Maria hat nicht damit abgeschlossen, indem sie Jesus zur Welt brachte, in ihr öffnet sich auch künftig ein weiter Raum – weit genug sogar für die Spannungen, die das Leben ihres Sohnes auslösen wird. Auf dem Weg vom Lob der Hirten bis zur Lanze der Henker. Für Maria ist das „Wirklichwerden“ ein Weg.
    Jenes Gespräch im Kinderzimmer zwischen Holzpferd und Stoffhasen fällt mir dazu ein. „Was ist wirklich?“ fragte eines Tages der Stoffhase das alte Holzpferd. „Wirklich“, antwortete das Holzpferd, „ist nicht, wie man gemacht ist. Es ist etwas, das an einem geschieht. Wenn ein Kind Dich liebt für eine lange, lange Zeit, nicht nur, um mit Dir zu spielen, sondern Dich wirklich liebt, dann wirst Du wirklich.“ Und später fügt es hinzu: „Es geschieht nicht auf einmal. Du wirst. Das dauert lange ... Im allgemeinen sind zu der Zeit, da Du wirklich sein wirst, die meisten Haare verschwunden, Deine Augen ausgefallen; Du bist wacklig in den Gelenken und sehr hässlich. Aber diese Dinge sind überhaupt nicht wichtig, denn wenn Du wirklich bist, kannst Du nicht hässlich sein, ausgenommen in den Augen von Leuten, die überhaupt keine Ahnung haben.“
    So gilt: An der Schwelle zum Neuen Jahr im Licht der Krippe ins Staunen kommen, mit anderen und im eigenen Herzen Loblieder anstimmen, damit sind wir in guter Gesellschaft mit den Hirten Israels.
    Mancher vermag das in diesen Tagen nicht. Maria vertritt eine andere Wirklichkeit an der Krippe: All die widerstrebenden Eindrücke und Erfahrungen verwahrt sie im Herzen, in der Sehnsucht. Die Verheißung und der erbärmliche Stall, das Gelungene und Missglückte, die tiefen Geheimnisse und der oberflächliche Anschein, das Unverständliche und das Einleuchtende, alle Widersprüche, die uns in Wirklichkeit ausmachen – es möge sich fügen in den Augen eines Wesens, das „Dich liebt für eine lange, lange Zeit.“ Du wirst. Es dauert eine Lebensspanne. Was verwahren und fügen wir?

    Der Autor ist Pfarrer der Kuratie Volkers und Geistlicher Begleiter im Haus Volkersberg.